Die Staatsverschuldung soll recht konstant bleiben.

In den guten alten Zeiten, also vor der Corona-Pandemie, gab es in der österreichischen Öffentlichkeit regelmäßig hitzige Debatten darüber, ob ein paar Hundert Millionen Euro Mehrausgaben hier und dort eigentlich noch finanzierbar seien oder nicht. Eine Milliarde Euro für die Mindestsicherung: Das war ein Aufreger.

Die Dimensionen haben sich inzwischen verändert, insbesondere seitdem der Staat in den vergangenen zwei Jahren gut 44 Milliarden Euro an Hilfen für Unternehmen und Bürgerinnen zugesagt oder ausbezahlt hat. Wir sind es gewohnt, dass der Staat mit gigantischen Summen um sich schmeißt.

Und nun kommt also schon das nächste Paket. Mit bis zu 28 Milliarden Euro werden Menschen im Land und Unternehmen nach den Zahlen der türkis-grünen Koalition entlastet. Und zumindest jene, für die das immer noch wie eine extrem hohe Zahl erscheint, werden sich fragen: Können wir uns das leisten?

Wichtig ist bei Klärung dieser Frage zunächst, dass die 28 Milliarden nicht von heute auf morgen ausgegeben werden. Das geschieht über fünf Jahr verteilt bis inklusive 2026. Heuer kosten die beschlossenen Entlastungen für Haushalte den Staat fünf Milliarden Euro. Im kommenden Jahr wirkt sich dann auch schon die Abschaffung der kalten Progression aus.

Nun gibt es Zweifel daran, ob es wirklich die 28 Milliarden sein werden, und die Rechnung ist von der Regierung so angestellt, dass die Summe extra groß wirkt – dazu gleich später.

Aber so oder so: Die Maßnahmen kosten viel Geld.

Interessant ist, dass sich laut Einschätzung von Expertinnen und Experten an der Schuldenstruktur Österreichs dennoch relativ wenig verändern wird.

In der Grafik ist die Entwicklung der Staatsverschuldung zu sehen, so wie sie vom Fiskalrat, der die Budgetzahlen der Regierung analysiert, noch Anfang Juni prognostiziert wurde, also vor Präsentation des aktuellen Pakets. Demnach sollten die Schulden bis 2025 auf rund 72 Prozent der Wirtschaftsleistung sinken – von aktuell um die 80 Prozent.

Daran wird sich nicht groß etwas ändern, laut Schätzungen des Finanzministeriums soll die Schuldenquote bis 2026 nach neueren Schätzungen bei 74 Prozent liegen – und zwar eben unter Berücksichtigung der Entlastungen.

Der Staat gibt viele Milliarden aus, und dennoch bleibt die Schuldenquote stabil? Wie geht das? Hier spielt eine Reihe von Faktoren zusammen:

Zunächst hilft die Inflation auf mehreren Ebenen. Die Staatsverschuldung wird immer in Prozent der Wirtschaftsleistung angegeben. Und hier wirkt es sich aus, wenn die Inflation hoch ist. Denn die nominelle Wirtschaftsleistung, um die es hier geht, also der Wert der erzeugten Produkte und Dienstleistungen sowie bezahlten Löhne, wächst automatisch kräftiger, wenn die Preise stärker steigen.

Der Staat nascht mit

Dazu kommt, dass die hohe Inflation dafür sorgt, dass der Staat aktuell mehr Steuern einnimmt. Nur ein Beispiel: Zwischen Jänner und April 2022 hat der Staat bei der Umsatzsteuer um fast zwei Milliarden Euro mehr eingenommen als im selben Zeitraum 2021. Das liegt an den höheren Preisen für Sprit, Lebensmittel, Hotels und Co. Der Staat "nascht" hier mit. Dieser Effekt darf allerdings nicht überschätzt werden.

Denn auf der anderen Seite kommen laufend höhere Kosten auf den Staat zu. Die Regierung wird die Gehälter für Polizisten und das Pflegepersonal anheben müssen. Auch wenn der Staat zum Beispiel eine Schule renovieren lässt, kostet ihn das mehr als vor einem Jahr. Aber insgesamt dürfte nach Erwartung der Expertinnen und Experten die Inflation dennoch mehr Geld in die Kassen spülen.

Dazu kommt noch ein Effekt: Vielleicht zum letzten Mal profitiert der Finanzminister davon, dass die Zinsen derart niedrig sind.

Eine Kombination aus global sinkenden Zinsen und der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank hat dafür gesorgt, dass der Staat für seine bestehenden Schulden schon seit Jahren tendenziell immer weniger zahlt. Allein seit 2016 haben sich die Ausgaben für den Schuldendienst etwa halbiert (siehe Grafik). Auch das hat Spielräume geschaffen.

