Die Währungshüter der EZB hielten am Mittwoch wegen der hohen Renditeunterschiede der Mitgliedsländer eine Krisensitzung ab.

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Nur eine Woche nach der regulären Zinsentscheidung ist bei der Europäischen Zentralbank (EZB) offenbar Feuer am Dach. Am Mittwoch trommelte die EZB-Spitze den geldpolitischen Rat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, da es seither zu einem Ausverkauf von Staatsanleihen südlicher Mitgliedsstaaten wie Italien gekommen ist. Dadurch fieberten deren Anleiherenditen derart hoch, dass der Renditeunterschied zum Klassenprimus Deutschland den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren erreicht hat. Erinnerungen an die Eurokrise des vergangenen Jahrzehnts wurden wach, als zu große Zinsunterschiede zeitweise den Zusammenhalt der Eurozone gefährdet hatten.

Die EZB will künftig fällige Gelder aus dem Ankaufprogramm PEPP flexibel reinvestieren. Das Corona-Notprogramm PEPP wurde im März beendet, das normale Kaufprogramm APP soll am 1. Juli auslaufen. Insgesamt wurden Staatsanleihen im Wert von mehr als fünf Billionen Euro auf diese Weise von der EZB erworben. Wenn diese Papiere auslaufen, sollen sie reinvestiert werden. Dabei könnten gezielt vermehrt italienische oder griechische Staatspapiere gekauft werden, um deren Renditen zu drücken. Außerdem würden die relevanten Ausschüsse verstärkt an neuen Maßnahmen arbeiten, um die Fragmentierung des Bond-Marktes – sprich das Auseinanderlaufen der Renditen der einzelnen Staaten – zu bekämpfen.

Renditen steigen wieder

Enttäuscht reagierten die Finanzmärkte auf die Ankündigungen. Nachdem die Renditen italienischer Staatsanleihen im Vorfeld der Ad-hoc-Sitzung des EZB-Rats deutlich gesunken waren, zogen sie danach wieder an.

Griechenland hat mit 193 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung noch immer den höchsten Schuldenberg aller Euroländer. Dennoch sollte dies laut Experten nicht zu einem Problem werden, schon wegen der veränderten Struktur der Gläubiger. "Dass die sehr hohen Staatsschulden auch bei steigenden Zinsen finanzierbar sein dürften, liegt vor allem an den gewährten Hilfen der Staatengemeinschaft", erklärt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Mehr als 60 Prozent der griechischen Staatsschulden würden von öffentlichen Gläubigern außerhalb Griechenlands gehalten.

"Whatever it takes"

Im Jahr 2012 konnten zum Höhepunkt der Eurokrise die Finanzmärkte erst beruhigt werden, als der damalige EZB-Chef Mario Draghi seinen berühmten Ausspruch "Whatever it takes" tätigte. Damit versprach er, die Zentralbank werde alles innerhalb ihres Mandats tun, um den Euro zu retten. Auf das Verspechen hin folgte die Entwicklung des Anleihenkaufprogramms OMT, mit dem die Notenbank gezielt unbegrenzt Staatsanleihen betroffener Länder aufkaufen kann. Das Programm wurde allerdings bisher nicht umgesetzt. Schon die Ankündigung reichte damals aus, um die Renditeanstiege einzudämmen.

Analysten hatten auch diesmal einen deutlichen Warnhinweis in Richtung Finanzmärkte erwartet. "Wir rechnen mit einem starken verbalen Bekenntnis der EZB, dass sie eine Fragmentierung innerhalb der Rentenmärkte nicht tolerieren werde", meinte etwa Ulrike Kastens, Europavolkswirtin der Fondsgesellschaft DWS. Ausdrücklich werde sie als eine erste Verteidigungslinie die stärkere konkrete Flexibilisierung der Reinvestitionen bei den Anleihenkäufen in den Mittelpunkt stellen. "Dies könnte zu einer Beruhigung des Marktes beitragen", sagte die Expertin. (Alexander Hahn, 15.6.2022)