Anhaltender Schrecken: Im Zentrum des Fotos ist das "halbe Haus", heute ein Friedensdenkmal, nach dem Bombenabwurf zu sehen.

Foto: APN Photo / Shizuo Kambayashi

Bei meinem letzten Besuch im Friedensmuseum von Hiroshima, das ich lieber Atombombenmuseum nenne, weil mir das ehrlicher vorkommt, begleitete ich zwei argentinische Freunde. Das Museum wurde gerade renoviert, man konnte nur einen Teil der Sammlungen sehen.

Dass ich nun wieder einmal das Bedürfnis verspürte, das Museum zu besuchen, hatte weniger damit zu tun, dass ich mir ein Urteil über die Neugestaltung bilden wollte, und noch weniger damit, dass für die körperlich beeinträchtigte Person, zu der ich inzwischen geworden war, der Eintritt frei war.

Es ist eher ein Bedürfnis zu überprüfen, ob es noch da ist. Nein, das Museum verschwindet nicht, aber wie steht es mit dem Geschichtsbewusstsein, meinem eigenen, dem der Leute und seiner Vermittlung, seinem Einfluss (was dann doch mit der Neugestaltung zu tun hat).

Ein österreichischer Freund, der nur einen Tag in der Stadt verbrachte, entschied sich, vor die Wahl gestellt zwischen dem Atombombenmuseum und der intakten Schönheit von Miyajima, für Letztere. Dafür hatte ich Verständnis. Das Grauen der totalen Zerstörung kann sich jeder halbwegs fantasiebegabte Mensch vorstellen; Schönheit muss man erfahren.

Explosion

In Kommentaren war nach der Neueröffnung zu hören, das Museum, also das dort Dargestellte, habe einiges von seinem Schrecken verloren. Es sei zwar "schöner", weil besser gegliedert und besser ausgestattet, aber weniger verstörend. Ich habe das nicht so erlebt. Vielleicht liegt es daran, dass ich empfindsamer geworden bin. Ich selbst habe das Gefühl, Schmerzen immer schwerer zu ertragen – aber es kann sein, dass sie "objektiv" mehr und stärker geworden sind.

Im Atombombenmuseum waren an diesem Wochentag erstaunlich viele Besucher, kaum ein Ausländer unter ihnen, alle mit Mund-und-Nasen-Schutz wegen der Corona-Pandemie, sie drängten sich durch Gänge und Räume. Wie die meisten zeitgenössischen Ausstellungsmacher arbeiten auch die von Hiroshima mit den Immersionsmöglichkeiten virtueller Welten.

Zu Beginn des Rundgangs kann der Besucher die Atomexplosion vom 6. August 1945 dreidimensional miterleben. Ich musste mich abwenden, weil ich den Anblick – ohne Toneinspielung – nicht ertrug. Der Anblick selbst war nicht schlimm, da waren nur ein Blitz und eine Wolke; schlimm war die Vorstellung, waren die Gefühle, die das in mir auslöste.

Auf die Explosion, die Fotowände und ein paar grundlegende Erklärungen, womit die Ausstellung beginnt, folgte der Hauptteil, die knappe Darstellung persönlicher Schicksale, die allesamt in diesem Augenblick, am 6. August 1945 um 8.15 Uhr, kulminieren und oft genug abrupt enden.

Ein spätes Opfer

In diesem Hauptteil werden Einzelne, manchmal auch kleine Gruppen, ins Blickfeld gerückt, mit einem Foto und einem persönlichen Gegenstand, der von ihnen geblieben ist: eine Armbanduhr, ein Japanisch-Wörterbuch, ein geschmolzenes Brillengestell, ein zerfetztes Kleidungsstück. Viele von ihnen sind Kinder. Hiroshima war (und ist) eine Schulstadt für sämtliche Altersstufen bis hin zur Universität; im Stadtzentrum, wo die Bombe explodierte, befanden sich tausende Schüler in ihren Unterrichtsräumen (während viele männliche Erwachsene in der Armee dienten).

