Entlastung für das Volk, zum Teil gegen die Dogmen der Partei. Karl Nehammer hat mit dem Koalitionspartner ein Paket geschnürt. Ob es der ÖVP politisch nützt, ist fraglich.

Foto: APA/HANS PUNZ

Es war nur ein interessanter Moment in einem in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Doppelinterview in der "ZiB 2". Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und sein Vize Werner Kogler (Grüne) erläuterten das 28 Milliarden Euro schwere Teuerungsentlastungspaket der Regierung und wischten den Einwand, dies werde wohl ein gewaltiges Loch ins Bundesbudget reißen, nonchalant vom Tisch. Kogler sagte, angesichts der Dramatik der Umstände sei die Festlegung auf ein Nulldefizit 2026 sekundär und kein Wert an sich. Nehammer widersprach nicht. Das ist erstaunlich – denn das Nulldefizit war für konservative Bundespolitiker bisher immer so etwas wie der Heilige Gral.

Das Ideal ...

So startete Karl-Heinz Grasser, Finanzminister-Strahlemann der ersten schwarz-blauen Regierung, seine Budgetrede im Jahr 2000 mit dem Satz: "Ein guter Tag beginnt mit einem sanierten Budget." Das erwies sich später zwar nur als Punktlandung für einen einzigen Tag, und Grassers Stern verblasste bald, aber auch später stimmten ÖVP-Politiker stets in den Nulldefizit-Gesang ein. Im Oktober 2018 freute sich der damals ebenfalls neue Bundeskanzler Sebastian Kurz wortreich über ein "erstmaliges Nulldefizit". Das war das türkise Ideal.

... und die Realität

Dass die Corona-Krise viele Wertigkeiten verschoben hat, dass in den vergangenen drei Jahren viel Geld ausgegeben wurde, um Land und Bevölkerung (und auch parteieigene Vereine, siehe Seniorenbund) durch die Pandemie zu bringen, war die politische Realität. Dass nun ein neuer ÖVP-Chef und Kanzler nicht einmal mehr widerspricht, wenn der Koalitionspartner das Nulldefizit als sekundär bezeichnet, ist trotzdem neu.

Einmal ist nicht genug

Das zeigt exemplarisch, warum sich die Opposition schwertut, den Entlastungsschritt der Regierung in Grund und Boden zu verdammen. Was macht man mit einer ÖVP, die plötzlich Tabus scheinbar leichthändig über Bord wirft? Man mag sich längerfristig damit trösten, dass dies politisch alles nichts nützen wird. Die größten Entlastungen für die unteren Einkommensschichten sind einmalig, und es wird sich weisen, ob sie die Auswirkungen der Inflation dämpfen oder diese eher anfachen werden. Wenn im Jänner kommenden Jahres nochmals eine dicke Teuerungswelle auf Österreich zurollt, werden sich die meisten Wählerinnen und Wähler nicht mehr dankbar daran erinnern, dass sie im Oktober des Vorjahres Geld bekommen haben. Entlastungen über Bonusse und Einmalzahlungen werden am Ende nie ausreichen, und das Thema Treffsicherheit kommt wieder aufs Tapet: Nützt die Abschaffung der kalten Progression nicht auf Dauer mehr den oberen Einkommensschichten?

Unangenehme Fragen

Andere Fragen muss sich die SPÖ stellen. Warum gelingt es den Grünen jetzt, Forderungen durchzusetzen, die in rot-schwarzen Koalitionsregierungen nie möglich waren? Da ist etwa die Inflationsanpassung von Sozialleistungen: jahrelange SPÖ- und Gewerkschaftsforderung, stets blockiert von der ÖVP. Die einfache Erklärung lautet: Das ist der schwelende Korruptionsverdacht gegenüber der ÖVP, der Nehammer schlechte Umfragewerte und den Grünen einen Vorteil bringt. Allerdings: Schlechte Umfragen haben die ÖVP schon oft geplagt. Vielleicht hat man sich in der SPÖ nicht genügend angestrengt. Vielleicht hat man die falschen Prioritäten gesetzt und immer etwas anderes, scheinbar Wichtigeres abgetauscht im politischen Poker am Koalitionstisch.

In jedem Fall sollte die SPÖ eine Erkenntnis für etwaige künftige Regierungsbeteiligungen mitnehmen: Es kann sich auszahlen, nicht immer umzufallen. (Petra Stuiber, 19.6.2022)