Im Vergleich zum Vorjahr wurden im Mai um ein Drittel mehr Radfahrer gezählt. Wird tatsächlich das Ziel Verkehrswende verfolgt, müssen auch bemerkenswerte Taten folgen, die den Rad- und Fußgängerverkehr mehr ins Zentrum rücken.

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Es ist erst ein paar Tage her, da verkündete die Stadt Wien einen neuen "RadlerInnen-Rekord". Im Mai 2022 wurden mehr als 1,1 Millionen Radlerinnen und Radler an den Wiener Zählstellen registriert. Im Vergleich zum Mai des Vorjahres war das eine Steigerung um 33 Prozent. Oder anders gesagt, so hört es sich noch beeindruckender an: Es wurde rund ein Drittel mehr Radfahrerinnen und Radfahrer gezählt. Das ist insofern bemerkenswert, als die Situation für die Radler im vergangenen Jahr nur in Nuancen optimiert wurde.

Es ist also anzunehmen, dass die 33. Novelle der Straßenverkehrsordnung, die am Mittwoch im Ministerrat beschlossen wurde, in Zukunft für noch höhere Zahlen sorgen wird. Denn diese bringt tatsächlich einige Verbesserungen in puncto Sicherheit und Vorteile für Radler und Fußgänger mit sich. So können Radfahrer künftig bei Rot rechts abbiegen, wenn dies bei Kreuzungen ein zusätzlicher grüner Pfeil anzeigt. Erstmals wird auch festgeschrieben, dass Autofahrer bei Überholvorgängen einen Mindestabstand von 1,5 Metern innerorts und zwei Metern außerhalb von Ortstafeln einhalten müssen. Und: Eltern dürfen künftig auch neben ihren Kindern radeln.

Revanche an Gewessler möglich

Bei zwei Kernpunkten der Reform hat sich das Verkehrsministerium von Leonore Gewessler (Grüne) aber nicht gegen den Widerstand aus Wien durchsetzen können. Der Plan, das generelle Radeln gegen die Einbahn ab einer Straßenbreite von vier Metern zu erlauben, wurde vorerst aufgegeben. Auch die Ausweitung des Halte- und Parkverbots bei Kreuzungen von fünf auf acht Meter wurde gestrichen.

Dieser Kompromiss schützt die Dominanz des Alphatiers Auto auf den Straßen – vor allem in Städten. Die Hauptgründe, weshalb sich etwa Wien gegen die beiden neuen Regeln ausgesprochen hat, waren monetäre: 125 Millionen Euro hätte die Stadt nach Eigenangaben für die Umsetzung dieser Maßnahmen investieren müssen. Die Grünen vermuten freilich auch eine politische Revanche der Wiener SPÖ, nachdem Gewessler den Lobautunnel auf Eis gelegt hat.

Dass die Stadt Wien unter Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) dem Ausbau von Radwegen mehr Geld und Aufmerksamkeit widmet und auch Autospuren in der Prater- und Lassallestraße streicht, ist ein positiver Schritt. Das Wien-weite Parkpickerl, das zehntausende öffentliche Stellplätze obsolet gemacht hat und einen massiven Ausbau von Radwegen etwa in der Donaustadt ermöglicht, ist ein weiterer. Für tausende weitere leere Parkplätze in der Stadt gibt es bis dato aber immer noch keine Nachnutzungspläne. Hier muss die Stadt bald liefern.

Zeit einschneidender Kompromisse vorbei

Um die Attraktivität des Radverkehrs voranzutreiben und den Autoverkehr mit seinen Staus und Abgasen einzuschränken, ist aber die Zeit zu einschneidender Kompromisse vorbei. Wird tatsächlich das Ziel Verkehrswende verfolgt, müssen auch bemerkenswerte Taten folgen, die den Rad- und Fußgängerverkehr mehr ins Zentrum rücken.

Und es muss die Platzverteilung auf Straßen, vor allem in Städten, endlich verstärkt thematisiert werden. Das Kappen von Parkplätzen an der Oberfläche sowie teils auch Autofahrspuren zugunsten von mehr Fahrrad- und Gehwegen – oder Platz für mehr Grünraum und Schanigärten – muss auf der Agenda weiter oben stehen. Dass das Ganze nicht von heute auf morgen passieren kann, ist klar. Aber langsam pressiert es. Die hohe politische Kunst muss es sein, den Umstieg auf Rad oder Öffis für Autofahrerinnen und Autofahrer zu attraktivieren, und sei es auch nur für tägliche Teilstrecken. Ein Autofahrer ist schließlich oft auch Öffi-Nutzer und Radfahrer. (David Krutzler, 15.6.2022)