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Eine offizielle Bestätigung der deutschen Regierung gibt es nicht, doch laut Berichten mehrerer Medien ist klar: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reist am Donnerstag auch endlich nach Kiew. Er war in diesem Jahr schon einmal dort gewesen, noch vor Beginn der russischen Invasion. Dann zögerte und zögerte er und schob eine weitere Reise in die Ukraine immer weiter hinaus, was ihm harsche Kritik eintrug. Denn viele sind nach Kiew gereist, der britische Premier Boris Johnson etwa, der französische Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und auch der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sowie der deutsche Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU).

Scholz aber schaltete irgendwann auf stur und erklärte: "Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge." Und nun also soll es so weit sein, schließlich lädt Scholz in zehn Tagen ins bayerische Elmau zum G7-Gipfel. Deutschland hat derzeit den Vorsitz in der G7-Gruppe, da wäre es peinlich, wenn der deutsche Kanzler nicht von einem Besuch berichten könnte. Das Thema Ukraine wird den Gipfel dominieren.

Zu hören ist, dass Scholz am Donnerstag gemeinsam mit dem italienischen Ministerpräsidenten Marion Draghi und mit Macron aufbricht, um in der ukrainischen Hauptstadt Präsident Wolodymyr Selenskyj zu treffen. Der hat bereits angekündigt, dass es sich mitnichten um einen Fototermin handeln werde. "Wir brauchen von Kanzler Scholz die Sicherheit, dass Deutschland die Ukraine unterstützt. Er und seine Regierung müssen sich entscheiden. Es darf kein Spagat versucht werden zwischen der Ukraine und den Beziehungen zu Russland, sondern man muss für sich wählen, wo man die Prioritäten setzt", sagte Selenskyj in einem Interview des ZDF, in dem er erneut die Zögerlichkeit Deutschlands bei Waffenlieferungen beklagte: "Ehrlich gesagt ist Deutschland etwas später als einige unserer Nachbarländer dazugekommen, was die Waffenlieferungen angeht. Das ist eine Tatsache. Aber damals, am Anfang des Krieges, brauchten wir nicht die Politik, sondern die Hilfe."

Hilfe auch bei EU-Ansuchen erbeten

Abgesehen von weiteren Waffenlieferungen fordert Selenskyj von den Deutschen auch Hilfe bei einem EU-Beitritt der Ukraine. Er erwarte, so der ukrainische Präsident, dass Scholz "uns persönlich unterstützt und dass er persönlich zuversichtlich ist, dass die Ukraine der EU angehören kann und dass der Status eines Beitrittskandidaten der Ukraine bereits im Juni verliehen wird". Scholz allerdings hat sich bisher zum EU-Beitritt der Ukraine nicht so euphorisch geäußert, wie es sich Selenskyj wünscht. Macron habe recht, wenn er darauf hinweise, dass der Beitrittsprozess "keine Sache von ein paar Monaten oder einigen Jahren" sei, sagte Scholz im Mai im Bundestag. Es dürfe auch "keine Abkürzungen" in die EU geben – aus Gründen der Fairness gegenüber den langjährigen Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan. Diese nämlich will Scholz nicht verstimmen. Er fürchtet, sie könnten sonst in die Arme Russlands oder Chinas getrieben werden.

Was die Waffenlieferungen betrifft, war Scholz zu Beginn der Woche sogar ein bisschen unwirsch. Den Vorwurf, Deutschland tue nicht genug, hört er oft, will ihn aber nicht gelten lassen: "Es ist alles so wie angekündigt. Wir werden die Waffen, die wir auf den Weg gebracht haben, alle liefern", sagte er und fügte hinzu: "Ich glaube, dass es wirklich eine gute Sache wäre, wenn der eine oder andere noch einmal kurz überlegt, bevor er seine Meinung zu dem einen oder anderen Thema äußert." Damit war allerdings nicht Selenskyj gemeint, er zielte auf seine innerdeutschen Kritiker. Der Kanzler verwies auch auf die laufende Ausbildung ukrainischer Soldaten, etwa an der Panzerhaubitze 2000. Deutschland hat zugesagt, sieben Exemplare zu liefern. Scholz sicherte auch zu, dass in der jetzigen "besonders kritischen Phase" Deutschland seine Unterstützung noch erheblich ausweiten werde. Bisher hat Deutschland Waffen und andere Rüstungsgüter im Wert von 350,1 Millionen Euro in die Ukraine genehmigt.

Meinungsverschiedenheit

Natürlich wird es auch darum gehen, wie und wann dieser Krieg enden könnte. Ob Scholz und Selenskyj da zu einer Meinung kommen können, ist fraglich. Vom deutschen Kanzler ist die Aussage, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen müsse, nicht zu hören. Er sagt vielmehr: "Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine muss bestehen." In Anspielung darauf sagte der lettische Ministerpräsident Krišjānis Kariņš vor kurzem bei Scholz' Besuch im Baltikum jedoch: "Unser Ziel ist eindeutig: Russland muss diesen Krieg verlieren, und die Ukraine muss ihn gewinnen."

Skeptisch auf den Besuch von Scholz, Draghi und Macron blickt Selenskyjs Berater Oleksiy Arestowitsch. Er sagte in der "Bild"-Zeitung: "Ich denke, sie werden versuchen, uns zu einem Friedensabkommen zu drängen, wegen der Lebensmittelprobleme. Ich fürchte, sie werden versuchen, ein Minsk III zu erreichen. Sie werden sagen, dass wir den Krieg beenden müssen, der Ernährungsprobleme und wirtschaftliche Probleme verursacht, dass Russen und Ukrainer sterben, dass wir das Gesicht von Herrn Putin wahren müssen, dass die Russen Fehler gemacht haben, dass wir ihnen verzeihen müssen und ihnen eine Chance geben müssen, in die Weltgesellschaft zurückzukehren." (Birgit Baumann aus Berlin, 15.6.2022)