Die 2019 eingeführte Indexierung der Familienbeihilfe verstößt laut EuGH gegen das Unionsrecht und gegen die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

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Brüssel/Luxemburg – Die Indexierung der Familienbeihilfe in Österreich ist nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) rechtswidrig. Die Anpassung der Höhe von Familienleistungen, Kinderabsetzbeträgen und anderen familiären Steuervorteilen für EU-Bürger, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber im Ausland leben, verstoße gegen Unionsrecht, kommen die Luxemburger Richter in dem am Donnerstag veröffentlichten Urteil zum Schluss.

Österreich drohen nun Nachzahlungen. Man sei "für alle etwaigen Rechtsfolgen durch das Urteil des Gerichtshofs vorbereitet", hieß es zuletzt aus dem Familienministerium. Ressortchefin Susanne Raab (ÖVP) hat laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung im Mai bereits Rückstellungen von 220 Millionen Euro für mögliche Nachzahlungen gebildet.

Raab fände Indexierung weiterhin fair

Die zuständige Fachsektion werde das Urteil nun im Detail prüfen und die zur Umsetzung notwendigen Schritte einleiten. Ein Gesetzesvorschlag zur Erstattung der Differenzbeträge werde ehestmöglich an das Parlament übermittelt, heißt es in einer ersten Stellungnahme am Donnerstag.

Das Urteil sei zur Kenntnis zu nehmen, Raab halte aber weiter daran fest, dass eine Anpassung der Familienbeihilfe an den Wohnort gerecht wäre. "Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist selbstverständlich zur Kenntnis zu nehmen. Dessen ungeachtet bin ich weiterhin der Ansicht, dass eine Anpassung der Familienleistungen für Kinder, die im Ausland leben, an die dortigen Lebensumstände nur fair wäre. Der EuGH hat nun anders entschieden und das ist zu akzeptieren."

Türkis-blaues Projekt

Die Indexierung der Familienbeihilfe war ein Prestigeprojekt der türkis-blauen Regierung. Familienleistungen und Kinderabsetzbeträge für in Österreich arbeitende EU-Bürger wurden an die Lebenserhaltungskosten in dem Land, in dem die Kinder leben, angepasst. Während Berechtigte etwa durch die Indexierung für Kinder in Irland mehr bekommen, gibt es für Kinder in Rumänien nicht einmal die Hälfte von dem, was für ein Kind in Österreich ausgezahlt wird.

Die EU-Kommission war der Auffassung, dass dies gegen die EU-Vorschriften über die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoße und diskriminierend sei. Die Brüsseler Behörde reichte im Mai 2020 beim EuGH Klage ein. In seinem am Donnerstag verlautbarten Urteil, stellte der EuGH zunächst fest, dass die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag Familienleistungen im Sinne der "Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit" sind, und somit nicht aufgrund des Wohnorts von Berechtigten oder deren Angehörigen gekürzt werden dürfen.

Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit

Die Familienleistungen, die ein Staat Erwerbstätigen gewährt, deren Angehörige in diesem Staat leben, müssen daher exakt gleich hoch sein wie jene, die Erwerbstätige mit Familienangehörigen in anderen Staaten bekommen. Die österreichische Indexierung verstößt somit gegen Unionsrecht. Zusätzlich dazu stelle der Anpassungsmechanismus eine "mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit" dar, die nicht gerechtfertigt sei. Größtenteils betreffe die Regelung Menschen aus Ländern, in denen die Lebenserhaltungskosten niedriger sind und für die die sozialen und steuerlichen Vergünstigungen somit niedriger ausfallen, als für österreichische Arbeitnehmer.

Ebenfalls verstoßt die Indexierung gegen "die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union". Wanderarbeitnehmer sind nämlich in gleicher Weise wie inländische Arbeitnehmer an der Festsetzung und Finanzierung der Beiträge, die der Familienbeihilfe und den Steuervergünstigungen zugrunde liegen, beteiligt, ohne dass es auf den Wohnort der Kinder ankommt.

Weitgehend positive Reaktionen

Sozialminister Johannes Rauch von den Grünen begrüßte das Urteil am Donnerstag. Nicht nur würde die Klarstellung des EuGH die Situation von Menschen in oft schlecht bezahlten Pflegeberufen verbessern, auch der Arbeitsmarkt würde davon profitieren. Die Arbeiterkammer und die Caritas zeigen sich ebenfalls erfreut über das Urteil des EuGH und betonen die damit einhergehenden Erleichterungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland. Auch die Neos begrüßen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof: "Heute ist ein guter Tag für die Kinder in Europa", kommentierte Neos-Familiensprecher Michael Bernhard das Urteil.

Positive Reaktionen kommen auch von Seiten der Bundesjugendvertretung, die betont, dass Kinder und Jugendliche überdurchschnittlich oft von Armut betroffen seien. Die SPÖ bezeichnet das Urteil "als großen Erfolg für Familien, Frauen und Kinder". Es sei zudem ein Zeichen der innereuropäischen Solidarität und zwinge die Regierung zum Handeln. Die FPÖ gibt sich kritisch. Sie fordert, dass Österreich künftig keinen Cent an Familienbeihilfe wegen Kindern bezahlen sollte, die nicht in Österreich wohnhaft sind. "Es braucht da keine Anleitung aus Brüssel", so FPÖ-Bundesparteiobmann Klubobmann Herbert Kickl. (APA, 16.6.2022)