Kleider machen Leute. Und Politiker sind halt auch Leute. Während Staatsmänner in der Regel uniformiert in dunklem Anzug samt Krawatte vor dem geistigen Auge oder der Fernsehkamera auftauchen, nahmen es der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der italienische Regierungschef Mario Draghi auf ihrer Reise nach Kiew am Donnerstag nice and easy. Irgendwie.

Den Sonderzug bestiegen sie in Polen, ob vorher ein Dresscode ausgemacht wurde, ist fraglich. Jedenfalls scheinen die Spitzenpolitiker die Reise recht entspannt und amikal angegangen zu sein. Auf den Fotos sind drei hie und da tätschelnde, mehr oder weniger alte, weiße, vor allem aber wichtige Männer zu sehen, die sich auf einer Zugfahrt aus sehr ernstem Anlass befinden. Trotzdem: Fast lausbübisch grinsen die drei in die Kamera ihres verdunkelten Zugteils samt gestreiften Vorhängen mit Quasten.

Scholz in Jeans und mit Kurzarmhemd: "Aus der Mode gekommen", meint die italienische Zeitung "La Repubblica".
Foto: Ludovic Marin, Pool via AP

Der Italiener Draghi zeigt sich leger im blauen V-Ausschnitt-Kaschmirpullover samt weißem Hemd mit etwas schlappem Kragen, Monsieur Macron mit braver Tolle und blütenweißem Slim-Fit-Hemd. Und Scholz? Der kriegt von der italienischen Zeitung "La Repubblica" eine aufs Dach, die das dunkle Kurzarmhemd des deutschen Kanzlers als "aus der Mode gekommen" abtut. Vielleicht handelt es sich ja um ein Erbstück von Helmut Schmidt. Der "Corriere del Giorno" meint, es handle sich um ein "Halbarmhemd nach deutscher Art". Klingt nach altdeutscher Stube. Und nicht nett.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass der deutsche Kanzler Schelte für sein Outfit kassiert. Erst im Februar attestierte man ihm, er kleide sich im "Schlabberlook". Damals reiste Scholz auf seinem Weg zum Antrittsbesuch in Washington in einem sackigen Pullover mit schwarzem T-Shirt darunter. Einen Monat später tauchte Macron unrasiert in Jeans und Hoodie in seinem Büro auf. Dass sich der französische Präsident dabei Scholz als Rolemodel auserkoren hatte, darf bezweifelt werden.

Wenn es um derlei Lässigkeitsversuche von Spitzenpolitikern geht, liegt die Interpretationshoheit freilich im Auge des betrachtenden Volkes, dieses könnte jedoch in Zeiten wie diesen ruhig einmal auch ein Auge zudrücken. Jedenfalls wirken die drei Staatsmänner auf dem Bild im Zug wie auf einer noblen Interrail-Fahrt für Silver Ager, die nur darauf warten, die Spielkarten aus dem Hosensack zu zücken und einander amikal auf die Schulter zu klopfen. Dann und wann. Auf einem Bild wirkt Draghi fast so, als stehe er kurz davor, die Pointe eines Witzes aus dem Sack zu lassen. Scholz grinst schon vorfreudig. Macron tut ganz in "La-Grande-Nation-Manier" so, als kenne er den Joke bereits. In den drei Gläsern dürfte sich Wasser befinden, aber was weiß man?

Drei Männer im Zug.
Foto: via REUTERS /FILIPPO ATTILI/PALAZZO CHIGI

Bei ihrem mehr als wichtigen Auftritt in Kiev wussten die Politiker jedenfalls wieder, was sich gehört, und traten wie gewohnt glattgebügelt in dunklem Anzug an die Podeste. Fragt sich noch, womit wohl das kleine Fläschchen gefüllt war, das bei Scholz' Notizblock auf dem Tisch im Zug zu sehen ist. Es könnte sich einfach lediglich um ein Desinfektionsmittelchen handeln. Oder doch um altdeutschen Zirbengeist? (maik, 17.6.2022)

Staatsmännischer Auftritt im Park.
Der Kuschelkurs fand in Kiew seine Fortsetzung.
Foto: EPA Fotograf: LUDOVIC MARIN / POOL