Marktteilnehmer blicken sorgenvoll auf das aktuelle Geschehen.

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An den Börsen ist in den vergangenen Wochen die gute Laune verlorengegangen. Es scheint, als ob viele Märkte nur noch eine Richtung kennen – und zwar jene talwärts. Dabei haben sich die Märkte in den vergangenen Monaten sehr robust gezeigt. Doch die Mischung aus Ukraine-Krieg, Inflation, Lieferengpässen, möglichen neuen Covid-Wellen und dem Ende der lockeren Geldpolitik sorgt für ein Ende der langen Börsenparty.

Ab in den Bärenmarkt

Der US-Leitindex S&P 500 hat seit seinem Top vom Jänner 21 Prozent verloren. "Damit erfüllt der Index formell die Definition eines Bärenmarktes", sagt Monika Rosen-Philipp, Börsenexpertin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft. In einem Bärenmarkt befindet sich ein Markt dann, wenn er 20 Prozent seines Wertes verloren hat.

Der Dow Jones hat im selben Zeitraum 17 Prozent verloren, die Technologiebörse Nasdaq hat 33 Prozent abgegeben. Der deutliche Rücksetzer der Nasdaq zeigt auch, wie verwundbar die Tech-Titel sind, die im Zuge der Corona-Pandemie Fahrt aufgenommen hatten. In diesem Sektor wird nun sicher auch die eine oder andere Überbewertung der vergangenen Jahre korrigiert.

Die noch einmal gestiegene US-Inflation löst zudem Spekulationen auf aggressivere Zinsschritte der US-Notenbank Fed aus. Experten der Investmentbank Goldman Sachs erwarten mittlerweile, dass die Fed am Mittwoch einen Zinsschritt um 0,75 Prozentpunkte und einen weiteren in gleicher Höhe im Juli vornehmen wird. Analysten von JPMorgan schließen hingegen auch nicht aus, dass die Fed den Leitzins um 100 Basispunkte anheben wird.

Festere Zügel

Die straffe Politik der Fed wiederum nährt die Furcht vor einer Rezession. Zumindest eine Gewinnrezession wird erwartet. Das würde bedeuten, dass die Gewinne der Unternehmen nicht mehr in dem Ausmaß steigen, wie es Anleger zuletzt gewohnt waren. Hinzu kommt, dass höhere Zinsen auch die Finanzierungskosten für Unternehmen verteuern.

Die Fed lässt zudem ihr Anleihenkaufprogramm auslaufen und baut ihr Rentenportfolio ab. Das sorgt für Bewegung im Markt. Neue Anleihenkäufer müssen gefunden werden, mit steigenden Zinsen werden diese Papiere auch wieder attraktiver. "Derzeit diktiert der Rentenmarkt, was am Aktienmarkt geschieht", fasst Rosen-Philipp zusammen. Denn die steigenden Renditen setzen Aktien unter Druck – das spüren vor allem Wachstumswerte, zu denen der Tech-Sektor gehört.

Gradmesser für Risiko

Die Schwäche der Tech-Aktien drückt sich derzeit auch im Absturz von Bitcoin und Co aus. Der Kurs von Bitcoin nähert sich der Marke von 20.000 Dollar. Das ist der tiefste Stand seit eineinhalb Jahren. Das Rekordhoch von knapp 69.000 Dollar, erreicht im vergangenen November, liegt damit weit entfernt. Die Digitaleinheit Bitcoin gilt laut Analysten mittlerweile auch als guter Gradmesser für die Risikofreudigkeit der Aktienanleger.

Verfestigt sich der Bärenmarkt, liegen wohl magere Monate vor den Investoren. "Seit dem Zweiten Weltkrieg rutschte der S&P500 14-mal in einen Bärenmarkt", sagt Rosen-Philipp. Im Schnitt hat der Index dabei 30 Prozent seines Wertes verloren. Der Abschwung dauerte im Schnitt 359 Tage – also fast ein Jahr.

Hedgefonds sichern nicht gegen Kursrutsch ab

Dass dieses Szenario droht, lässt sich auch darin ablesen, dass Hedgefonds aktuell rund 250 Milliarden Dollar auf fallende Kurse an der Wall Street setzen. Ein deutliches Warnsignal, wie Analysten sagen.

In Europa fanden die Börsen am Dienstag keine klare Richtung. Die ungewissen Aussichten für die Weltkonjunktur und die Zinssorgen setzen den Märkten zu. Vor allem die hohen Kosten für Energie, Sprit und Nahrung belasten die Menschen und lässt sie vorsichtiger agieren. Nachdem Europas Börsen zwischenzeitlich ins Minus gerutscht waren, holten sie die Verluste nach einer freundlichen Eröffnung der Wall Street wieder auf. Ins Plus konnten sich die europäischen Börsen aber nicht retten. Die Leitindizes schlossen alle schwächer.

Die US-Börsen haben sich am Dienstag wenig verändert präsentiert. Vor der Fed-Entscheidung haben sich die Anleger zurückgehalten. Daten gab es aus der US-Industrie. Die Erzeugerpreise stiegen im Mai um 10,8 Prozent, womit eine anhaltend hohe, aber leicht nachlassende Inflation signalisiert wird. Im April hatte es ein noch stärkeres Plus von 10,9 Prozent gegeben. (Bettina Pfluger, 14.6.2022)