Diese Bilder waren für mich erst recht herzzerreißend. Rotz und Wasser, Wasser und Rotz, der sich unter dem sanitären Mundschutz sammelte – ich fragte mich, ob ich diese neuerliche Erfahrung durchstehen würde. Ich hielt nicht vor jedem Bild, bei weitem nicht.

Mehrmals war ich nahe dran, mich hinsetzen zu müssen, in diesem Museumsabschnitt, wo es keine Sitzgelegenheiten gibt. Ich weiß, es geht auch anderen so wie mir. Das hatte ich früher beobachtet. Man hat aber nicht nur ein Bedürfnis nach Wissen und Bewusstsein, sondern auch eine Verantwortung sich selbst gegenüber. Bei meiner Herzschwäche könnte es sein, dass ich ein spätes Opfer der Atombombe werde. Das mag für den einen oder anderen übertrieben klingen; ich meine es ernst, Wort für Wort.

Leidtragende Zivilisten

Der Rundgang endet mit der Erklärung und Interpretation des historischen Kontextes, der Kriegsgeschichte, der Motivationen. In meiner Erinnerung stand dieser Teil früher am Anfang. Wenn das zutrifft, dann bedeutet dies, dass man den Gefühlen Priorität einräumt, der Gebrauch des Verstandes und die vernunftgemäße Wertung kommen am Schluss.

Ein Verfahren, das im Gegensatz steht zum antiaristotelischen Theater eines Bertolt Brecht (Warum mir an diesem Ort immer Brecht einfällt?). Ausstellungen wie diese sind immer auch Theaterinszenierungen. Sie arbeiten mit Auswahl und Fokus, Nahaufnahme und Panorama, Einzelperson und Chor, Schnitt und Collage.

Bei meinem ersten Besuch vor siebzehn Jahren war mir aufgefallen, dass die Kriegsschuld Japans nicht ausgespart wurde. Auch die Vorgeschichte des Pazifikkriegs wurde gezeigt, die Militarisierung der japanischen Gesellschaft, das Massaker von Nanking 1937. In der neuen Version des Museums habe ich weniger davon gefunden, nicht gar nichts, aber doch weniger.

Immerhin bekommt der Besucher ein großes Foto des Angriffs japanischer Flugzeuge auf Pearl Harbor in Hawaii zu sehen. Das war der Anfang des Kriegs, der mit den Atombombenabwürfen endete. Nicht, dass die Japaner diese verdient hätten und dass sie gerechtfertigt gewesen wären; doch es gab eine historische Entwicklungslogik, die dazu führte. Leidtragende dieses letzten Akts waren vor allem Zivilisten. Wie so oft bei Kriegshandlungen, auch wenn die Propaganda etwas anderes verspricht.

Wie in der Ukraine

Wie jetzt wieder in der Ukraine. In Japan regen sich sogleich wieder jene Stimmen, die das Land atomar bewaffnen wollen. Und es regen sich andere Stimmen, am eindringlichsten die der wenigen verbliebenen Hibakusha, der Überlebenden des 6. August 1945, die vor dem drohenden Wahnsinn warnen.

Atomare Abrüstung, dazu gibt es keine Alternative. Gegen Ende des Rundgangs im Museum von Hiroshima sieht man ein Foto aus dem Jahr 2010, auf dem sich Barack Obama und Dmitri Medwedew, der US-amerikanische und der russische Präsident, die Hand reichen und damit den atomaren Abrüstungsvertrag (New Start) zwischen den beiden Großmächten besiegeln.

Der Vertrag wurde gerade erst verlängert – wenige Wochen, bevor Wladimir Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen drohte. Und ich kleiner Herzschwächling stehe da im Museum und denke, oder fühle, oder beides: Es ist nicht zu fassen, die Menschheit hat nichts gelernt.

