Mit so manchem Klimaprojekt wäscht die Stadt Wien nicht nur Passanten, sondern auch ihr Image.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Die Stadt Wien ist beim Klimaschutz ganz vorn dabei – zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn man ins Regierungsprogramm der Stadtkoalition aus SPÖ und Neos aus dem Jahr 2020 blickt. "Wir drehen an den großen Schrauben und machen Wien zur Klimamusterstadt", liest man da. Und weiter: "In Zukunft soll Wien europaweites Vorbild für Klimaschutz sein." Und nochmals weiter: "Wir setzen auf Klimaschutz, Klimawandelanpassung und Kreislaufwirtschaft."

Schöne Worte. Aber wie steht die Millionenstadt wirklich da in Sachen Klimaschutz? Immerhin: Den Bau der höchst umstrittenen Stadtstraße im 22. Bezirk Donaustadt boxt Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) eisern durch – gegen den massiven Widerstand von Klimaaktivistinnen. Ein Protestcamp, das die Baustelle blockierte, ließ die Stadt Anfang April gar räumen.

Manch roter Bezirkskaiser scheint es darüber hinaus als Kernaufgabe zu begreifen, um den Erhalt jedes Parkplatzes zu kämpfen. Der Donaustädter Bezirkschef Ernst Nevrivy (SPÖ) etwa beschimpfte jüngst eine Riege von Verkehrsexperten und Klimawissenschaftern, die sich in einem offenen Brief kritisch mit der Klimapolitik der Stadt Wien auseinandersetzten, schlicht als "Heisln".

Zugleich gibt es in Wien unbestritten auch jede Menge vernünftiger und sinnvoller Klimaschutzmaßnahmen. Aber welche? Und bei welchen handelt es sich umgekehrt vor allem um Polit-PR, um Greenwashing? Sieben Wiener Maßnahmen im Greenwashing-Check.

1. Es grünt auf den Fassaden

Die Fassaden neuerrichteter Häuser in Wien müssen zumindest zu einem Fünftel begrünt sein – so sieht es ein neues Gesetz in Wien vom Sommer 2020 vor. "Ich sehe das kritisch", sagt dazu Stadtklimaexperte Simon Tschannett. Begrünungen von Fassaden würden enorme Mengen Wasser benötigen; und überdies sei Wiens großflächiger Baubestand, also vornehmlich die Altbauten, nicht von der Maßnahme erfasst, weil sie nur für Neubauten gilt. "Die beste Begrünung ist immer noch ein Baum vor dem Haus", sagt Tschannett.

Das Gebäude der MA 48
in Wien-Margareten gilt
als Musterbeispiel einer begrünten Fassade.
Foto: MA19/Christian Fürthner

Aber um mehr Bäume in die Stadt zu bekommen, müsste das Rathaus weitreichende Maßnahmen setzen. Das wären etwa die Entfernung vieler Parkplätze und überhaupt das Umkrempeln der städtischen Mobilität. Begrünte Fassaden dienen also ein Stück weit als bequeme Ausrede, um weitreichende umstrittene Maßnahmen nicht angehen zu müssen. Obwohl begrünte Fassaden also durchaus für Abkühlung und ein angenehmes Stadtklima sorgen, ist der Greenwashing-Faktor eher hoch.

Greenwashing-Punkte: 3/5

2. Cool, diese Straßen!

Es war eines der Prestigeprojekte der vergangenen Wiener Stadtregierung von SPÖ und Grünen: 18 Gassen in Wien wurden temporär autobefreit und in "Coole Straßen" verwandelt – erneut einer dieser PR-Begriffe, wie sie das Rathaus gerne verwendet. Vier aus der erlesenen coolen Riege wurden seither zu Coolen Straßen Plus; also zu dauerhaft autofreien Zonen. Die Straßenzüge befinden sich auf der Wieden, in Penzing, Rudolfsheim-Fünfhaus und Floridsdorf.

Einige Hundert Meter Gasse in Wien wurden aufgehübscht und autobefreit.
Foto: Mobilitätsagentur/Christian Fürthner

Alles in allem wurden also einige Hundert Meter Gasse zu etwas aufgehübschten Fußgängerzonen verwandelt – durchschlagende Klimaschutzmaßnahmen sehen anders aus. "Für die Bevölkerung im Grätzel, die eine solche Gasse nutzt, ist diese Maßnahme sicher gut. Und zur Bewusstseinsbildung in Sachen Klimakrise taugt sie auch", sagt Stadtklimaexperte Simon Tschannett. "Aber für echten Klimaschutz muss man die Stadt als Ganzes in den Blick nehmen, nicht einzelne Gassen."

