Im Dialog mit Helikoptern und mit Ariadne: Blixa Bargeld, Sänger und Dichter der "Einstürzenden Neubauten".

Foto: Regine Hendrich

Vorbei die Zeiten, als die Einstürzenden Neubauten ihre schwarze Poesie unter donnernden Blechlawinen begruben. Heute hängen ein paar Spiralfedern über den Plätzen der beiden Perkussionisten N.U. Unruh und Rudolph Moser: Alteisen, das mit derselben klöppelnden Sorgfalt bearbeitet wird wie der gesamte Werkkatalog der Berliner.

Ein blank polierter Kessel? Erinnert auf der Open-Air-Bühne der Wiener Arena an einen abgehängten Boiler. Alles auf Sparflamme gekocht von Blixa Bargeld und Co. "Alles wieder offen", wie es auf einem ihrer poetisch überzeugendsten Alben der Nullerjahre hieß. Und jetzt, eine weltweite Pandemie später und mit zweijähriger Verspätung, ergötzen die Neubauten mit Proben aus ihrer Berliner Mauerstadt-Chronik, der sanften, stillen Platte Alles in allem (2020). Kindheitsmuster, zu Vignetten verdichtet, mit Ortsangaben versehen, wie "Grazer Damm" oder "Am Landwehrkanal". Astronauten, die, vorbei am Kindheitsfenster von Blixa Bargeld, auf den Berliner Asphalt stürzen. Der Bertolt Brecht der Buckower Elegien. Zivilisatorische Missgeschicke, wie das Abhandenkommen der Menschen in den leeren Hallen von Berlin-Tempelhof.

Bargeld, der Erzähler unter dem Wiener Junimond, ähnelt vor mehr als 3.000 Besuchern mit seinem dünnen Langhaar am ehesten einem romantischen Dichter im Anzug: Novalis, wenn der nicht so entsetzlich jung und unvollendet gestorben wäre. Der zweimal provokant über der Arena kreisende Helikopter wird von der Priestergestalt an der Rampe freundlich begrüßt (Bargeld: "Das hat mir gefallen").

Ansonsten schöpfen die Neubauten aus der Ruhe ihre Kraft: Alexander Hacke bringt die Basssaiten zum Schwingen. Metall schlägt auf Metall. Die köstliche Erinnerung an "Nagorny Karabach" ("… in der Enklave meiner Wahl") lässt noch einmal das ganze Glück der Verdichtung spüren. Längst haben die Einstürzenden Neubauten ihre aggressiven "Strategien gegen Architekturen" in ein progressives Projekt der Denkmalpflege verwandelt. In ihren Songbauten ist ausreichend Platz für Hund und Katz' und Spatz. Für Rosa Luxemburg und Antonin Artaud, fürs Goethe-Institut, für das fortschrittliche Stadttheater.

Seufzendes Blech

Und während die Bleche seufzen, das Gitter eines Einkaufswagens singt, faucht und schnarrt Blixa Bargeld seine Botschaften vom bevorstehenden Ende des Menschengeschlechts. Man sieht Gold auf seinen Lidern glitzern. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. "Was ich in deinen Träumen suche? / Ich suche nicht. / Ich räume auf."

Es muss schließlich jemanden geben, der am Ende den ganzen Industriemüll zusammenliest. Der die Steine der Überlieferung zu neuen Mosaiken zusammenlegt. Blixa opfert sich für uns alle! Und so hatte man gegen Ende, zum ohrenbetäubenden Stampfen der Untergangsvision "Redukt", den Eindruck, gemeinsam mit der Band hinauszutreiben aufs offene Meer der Möglichkeiten: "Ariadnes Faden", zur "vollen Länge ausgestreckt". So schön zieht an ihm sonst keiner. Mindestens ein Konzert des Jahres. Aber bei den Neubauten denkt man ohnehin in Erdzeitaltern und Äonen. (Ronald Pohl, 15.6.2022)