Unpopulär, aber erfolgreich: So könnte die Regierung Nehammer/Kogler in die Geschichtsbücher eingehen.

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Man kann an den Details des neuen Entlastungspakets der Bundesregierung sicherlich herummäkeln. Aber in großen Zügen hat Türkis-Grün hier die richtigen wirtschaftspolitischen Reflexe gezeigt und auch langfristig die richtigen Weichen in der Steuer- und Sozialpolitik gestellt. Die Regierung hat aus einer schwierigen Situation – nämlich der schmerzhaften Inflation – das Beste gemacht.

Auf einen plötzlichen Inflationsschub, der Haushalte schwer belastet, kann die Politik auf zweierlei Arten reagieren: Sie kann versuchen, die Preissteigerungen direkt zu bekämpfen, sei es durch gezielte Steuersenkungen oder gar durch Preisdeckel. Oder sie kann sich auf der Einnahmen- und Ausgabenseite daran anpassen.

Der erste Weg ist oft populär, aber führt zu falschen Preissignalen, Marktverzerrungen und manchmal sogar Versorgungsengpässen. Zum Glück ist die Regierung hier nicht dem Beispiel vieler anderer EU-Staaten gefolgt und hat darauf vollständig verzichtet.

Anpassung an die Inflation

Stattdessen akzeptiert sie die Inflation als gegeben, überlässt den Kampf dagegen den Notenbanken und passt das Steuersystem und die Sozialpolitik so daran an, dass die Folgen für die Menschen weitgehend abgefedert werden. Das erreicht sie neben einer Reihe von Einmalzahlungen vor allem mit der automatischen Anpassung der meisten Sozialleistungen sowie der weitgehenden Abschaffung der kalten Progression – also der schleichenden Steuererhöhung, die dann eintritt, wenn Lohnsteigerungen, die bloß die Inflation ausgleichen, die Menschen in höhere Steuerklassen treiben.

Der Großteil des Entlastungsvolumens im angekündigten Paket lässt sich auf diese beiden von Ökonomen dringend empfohlenen Reformen zurückführen. Das Gute daran ist, dass diese Maßnahmen die Staatsverschuldung nicht erhöhen und keine Gegenfinanzierung benötigen: Denn der Staat gibt de facto kein zusätzliches Geld aus, sondern hält da Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben im Haushalt stabil. Die Einmalzahlungen wie der höhere Klimabonus werden zumindest zum Teil durch zusätzliche Einnahmen bei der Mehrwertsteuer kompensiert.

Gewinn für die Demokratie

Es ist auch für die Demokratie ein Gewinn, wenn einmal vom Nationalrat beschlossene Höhen für Abgaben und Leistungen regelmäßig an die Inflation angepasst werden und der Staat nicht zulässt, dass die tatsächlichen Kosten für den Fiskus Jahr für Jahr sinken, während den Bürgerinnen und Bürgern immer weniger Geld bleibt.

Es bedeutet auch, dass in Zukunft viel weniger Spielraum vorhanden sein wird für scheinbar großzügige Steuerreformen, die den Menschen nur das zurückgeben, was sie zuvor verloren haben. Will der Staat mehr hergeben, braucht er stärkeres Wirtschaftswachstum oder muss effizienter verwalten. Das ist auch ein Schritt zu mehr politischer Ehrlichkeit und Transparenz.

Auch die Sorge, dass das Paket die Inflation weiter anheizen wird, ist unberechtigt. Es sind vor alle externe Faktoren, die die Preise treiben, und nicht eine überschießende Nachfrage. Die wird weiter durch die Teuerung selbst gebremst.

Dämpfung für die Lohnrunde

Vor allem aber wird die Abschaffung der kalten Progression eine dämpfende Wirkung auf die kommende Herbstlohnrunde haben. Wenn die Gewerkschaft weiß, dass die Lohnzuwächse nicht von der Steuer aufgefressen werden, kann sie sich eher bei den Verhandlungen mäßigen. Und eine Valorisierung der Sozialleistungen ist die bestmögliche Sozialpolitik.

Politisch wird das Entlastungspaket ÖVP und Grünen nicht viel nutzen. Denn in Zeiten hoher Inflation sind Menschen grundsätzlich unzufrieden, egal was der Staat für sie tut. Aber diese Strukturreformen werden langfristig positive Spuren hinterlassen.

Wenn es der türkis-grünen Regierung jetzt noch gelingt, die Energiewende so umzusetzen, dass Österreich im nächsten Jahrzehnt tatsächlich Klimaneutralität erreicht, dann dürfte sie ähnlich wie ein paar andere Regierungen in die Geschichtsbücher eingehen: unpopulär, aber erfolgreich. (Eric Frey, 16.6.2022)