Der Riesenprozess gegen Ex-Hassprediger Mirsad O. ging am Mittwoch weiter.

Foto: Robert Newald

Am vierten Prozesstag rund um den ehemaligen Hassprediger Mirsad O. – er gilt als eine Schlüsselfigur der Rekrutierung für den sogenannten "Islamischen Staat" im deutschsprachigen Raum – standen vor allem zwei seiner ehemaligen Bekannten im Zentrum. Es geht um deren Ausreisen in den IS und um die Frage, inwieweit sie auch andere radikalisierten. O. selbst wurde eigentlich schon 2016 zu 20 Jahren Haft verurteilt. In der aktuellen Causa bekannte er sich schuldig, auch was die Rekrutierung Jugendlicher betrifft.

Im Fokus beim Gerichtsprozess am Mittwoch stand unter anderem S. A., er ist ist wegen mehrerer Terrordelikte vor Gericht. Der Afghane – sein Alter ist laut Anklageschrift unklar, er ist entweder 37 oder 43 – soll zwischen 2014 und 2016 im IS gewesen sein, er soll auch in der Wiener Moschee, in der er Imam war, für den IS rekrutiert haben.

Über ihn gibt es ein belastendes Dokument, dessen Herkunft allerdings unklar ist. 2020 wurde es dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) über das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) von einem ausländischen Partnerdienst zugespielt, sagt ein Beamter, der heute vor Gericht als Zeuge aussagt. Welcher Partnerdienst das ist, wisse er aber nicht. Auf die Frage, ob so etwas öfter vorkomme, sagt er, in Österreich eher nicht, in Deutschland aber schon.

IS-Dokument unklarer Herkunft

Der Inhalt des Dokuments ist brisant. Es ist in arabischer Sprache und wurde vom LVT als authentisch eingestuft. Es soll direkt vom IS stammen und eine Art Vernehmungsprotokoll von S. A. sein. Darin soll er angeben, dass er hochrangige Vertreter der al-Kaida, darunter Osama Bin Laden selbst, in Afghanistan getroffen habe "und mit der Bildung eines Bataillons im Irak beauftragt worden sei". Der Beamte sagt aber auch dazu: S. A. streitet ab, dass es in dem Dokument um ihn gehe.

Dafür, dass S. A. aber tatsächlich für den IS rekrutiert habe, gebe es "wenig greifbare Beweise", sagt der Richter. Auch der Beamte kann nur angeben, dass viele, die ausgereist seien, aus dem Umfeld der Moschee kämen, in der der Angeklagte Imam war. An der soll übrigens zeitweise auch die IS-Flagge gehangen haben – der Angeklagte hat allerdings in vergangenen Einvernahmen angegeben, das sei zu einer Zeit gewesen, in der er nicht in Wien war.

Fragliches Selbstmordattentat

Einige Unklarheiten gibt es auch im Fall M. W., einem 27-jährigen Österreicher, der ebenfalls im Zuge des Riesenprozesses verhandelt wird. Auch bei ihm geht es um Terrordelikte, auch er soll in Syrien gewesen sein. Nachdem er im Jänner 2015 wieder nach Österreich zurückgekommen war, durchsuchten die Behörden seine Wohnung.

Sie fanden ein Video aus dem Jahr 2014, in dem sich ein mutmaßlicher Selbstmordattentäter von M. W. verabschiedet. Unter anderem deswegen wird ihm die Bestärkung zu einer Mordtat vorgeworfen. Nur: M. W. gibt an, dass er 2015 noch einmal Kontakt zu dem mutmaßlichen Selbstmordattentäter hatte. "Dann kann er sich nicht 2014 in die Luft gesprengt haben", schließt der Richter daraus. "Manche wollen medial auftreten und Aufmerksamkeit", erklärt dann der Angeklagte selbst, es sei nach dem Video aber nicht zu einem Anschlag gekommen.

Abholen oder kämpfen

Was seinen etwa zweimonatigen Syrien-Aufenthalt betrifft, so gehen dazu die Darstellungen auseinander. Die Ermittler meinen, er habe dort eine Grundausbildung absolviert und den IS nur wieder verlassen, "weil er die für ihn abstoßenden hygienischen Bedingungen seiner Unterbringung verabscheute", wie es in der Anklageschrift heißt. Von der Ideologie habe er sich aber nicht distanziert.

M. W.s Ex-Frau, die als Zeugin einvernommen wird, schildert die Sache anders: Sie sei im September 2014 nach Syrien, weil man ihr erzählt habe, dort sei es schön, das Leben sei gut. Tatsächlich aber sei sie in einem überfüllten Frauenhaus untergebracht worden, in dem es kaum Essen und keinen Strom gab, sie habe Bomben fliegen gehört. Alle zwei, drei Wochen habe sie in ein Internetcafé dürfen. Von so einem aus habe sie den Angeklagten um Hilfe gebeten – der sei gekommen, um sie abzuholen.

Dass es von ihm auch ein Foto in Tarnkleidung mit Kalaschnikow und IS-Flagge gibt, erklärt die Ex-Frau damit, dass die beiden den Leuten vom IS weismachen wollten, sie seien für deren Ideologie. "Aber wenn die beim IS so freundlich waren und sie wieder ausreisen ließen, warum braucht man dann solche Fotos?", will der Richter wissen. "So einfach war das nicht", sagt die Zeugin, man habe sie schon überreden wollen zu bleiben.

Ein weiterer Zeuge stellt nun aber die Ehrlichkeit der Ex-Frau infrage. Er ist der Ex-Schwager des Angeklagten und behauptet, die sei von seiner Ex-Frau instruiert worden, was sie aussagen soll. Wer von den beiden lügt, müssen die Geschworenen entscheiden. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. (Gabriele Scherndl, 15.6.2022)