Greenwashing-Punkte: 4/5

3. Das Treibhausgasbudget

"Die anderen Bundesländer sollten es Wien gleichtun", fordert Simon Tschannett, Stadtklimaexperte von Weatherpark, einem Ingenieurbüro für Meteorologie in Wien. Worum geht's? In einem vorbildhaften Akt arbeitet das Wiener Rathaus – zumindest ansatzweise – an einem Treibhausgasbudget samt Reduktionspfaden.

Bis zum Jahr 2040 dürfen demnach laut Smart-City-Strategie in der Hauptstadt nur noch 60 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen werden, damit sich die Erreichung der Klimaziele von Paris noch ausgeht. Besonders große Veränderungen sind demnach in den Bereichen Gebäude und Verkehr nötig.

Das Problem an all dem: Das Wiener Treibhausbudget existiert bislang nur auf dem Papier; die Bewährungsprobe steht erst bevor. Konkret: Zwar hat die Gemeinde definiert, wie viel Ausstoß bis 2040 noch sein darf, offen ist allerdings die Frage, was bei Nichterreichung der Reduktionsziele geschehen soll. "In diesem Fall müssten drastische Maßnahmen erfolgen, die aktuell nicht in Sichtweite sind", sagt Michael Spiekermann von Fridays for Future. Außerdem ungeklärt ist die Frage der Koordination mit dem Bund. Die Wiener Maßnahmen müssten nämlich ins Klimaschutzgesetz auf Bundesebene eingebettet sein, das ähnliche Reduktionspfade für die ganze Republik vorsieht. Allerdings: Dieses Regelwerk existiert noch nicht. Die türkis-grüne Regierung hat es bisher lediglich in Aussicht gestellt.

Wenn alles fertig ist – falls es jemals so weit kommt –, könnte man sich das Prozedere ungefähr wie den Finanzausgleich vorstellen. Bund und Länder verhandeln, welche Emissionen welcher Ebene zugerechnet werden und welche Konsequenzen drohen, sollte eine Ebene ihre Ziele verfehlen. Auch wenn all das noch nicht einmal in den Kinderschuhen steckt: Immerhin ist Wien ein Vorreiter.

Greenwashing-Punkte: 0/5

4. Ein Sommerspritzer mit Brunnhilde auf dem Karlsplatsch

Es gibt in Wien ernsthafte Klimaschutzmaßnahmen à la Treibhausgasbudget und Investitionen im Energiebereich. Aber nicht nur. Unter dem Titel "Aktuelle Maßnahmen gegen die Klimakrise" feiert sich die Gemeinde auf ihrer Website selbst wegen der "Nebelduschen und Nebelstelen im öffentlichen Raum", die sie hat errichten lassen. Per Onlinevoting ließ das Rathaus gar dazugehörige witzige Namen ermitteln. Die da wären "Brunnhilde", "Sommerspritzer" und "Karlsplatsch".

Nebelduschen sorgen für Abkühlung – sind aber keine Klimaschutzmaßnahme, wie gerne postuliert wird.

Zur Klarstellung: Nebelduschen in der sommerlich brütend-heißen Stadt sind schön und gut. Aber sie allen Ernstes als Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsmaßnahmen zu präsentieren ist doch ziemlich gewagt. Genau das geschieht aber. So schwärmt etwa Mobilitätsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) in Presseaussendungen gern im Zusammenhang mit den Sprühduschen von der "Klimamusterstadt" Wien. Klares Fazit: Hinter dem Sprühnebel lauert höchste Greenwashing-Gefahr.

Greenwashing-Punkte: 5/5

5. Investieren in Energie

Klotzen statt Kleckern – das dürfte derzeit das Motto des stadteigenen Energieunternehmens Wien Energie sein. Gleich knapp 1,3 Milliarden Euro stellt das Unternehmen in den kommenden drei Jahren für Klimaschutzinvestitionen bereit. Vieles davon fließt beispielsweise in den Heizungssektor. Hier hat Wien ein Problem, weil zahlreiche Altbauwohnungen mit Erdgas beheizt werden.

Spätestens der Ukraine-Krieg zeigt, dass Gasthermen gleich in doppelter Hinsicht problematisch sind: aus Gründen des Klimaschutzes ebenso wie aus Gründen der Versorgungssicherheit und Abhängigkeit von Russland. Mit den Investitionen der Wien Energie soll beispielsweise die Suche nach Geothermie forciert werden, also nach Hitze unter der Erde. Bis zum Jahr 2040 soll sich die Wiener Fernwärme zu 28 Prozent aus Geothermie speisen – derzeit spielt die Erdwärme im Fernwärmenetz noch kaum eine Rolle. Auch beim Thema Photovoltaik hat man sich viel vorgenommen. Alles in allem: ein lohnendes, wichtiges Unterfangen.

