Foto: Regine Hendrich

Ein Soldat schiebt in der prallen Sonne vor dem Eingang zum Pflege- und Seniorenheim Wache. Das Maimonides-Zentrum im zweiten Wiener Gemeindebezirk ist wohl die am besten bewachte Seniorenresidenz Österreichs. Während man sich in anderen Heimen im Land in den letzten beiden Jahren nur daran gewöhnen musste, dass ein Corona-Test kontrolliert wird, wartet im Maimonides-Zentrum ein Sicherheitscheck wie auf einem kleinen Flughafen. Neben dem Virus fürchtet man hier Antisemitismus. Denn das Haus ist Teil des größten jüdischen Campus in Europa. In direkter Nachbarschaft sind die Zwi-Perez-Chajes-Schule und der Hakoah-Sportverein samt Fitnesscenter und Pool.

Wenn man aber den Sicherheitscheck hinter sich gebracht ist, steht man in einem lichtdurchfluteten, offenen Foyer, das direkt in eine Cafeteria übergeht, die auf einen grünen Innenhof blickt.

Werke der Bewohnerinnen und Bewohner im Maimonides-Zentrum, die sie in der Kunsttherapie im Atelier des Hauses schufen.
Foto: Regine Hendrich

Gegenüber den Kaffeehaustischen ist ein gut besuchter Friseursalon. Seit 15 Jahren gibt es das Haus, in dem man entweder in eigenen Wohnungen betreut wird oder im Pflegeheim leben kann. Nicht alle Bewohner sind jüdisch, aber es wird koscher gekocht, und alle jüdischen Feiertage werden gefeiert.

Bunte Papierblumen

Am Mittwoch zieht eine Gruppe von Besucherinnen und Besuchern alle Blicke auf sich. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) besuchen gemeinsam den Campus und starten ihren zweistündigen Rundgang im Maimonides-Zentrum. Danach wurde die Partnerschaft zwischen der Polizei und der IKG im Rahmen der Initiative "Gemeinsam sicher" in der Synagoge der ZPC-Schule feierlich unterzeichnet. Die bunten Papierblumen, die dabei die Bänke in der Synagoge schmückten, waren noch von der Maturafeier der letzten Woche übrig. Doch auch die Viertklässler, die bei der Unterzeichnung dabei sind, haben etwas zu feiern. Am Mittwoch war Notenschluss.

Schüler der ZPC.
Foto: Regine Hendrich

Der Lehrplan unterscheidet sich von jenem anderer Gymnasien nur darin, dass zusätzlich Iwrit als erste lebende Fremdsprache unterrichtet wird und zum allgemeinen Geschichtsunterricht auch jüdische Geschichte gelehrt wird. Die Kinder sind teils aus religiösen, teils aus säkularen Familien. Schon im ebenfalls im Gebäudekomplex beheimateten Kindergarten und in der Volksschule lernen sie Iwrit und zumindest das Erkennen der hebräischen Buchstaben.

Ein Teil des hebräischen Alphabets, das über mehrere Stockwerke das Foyer der Schule schmückt.

Gefragt, ob sie auch miteinander Iwrit sprächen, nicken die Teenager, die nach der Unterzeichnung noch in der Synagoge beieinanderstehen, einstimmig. "Weil das ist die Sprache, die die Lehrer nicht verstehen", erzählt ein Mädchen begeistert. Ihr Schulkollege wendet ein: "Außer der Chemielehrer, der kann Iwrit und noch so viele andere Sprachen, vor dem kannst du nichts reden, der versteht alles."

Karner und Deutsch sind währenddessen schon weitergezogen vor die Synagoge, um noch den Kindergarten und das Sportzentrum zu besichtigen. Der Innenminister betont, dass Gemeinsam sicher "natürlich keine harte Polizeiarbeit ersetzt", auch nicht den Kampf der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst gegen die im Zuge der Pandemie gestiegenen antisemitischen Straftaten, es sei aber ein "starker symbolischer Schulterschluss".

Zweimal Im Jahr werde man sich nun zusätzlich bilateral austauschen. Die Initiative Gemeinsam sicher versteht sich als "professioneller Sicherheitsdialog zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Gemeinden und der Polizei, die konkrete Ansprechpartner in Einrichtungen, Institutionen oder auch Grätzeln hat. Andere Sicherheitspartner der Polizei sind zum Beispiel die Post und die Asfinag, aber auch Supermarktketten. Und seit Mittwoch die IKG.

Märchengruppe mit Innenminister

"Weiß Du, was ein Innenminister ist?", wird ein kleines Mädchen in der Märchengruppe des Kindergartens von einer Pädagogin gefragt. Das Mädchen zuckt fröhlich lächelnd mit den Schultern, aber auch hier beäugt man den Besuchertross neugierig.

Schabbat schalom steht auf der Pinnwand vor einem Gruppenraum.
Foto: Regine Hendrich

Die jüdische Leiterin des Kindergartenns, Tali Bauer, und die pädagogische Leiterin, Irma Dhillon, haben für den Kindergarten ein eigenes bilinguales Konzept. Manche Pädagoginnen und Betreuerinnen sprechen nur Iwrit, manche nur Deutsch mit den Kindern. Am Ende können alle alles. "Kinder saugen Sprachen auf wie ein Schwamm", erzählt Bauer, die selbst an der ZPC maturiert hat und jetzt schon zwölf Jahre den Kindergarten mitführt.

Der jüdische Campus in der Leopoldstadt ist sowohl flächenmäßig als auch von der Personenzahl her der größte Europas. Über die verschiedenen Institutionen versammeln sich alle Generationen auf dem Areal, rund 1.000 Menschen gehen hier täglich ein und aus.

"Verwirf mich nicht in meinem Alter, verlass mich nicht, wenn ich schwach werde", dieser Psalm kann hier als Leitgedanke verstanden werden. Die Generationen auf dem Campus sind sich nicht nur räumlich nah, sie profitieren auch voneinander. Die Schüler erzählen von den Besuchen von Holocaust-Zeitzeugen. Einer habe die Reichskristallnacht miterlebt: "Er war über 90 und ist gestanden bei seinem Vortrag, nicht gesessen", sagt ein Schüler sichtlich beeindruckt.

Blick ins Hakoah-Fitnesscenter.
Foto: Regine Hendrich

Das Erinnern übernehmen auf den Gängen des Hakoah-Sportzentrums auch viele Glasvitrinen mit alten Vereinswimpeln, Medaillen und Urkunden, Zeitungsausschnitten und Fotos. Die glorreichen Zeiten des Hakoah-Fußballklubs sind hier ebenso dokumentiert wie die des Schwimmerteams.

Der Geschäftsführer der ZPC-Schule, Daniel Brandl, und der Leiter des Maimonides-Zentrums, Micha Kaufmann, bedauern beim Spaziergang durch das Sportzentrum, wo trainiert, Tennis gespielt, geschwommen oder auch gefochten werden kann, beide, dass der Kontakt zwischen den Alten und den Kindern durch Corona komplizierter geworden ist. Doch abgebrochen ist er nicht. Es gibt gemeinsame Kochkurse, gemeinsames Musizieren, und manchmal wohnen auch die eigenen Großeltern in der Seniorenresidenz. Ein Erlebnis werde ihn "bis ans Ende begleiten", erzählt Kaufmann gerührt: "Wir hatten einen demenzkranken Mann, der seit drei Jahren stumm war. Als die Kinder zum Musizieren da waren, hat er plötzlich zu singen begonnen." (Colette M. Schmidt, 15.6.2022)