Bin ich ein Angsthase?

Meine Tochter ging noch nicht zur Schule, als wir bei einem unserer Stadtausflüge in Hiroshima nicht ins Planetarium oder in den Eissalon gingen, sondern ins Atombombenmuseum. Sie hatte mich nach dem "halben Haus" gefragt: Wieso steht da eine Ruine, wo doch alle anderen Häuser so schön sind? Wenn wir ins Museum gehen, wirst du es vielleicht verstehen, antwortete ich. Ich warnte sie: Es sei ziemlich kowaii, sie würde Angst bekommen. Sie wollte trotzdem hinein: "Ich bin doch kein Angsthase." Wir gingen Hand in Hand, und langsam merkte ich, wie ihr mulmig zumute wurde.

Ziemlich in der Mitte, wo man Nachbildungen von Feuersbrünsten, lebensgroße Figuren – auch Kinder – mit verbrannter Haut, zerfetzten Kleidern, schreckstarrenden Augen und zu Berge stehenden Haaren sieht, bat sie mich, das Unternehmen abzubrechen.

Sie wollte ins Freie. "Papa, bin ich jetzt ein Angsthase?" Ich beschwichtigte sie, es sei ganz normal, bei so etwas Angst zu bekommen. Deswegen seien wir noch lange keine Angsthasen. Und sie schwor, wiederzukommen, wenn sie größer sei.

Und ich frage mich, hinfällig geworden, dasselbe. Bin ich ein Angsthase? Draußen im Park, wo ein paar Pflaumenbäume blühten und die Kirschbäume am Flussufer auf die baldige Pracht warteten, glaubte ich, die Schwäche überwunden zu haben, doch dann konnte ich nicht weiter.

Für die paar Hundert Meter bis zum Wahrzeichen, dem halben Haus, und zum Orizuru-Gebäude brauchte ich eine Stunde, musste mehrmals pausieren, über dem Fluss lehnte ich den Oberkörper ans Geländer, erweckte vermutlich den Eindruck eines Lebensmüden. In gewisser Weise war ich lebensmüde, müde vom Leben – nur dass ich trotzdem am Leben hänge, allein schon wegen meiner Tochter.

Papierkraniche

So sehr kann einem die eigene Fantasie zusetzen! Einige Stunden zuvor, in einem Café in der Hondoori, der Einkaufsstraße, sitzend, die auf dem Vorkriegsfoto im Museum mit ihren traubenförmigen weißen Kugellampen hübscher aussieht, hatte ich noch gezögert, ob ich zum Orizuru-Tower oder ins Museum gehen soll.

Der zwölfstöckige Tower ist vor etwa fünf Jahren entstanden, obwohl die Stadtväter nach dem Krieg beschlossen hatten, in unmittelbarer Nähe des sogenannten Friedensparks keine Gebäude dieser Höhe zuzulassen. Wenige Tage zuvor hatte ich den Orizuru-Tower aus dem 33. Stockwerk eines Hotels gesehen; er verdeckte das halbe Haus; auch von anderen Standorten aus sieht man heute das Wahrzeichen und Mahnmal nicht mehr, sondern den Tower, der Touristen Souvenirs und Erlebnisse zu verkaufen trachtet.

Das Haupterlebnis ist der Blick aus dem zwölften Stock und das Falten von Papierkranichen ("orizuru"), die man durch einen gläsernen Schacht zu Boden segeln lassen darf. Das würde ich gern versuchen. Nach meinem Schwächeanfall war nicht daran zu denken. Genug erlebt für diesen Tag. Mir zitterten die Hände.

Vielleicht werde ich auch ohne Papierkraniche noch lange leben. Und die Welt wird hoffentlich von einer weiteren Atombombe verschont bleiben. Wenigstens solange es meine Tochter gibt. Sogar ich denke immer ein wenig egoistisch. Darf man das? (Leopold Federmair, ALBUM, 18.6.2022)