Die 88 Mitglieder des Klimarats trafen sich von Jänner bis Juni einmal pro Monat. Gemeinsam erarbeiteten sie Empfehlungen für Österreichs Klimapolitik – unverbindlich. Wie viel umgesetzt wird, liegt an der Regierung.Fotos: Christian Fischer

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Sechs Wochenenden, 88 Personen, viele Empfehlungen: So klingt die Schnellzusammenfassung des Klimarats. Für Österreich ein komplett neues Experiment: Rund 2000 Menschen wurden für den Prozess angeschrieben, aus den Rückmeldungen bildete die Statistik Austria eine Auswahl an hundert Personen, die möglichst repräsentativ sein soll. Aufgrund einiger Ausfälle reduzierte sich die finale Teilnehmerzahl auf 88 Personen aus ganz Österreich – von Lauterach im Westen bis Großpetersdorf im Osten des Landes.

Wie geht es den Teilnehmenden nach einem halben Jahr? Während am ersten Wochenende noch jeder eher bei sich war, schienen sie zum Schluss von einem neuen Selbstbewusstsein erfüllt zu sein. Da standen Bürgerinnen auf, um einem Politiker die eigene Meinung kundzutun. Aus dem losen Gefüge, das im Jänner noch den Klimarat ausmachte, wurde innerhalb weniger Monate beinahe etwas wie eine Klassengemeinschaft. DER STANDARD hat sechs Klimaratsmitglieder über die gesamte Zeit begleitet.

Madeleine S., Juristin, Oberösterreich

Es war im Winter, als es bei Madeleine S. klingelte und sie einen blauen RSb-Brief ausgehändigt bekam. "Was habe ich schon wieder angestellt?", war der erste Gedanke der Oberösterreicherin. Eine Strafverfügung war es dann aber nicht: In dem Kuvert befand sich eine Einladung der Statistik Austria, beim österreichischen Klimarat teilzunehmen.

Madeleine S. erlebte eine "emotionale Achterbahn".
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Mit dem Begriff konnte die Juristin nichts anfangen. Sie habe zuallererst einmal Google geöffnet, erinnert sich die 52-Jährige, dann sei sie neugierig geworden. Schließlich meldete sie sich für den Klimarat an – landete aber erst als Ersatzmitglied in der finalen Auswahl.

"Klimaschutz ist bei uns jetzt nicht das ganz große Thema", sagt sie beim ersten Treffen dem STANDARD. Ihre Familie – sie, ihr Mann und zwei Kinder – kauft "ganz normal" ein und fährt "mit schlimmen Dieselautos". Ja, sie versuche, Müll zu trennen und Tomaten aus Österreich zu kaufen. Sind die mal aus, landen eben die aus Spanien im Einkaufswagen.

Doch bereits nach dem zweiten Treffen klingt Madeleine anders. Sie habe viele Informationen über den Klimawandel bekommen. "Da waren einfach Fakten auf dem Tisch, die mir so nicht bewusst waren." Vor allem die Dringlichkeit war ihr nicht in dem Ausmaß klar.

Madeleine ist nicht auf den Mund gefallen, will sich informieren. Sie liest Bücher über das Klima, spricht mit ihren Nachbarn und Freunden. Einigkeit zu dem Thema herrsche im Gremium bei weitem nicht, erzählt sie nach dem zweiten Treffen: "Es gibt schon die Diskussion, ob Klimaschutz nicht nur teuer und sinnlos ist."

Die Juristin verfolgt die Diskussionen in Medien über die Kosten des Klimarats. Was das mit ihr mache? "Es entsteht dieser Druck, dass man etwas bringen muss, weil es kostet." Das Argument, dass der Klimarat "gesteuert" werde, ärgert Madeleine: "Da sitzen nicht lauter Klimaretter drinnen, die sich lenken lassen." Die Menschen, die sie bisher kennengelernt habe, seien eine bunte Mischung – von der Studentin bis zum Bauern. "Ich bin ja auch nur eine ganz normale Bürgerin."

Die ursprüngliche Begeisterung an dem Projekt lässt zwischenzeitig nach: Zu kurz seien die Wochenenden, zu wenig komme jeder Einzelne zu Wort. "Es ist getaktet wie im Kindergarten – das liegt nicht jedem", erzählt die Oberösterreicherin.

Nach dem nächsten Klimaratwochenende strahlt Madeleine wieder: Sie sei für das Thema Wohnen eingeteilt worden. "Es hat geknirscht und gekracht", sagt sie. Einige seien richtig beleidigt gewesen, wenn es etwa darum ging, Zweitwohnsitze unattraktiver zu machen. "Da sind die Fetzen geflogen."

Welches Fazit zieht Madeleine? "Es war eine emotionale Achterbahn. Am Anfang war die Vorfreude, dann ein bisschen Zorn und die Ohnmacht, zuletzt kam die Erkenntnis." Mittlerweile habe sie mit einem Energieberater gesprochen, ihr Wohnhaus soll schon bald ökologischer werden. In Zeitungen überblättere sie Klimathemen längst nicht mehr: "Ich bin in das Thema eingetaucht, und das wird jetzt so bleiben."

