Neben Schmerzmitteln wurde seit Beginn der Pandemie auch vermehrt zu Aufputsch-, Schlaf- und Beruhigungsmitteln gegriffen.

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Aufgrund der starken psychischen Belastung während der Corona-Pandemie ist die Medikamenteneinnahme in Österreich laut einer Studie im Auftrag des Anton-Proksch-Instituts in die Höhe geschnellt. Jede bzw. jeder Dritte gab eine psychische Beeinträchtigung durch die Epidemie an. Vor allem bereits belastete Menschen haben vermehrt zu Schmerz-, Beruhigungs-, Schlaf- und Aufputschmittel gegriffen. Besonders tragisch: Viele Jugendliche und junge Erwachsene nahmen wiederholt diese Substanzen.

Beinahe ein Drittel der Befragten fühlte sich laut dieser Umfrage psychisch belastet. 19 Prozent gaben an, körperlich beansprucht zu sein. Die wirtschaftliche bzw. finanzielle Belastung befand sich ebenfalls auf hohem Niveau, nämlich bei 22 Prozent. Generell gaben Frauen eine höhere psychische Belastung an als Männer, wie die vom Institut für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität Wien mit dem Titel "Doping im Alltag" durchgeführte Studie zeigt. Die Expertinnen und Experten wollten den Einfluss der durch die Pandemie hervorgerufenen psychischen Belastungsfaktoren auf den Medikamentenkonsum beleuchten.

Sehr viele Jugendliche und junge Erwachsene betroffen

Dass zum Großteil bereits psychisch belastete Personen häufiger zu Medikamenten greifen, erklärt Wolfgang Preinsperger, ärztlicher Direktor am Anton-Proksch-Institut so: "Betrachtet man jene Personengruppe, die angegeben hat, sich durch die Covid-19-Pandemie psychisch belastet zu fühlen, so zeigt sich eine signifikant stärkere Zunahme des Schmerzmittelgebrauchs. Psychisch Belastete nehmen etwa doppelt so häufig Schmerzmittel ein wie jene, die sich selbst nicht als psychisch belastet erleben."

Aufputschende Substanzen werden seit Beginn der Pandemie von vier Prozent der Befragten eingenommen. Bei 38 Prozent der Aufputschmittel einnehmenden Personen kam es zu einer Zunahme, bei 24 Prozent zu einer Abnahme des Konsums. Die Einnahme aufputschender Substanzen kommt dabei bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 30 Jahre nahezu doppelt so häufig vor wie bei älteren Personen.

Jugendliche exorbitant belastet

Neben den Aufputschmitteln kam es jedoch auch zu einer deutlichen Steigerung der Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln. 16 Prozent der Befragten gaben an, während der Pandemie mindestens einmal Benzodiazepine, also Medikamente, die als Schlaf- oder Beruhigungsmittel eingesetzt werden, eingenommen zu haben. Auch hier war am häufigsten die Einnahme unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 30 Jahre zu verzeichnen.

Was für den klinischen Psychologen und Mitautor der Studie Dr. Oliver Scheibenbogen überraschend war: "Dass die Jungen signifikant häufiger angaben, Schmerz- und Beruhigungsmittel einzunehmen, das war für uns auch ein neues Ergebnis. Es ist nämlich so, dass sowohl Beruhigungs- als auch Schmerzmittel eigentlich von der Indikation von älteren Personen häufiger eingenommen werden, weil natürlich Schmerzen im Alter zunehmen."

Warum gerade die Altersgruppe bis 30 Jahre seit Beginn der Corona-Pandemie vermehrt zu Medikamenten gegriffen hat, erklärt der Psychologe so: "Zum einen spielt da ein bisschen der sogenannte Probierkonsum mit. Dieses Phänomen kennen wir unabhängig von der Pandemie schon seit Jahrzehnten, deswegen hat es uns nicht wirklich verwundert, dass vor allem Jugendliche und junge Erwachsene zu Aufputschmitteln greifen."

Zum anderen trage die lange Phase der Pandemie dazu bei, dass Jugendliche "exorbitant mehr belastet waren als andere Gruppen in der Bevölkerung", weiß Scheibenbogen. Und er erklärt weiter: "Diese jungen Menschen haben gleichzeitig noch keine Krisenkompetenz." Anders als Erwachsene, die schon mehrere Krisen miterlebt haben und dadurch auch eine gewisse Kompetenz, damit umzugehen, mitbrächten.

Schnelle Hilfe wichtig

Wenn man in seinem Umfeld oder in der Familie jemanden kennt, bei dem man Medikamentensucht vermutet, dann rät der Psychologe: "Es geht darum, Problemlösekompetenzen zu entwickeln und Selbstwert aufzubauen, mit den Jugendlichen über ihre Ängste zu sprechen und dann dementsprechend zu schauen, ob die Person bereit ist, psychologische Behandlung oder Psychotherapie in Anspruch zu nehmen."

Er richtet seinen Appell an die Eltern und vor allem auch an die Politik. Denn: "Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist derzeit ganz massiv überlastet, und auch im niedergelassenen Bereich ist es derzeit schwierig, krankenkassenfinanzierte Therapieplätze zu bekommen", kritisiert Scheibenbogen.

Wichtig wäre seiner Meinung nach, nicht zu lange zu warten, wenn es um eine Behandlung gehe. Sucht sei etwas, das "im Heimlichen wächst", so der Psychologe. Und er fügt hinzu: "Kinder und Jugendliche sind noch nicht wirklich süchtig. Sucht ist etwas, das länger braucht, um sich zu entwickeln." Aber ein Missbrauch sei da, und dann stehe "die Tür zur Suchtentwicklung bereits halb offen". (17.6.2022, jaa, poem, APA)