Greenwashing-Punkte: 0/5

6. Viel weniger Autos

Es ist ein hochambitioniertes Ziel: Bis zum Jahr 2030 – also schon in acht Jahren – soll sich der motorisierte Individualverkehr (MIV) in Wien nahezu halbiert haben. So hat es sich die Stadt in ihrer sogenannten Smart-City-Strategie vom vergangenen Februar vorgenommen. Konkret soll der Anteil des MIV am gesamten städtischen Verkehrsaufkommen im Jahr 2030 nur noch 15 Prozent betragen. Derzeit sind es noch 27 Prozent. Unbestritten handelt es sich bei dieser Zielvorgabe um eine richtige und sinnvolle Maßnahme. Der Autoverkehr ist einer der besonders problematischen Bereiche beim Klimaschutz in Österreich. In diesem Sektor sind Österreichs CO2-Emissionen seit 1990 um knapp 30 Prozent gestiegen, während sie in anderen wichtigen Bereichen wie Industrie und Landwirtschaft gesunken sind.

Wichtig sind sie also zweifellos, die Ziele im Verkehrsbereich. Doch zugleich sind sie mutloser, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Denn mit ihrem Ziel einer Halbierung des MIV bis 2030 übernimmt die Stadt Wien lediglich die Verkehrsreduktionsziele der EU, die ohnehin in ganz Europa verpflichtend sind – ohne selbst noch etwas draufzugeben. "Die Ziele sind so gewählt, dass sie durch EU-Maßnahmen ohnehin erreicht werden, ohne dass die Stadt viel tun muss", kritisiert Michael Spiekermann von Fridays for Future. "Ein Feigenblatt" sei das. Noch dazu, sagt Spiekermann, werde an die Reduktion des Lkw-Verkehrs in den Konzepten kaum gedacht, lediglich an die Pkws.

Darüber hinaus: Bis hierher war noch gar nicht die Rede davon, inwieweit die Stadt ihre Ziele auch ernsthaft verfolgt. Vieles deutet nämlich darauf hin, dass das jedenfalls nicht durchgängig der Fall ist. Beispielsweise verfügt Wien zwar über ein dichtes Öffi-Netz, das ständig weiter ausgebaut wird – zugleich jedoch bekennt sich das Rathaus weiterhin zum Bau neuer Infrastruktur für Autos, wie das Beispiel Stadtstraße zeigt. Auch von einer spürbaren Reduktion der Parkplätze ist man weit entfernt. Und was das Fahrradwegnetz betrifft: Ohnehin schon Stückwerk, wurden seit Ende der Corona-Lockdowns manch temporäre Radwege gar wieder rückgebaut.

Fazit: Keine Frage, ambitionierte Verkehrsziele sind von höchster Bedeutung. Aber Wien hält sich lediglich an das Mindestniveau, das die EU vorgibt. Und – die Umsetzung ist ziemlich mutlos.

Greenwashing-Punkte: 3/5

7. Der Direktor für eh alles

Ende Oktober letzten Jahres fand unbemerkt eine kleine Revolution in der Wiener Stadtverwaltung statt. Installiert wurde das Amt des Klimadirektors, das in der Rathaushierarchie über sämtlichen Magistratsabteilungen steht und Bürgermeister Michael Ludwig und dem Magistratsdirektor direkt unterstellt ist. Der erste Inhaber des Amtes ist Andreas Januskovecz, zuvor städtischer Forstdirektor. Er soll nun alle Klimaagenden – und diese reichen von Verkehr über Energieerzeugung bis zum Gebäudebereich sehr weit – überblicken und koordinieren. Eine gute Sache, grundsätzlich: " Es ist sehr wichtig, alles Wissen und alle Ressourcen in allen Magistrate so zu koordinieren, dass unter Hochdruck und professionell an der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen gearbeitet werden kann", urteilt Michael Spiekermann von Fridays for Future. Freilich: Die entscheidende Frage ist, ob der neue mächtige Klimadirektor genug Rückendeckung von den Politikern erhält. Wenn nicht, dann hilft auch die beste Verwaltungsreform nichts.

Greenwashing-Punkte: 0/5

(Joseph Gepp, 22.6.2022)