Die erwähnten Einsparungen durch die günstige Neuverschuldung gehen zu Ende: In ein bis zwei Jahren werden laut dem Wifo-Ökonomen Simon Loretz die Zinsausgaben wieder zu steigen beginnen. Aber das ist ein langsamer Prozess. Und durch die hohe Inflation werden die nominellen Staatseinnahmen ja wie schon erwähnt auch gestiegen sein – die Schuldenlast wird also im Verhältnis zu Einnahmen weniger drückend sein. Schuldner profitieren von Inflation: Hier zeigt es sich wieder.

Dazu kommt, als letzter Faktor, dass die Wirtschaft auch wächst, Unternehmen also mehr Gewinne machen, mehr Menschen in Beschäftigung sind.

Neuverschuldung steigt wohl auch moderat

All diese Effekte führen dazu, dass die Neuverschuldung Österreichs, also das Defizit, recht moderat steigen sollte. Im kommenden Jahr sollen es statt 1,5 Prozent nun unter Einrechnung des Entlastungspakets 2,4 Prozent sein. Auch dieser Wert wird in Relation zur Wirtschaftsleistung gemessen, erscheint daher zusätzlich moderat. "Alles in allem sind die budgetären Spielräume vorhanden", sagt auch Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) im Hinblick auf die Frage, ob wir uns das leisten können.

Natürlich gibt es offene Fragen – und Zweifel. Zunächst hat noch keines der Forschungsinstitute die Annahmen des Finanzministeriums nachgerechnet.

Dort heißt es, dass die Steuerreform sich de facto zu 80 Prozent selbst finanziert. Zu 50 Prozent, weil mehr Geld durch höhere Inflation hereinkommt, und zu 30 Prozent, weil die Entlastungspakete die Wirtschaft ankurbeln sollen. Diese Annahmen hält Chef des Fiskalrates, Christoph Badelt, für "unplausibel", die Annahmen zu großzügig. Simon Loretz vom Wifo kann vor allem das mit den 50 Prozent nicht nachvollziehen.

Aber die Kombination aus hoher Inflation, niedrigen Zinsen und einer noch ganz gut laufenden Konjunktur, sorgen dafür, dass auch Badelt an der Finanzierbarkeit nicht grundsätzlich zweifelt: "Dafür, was leistbar ist, gibt es aktuell angesichts der österreichischen Situation bei den Staatsschulden keine offensichtliche Grenze."

Leistbar – aber auch sinnvoll?

Leistbar heißt aber freilich nicht, dass die Ausgaben auch Sinn machen – und hier liegt wohl einer der Knackpunkte.

Badelt dazu: Ein Teil der Entlastungen kommt ärmeren Menschen zugute, die extrem unter der hohen Inflation stöhnen. "Das müssen wir uns leisten", so Badelt. "Zugleich aber gibt es umfassende Entlastung für Menschen, die es nicht unbedingt bräuchten", so der Chef des Fiskalrates. Gemeint ist damit, dass auch Reiche von Einmalzahlungen beim Klimabonus profitieren, aber vor allem, dass die kalte Progression abgeschafft wird, von der Gutverdiener mehr haben.

Der neue Automatismus

Dazu kommt, dass auch weitere Sozialleistungen mit der Inflation künftig mitwachsen sollen. All das bedeute letztlich, dass "wir von einem Automatismus, der Einnahmeerhöhungen bringt, zu einem Automatismus mit Ausgabenerhöhungen umstellen", so Badelt.

Das werde budgetäre Spielräume verengen und die Frage aufwerfen: Wie finanzieren wir Ausgaben für Klimaschutz, für Pflege oder Bildungssystem, wie höhere Kosten für die Landesverteidigung? Hier sieht Badelt aktuell kein Konzept der Regierung am Horizont.

So deutet alles darauf hin, dass der Staat sich die Milliarden an Steuerentlastungen zwar leisten kann, ihm dafür allerdings dann an anderer Stelle der Spielraum für Gestaltungen ausgeht.

Zum Schluss der Hinweis auf die Berechnung des Paketes. Hier wendet die Regierung einen kleinen Rechentrick an: Die längerfristigen Entlastungen werden jedes Jahr kumuliert gerechnet. Im ersten Jahr, also 2023, werden dem Finanzminister grob geschätzt 1,5 Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgehen durch die Abschaffung der kalten Progression. Im zweiten Jahr wird das eine vermutlich noch etwas höhere Summe, dazugekommen wegen der gestiegenen Inflation. Und so weiter bis 2026.

Das Finanzministerium rechnet für die Entlastung nun aber nicht einfach den Betrag für jedes Jahr zusammen, sondern setzt den Betrag, der ihm 2023 entgehen wird, auch in den Folgejahren als entgangene Einnahme zusätzlich an. Allein die Entlastung im ersten Jahr summiert sich dann bis 2026 auf gut sechs Milliarden Euro. Diese Rechenart ist nicht falsch, eine einmalige Entlastung, die bleibt, ist immer eine entgangene Einnahme für den Staat. So erscheint das Paket aber natürlich aber exorbitant groß. Die Bürger spüren die Entlastung aus dem ersten Jahr natürlich auch nur im ersten Jahr. (András Szigetvari, 16.6.2022)