Bisher hat sich Rainer Seele nicht zu den Vorwürfen geäußert, die gegen ihn im Raum stehen. Dem Aufsichtsrat hat er vor der Aktionärsversammlung geschrieben.

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Der frühere OMV-Chef Rainer Seele dürfte auf dem Weg in die Offensive sein. Der Manager, der den größten Industriekonzern des Landes im Vorjahr verlassen hat, steht aus mehreren Gründen in der Kritik, etwa wegen der Verlängerung der Gaslieferverträge mit Russland bis 2040 und wegen interner Vorgänge, die die OMV einer Prüfung unterzogen hat bzw. noch unterzieht. Die Hauptversammlung des börsennotierten Energiekonzerns hat dem Ex-Vorstandsvorsitzenden am 3. Juni dann mit 71 Prozent die Entlastung verweigert. Seele hat sich zu den Vorwürfen bisher nicht öffentlich zu Wort gemeldet.

Intern jedoch schon. Wie DER STANDARD erfahren hat, hat der heute 61-Jährige dem Aufsichtsratschef des Unternehmens, Marc Garrett, im Vorfeld der Aktionärsversammlung einen Brief seines Rechtsanwalts Stefan Prochaska zukommen lassen, in dem er sehr deutlich auf seine Sicht der Dinge hinweist. Darin hat er den Vorsitzenden des Kontrollgremiums aufgefordert, die Tatsachen in der Aktionärsversammlung korrekt darzustellen. Das erklärt Anwalt Prochaska auf Anfrage des STANDARD. Der Brief soll inzwischen auch der Staatsholding Öbag vorliegen, die mit 31,5 Prozent an der OMV beteiligt ist.

Umstrittene Entscheidungen Seeles

Aufsichtsratschef Garrett hatte den Aktionären zu Beginn ihrer Zusammenkunft die Nichtentlastung empfohlen. Seele steht vor allem wegen der frühzeitigen Verlängerung der russischen Gaslieferverträge im Jahr 2018 in der Kritik, die Kontrakte wurden damals von 2028 auf 2040 verlängert. Eine Ausstiegsklausel ist darin nicht vorgesehen, und zahlen muss der teilstaatliche Konzern auch bei Nichtabnahme der Lieferungen. Garrett nannte die Investitionen in Russland ab 2015 "ex post betrachtet" einen "Fehler".

Als einen Grund für die Empfehlung der Nichtentlastung nannte der Aufsichtsratschef die Verletzung konzerninterner Governance-Regeln. Dafür soll jene Nebenabsprache ausschlaggebend gewesen sein, die dem langjährigen Compliance-Chef des Unternehmens 2020 unter Seele in dessen Vertrag zugestanden worden sein soll, mit Kündigungsschutz bis 2023 bzw. Überbrückungszahlung bei Kündigung durch den Arbeitgeber. Gerüchteweise geht es um ein bis zwei Millionen Euro. Der Aufsichtsrat hatte den Sideletter genehmigt, Seele hatte dazu ein Rechtsgutachten der Uni-Professoren Susanne Kalss und Franz Marhold erstellen lassen.

Untersuchungen laufen

Diese revidierten ihre Expertise nun aber kurz vor der Hauptversammlung mit der Begründung, ihnen sei die wesentliche Information vorenthalten worden, dass Seele nicht den gesamten Vorstand eingebunden habe. Abseits dessen ist auch das 2018 beschlossene Sponsoring der OMV für den russischen Fußballklub Zenit St. Petersburg Thema in der Auseinandersetzung mit der Ära Seele; dabei geht es um 24 Millionen Euro für fünf Jahre. Eine deutsche Anwaltskanzlei untersucht all das derzeit noch.

Der Compliance-Chef, der in der Ära Seele heikle Vorgänge auch im Vorstandsbereich geprüft hatte, musste das Unternehmen tatsächlich verlassen, auf Veranlassung des seit September 2021 amtierenden Vorstandsvorsitzenden Alfred Stern.

Seeles Sicht der Dinge

Genau darauf nimmt Seele in seinem Brief an den Aufsichtsratschef Bezug. Laut Prochaska hat man ihn darin aufgefordert, die Tatsachen in der HV korrekt darzustellen. Man erwarte, dass in der Frage der Entlastung objektiv vorgegangen werde; die Vorwürfe, die man ihm macht, teilt Seele nicht. Vorwerfbar sei ihm dagegen der Umgang mit dem Compliance-Manager, der unter drei Generaldirektoren gearbeitet und beste Arbeit geleistet habe, soll sinngemäß in dem Schreiben zu lesen gewesen sein. Antwort habe er keine bekommen, sagt Prochaska.

Gerüchte, wonach Seele in dem Brief an den Aufsichtsratschef auch auf finanzielle Ansprüche aus seiner Ausscheidensvereinbarung mit der OMV hingewiesen hat, weist der Anwalt zurück. Die OMV verweist auf Anfrage auf die laufende Untersuchung zur Einhaltung von Governance-Regelungen. Garrett habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Entscheidung, Antrag auf Nichtentlastung zu stellen, "auf Basis des derzeitigen Informationsstands getroffen wurde und das Ergebnis laufender Untersuchungen selbstverständlich nicht vorwegnimmt".

Der gebürtige Deutsche Seele war 2015 in den Chefsessel der OMV gekommen, im April 2021 – nach heftigen Turbulenzen im Unternehmen – wurde bekanntgegeben, dass er seinen bis Juni 2022 laufenden Vertrag nicht verlängern lassen werde.

Dass der Brief an den Aufsichtsrat die letzte Wortmeldung des einstigen OMV-Chefs bleibt, ist nicht zu erwarten. (Renate Graber, 17.6.2022)