Scarlett V., Medizinstudentin, Oberösterreich

Sie komme um das Thema Klimaschutz gar nicht herum, erzählt Scarlett V. Die angehende Ärztin habe sich "geehrt" gefühlt, Teil des Klimarats sein zu können. Sie sei dahingehend zwar "nicht so engagiert", sagt sie, dennoch sei ihr Klimaschutz wichtig. Sie versuche, weniger Fleisch zu essen, Milchprodukte mehr zu meiden – nicht zuletzt auch aus gesundheitlichen Gründen.

Scarlett V. war das Arbeitstempo oft zu langsam.
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Die gebürtige Oberösterreicherin startete motiviert in den Klimarat – und erklärte sich damit für ein aufwendiges Projekt bereit: Zwischen Jänner und Juni verbrachte sie sechs Wochenenden mit fremden Menschen und diskutierte über das Klima. Einmal pro Monat, von Samstagfrüh bis Sonntagnachmittag – weg von zu Hause, zwischen Studium, Familie und anderen Verpflichtungen.

Doch die anfängliche Motivation erfuhr bald einen Dämpfer. Wer der Einladung folgte, ließ sich auf ein – für Österreich neues – demokratiepolitisches Experiment ein. Zudem waren zwölf Tage voller Gruppenübungen, Workshopspiele, Diskussionsrunden und Debatten angesagt. Nicht jederfraus Sache.

Der 25-Jährigen, die ein flottes Lerntempo aus dem Studium gewohnt ist, ging es anfangs zu langsam. Besser gefiel es der Studentin, als "die wirkliche Arbeit" losging: In verschiedenen Kleingruppen berieten die Teilnehmer zu Themen wie Landnutzung, Energie, Mobilität oder Konsum. Unterstützt wurden sie dabei von einem wissenschaftlichen Beirat. Jene Sicht aus der Wissenschaft habe es bei den großen Themenkomplexen auch gebraucht, meint Scarlett. Sie selbst landete in der Gruppe, die die Themen Produktion und Konsum bearbeitete.

"Gelenkt", wie oftmals etwa die FPÖ kritisierte, fühlte sie sich dabei keineswegs. Die Expertinnen und Experten hätten Fakten präsentiert und Fragen beantwortet. "Es gibt nichts Neutraleres als Naturwissenschaften", ist sich die Studentin sicher.

Sie selbst habe vor dem Start befürchtet, "dass da nur Leute drinnensitzen, die ihre vorgefertigten Meinungen vertreten". Diese Sorge habe sich nicht bewahrheitet, die Ansichten seien auseinandergegangen. Mittlerweile hält sie Bürgerräte für ein gutes Instrument: "Jeder da drinnen hat einen Wandel durchgemacht." Erst zu Hause kam oftmals die Ernüchterung, "weil man auf einmal nicht mehr in der motivierten Bubble ist".

Jakob G., Rauchfangkehrer, Steiermark

Die Arbeit im Klimarat finde er spannend, erzählt Jakob G. nach drei Wochenenden – nur die Zeit sei meist zu knapp. Kaum entstehe eine Diskussion, müsse diese bereits enden. Insgesamt sei Klimaschutz für ihn ein wichtiges Thema, erzählt der Rauchfangkehrer. Dass er beim Klimarat dabei sein will, war deshalb gleich klar für ihn. Er sei kein Aktivist und auch auf keinen Fall der Typ, der demonstrieren gehe. Gescheite Gesetze hält er für wichtiger als den persönlichen Fußabdruck: "Dann wird eh jeder zum Klimaschützer." Der Steirer ist in seiner Gemeinde aktiv, nun wolle er sich auch hier einbringen: "Ich bin gespannt, wo sich das Ganze hinentwickelt."

Jakob G. will Klimaschutz nicht zu sehr individualisieren.
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Der 27-Jährige hat sich einige Gedanken zu dem Thema gemacht: Es ärgere ihn, wenn beim Klima immer die Verantwortung auf den Einzelnen abgewälzt werde. Die wahren Hebel sieht er bei den großen Playern.

Darüber hätte er beim Treffen mit Stakeholdern und Politikern am vierten Klimaratwochenende gerne länger diskutiert. Doch wieder war die Zeit zu kurz. Er hatte sich Vertreter der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer als Gesprächspartner ausgesucht, um ihre Gedanken und Bedenken zu hören.

Doch die zwei Wirtschaftsvertreter nahmen als Einzige nur online teil und auch nur für eine Gesprächsrunde. "Das fand ich schade", sagt Jakob verärgert. Als Unternehmer hätte er gern gewusst, was die Organisationen denken und brauchen.

Auch mit den anwesenden Politikerinnen und Politikern hätte er gerne länger diskutiert. Sein Verdruss über "die Politik" ist dem Rauchfangkehrer auch zum Ende des Klimarats anzuhören. "Die Politik kann mich persönlich nur positiv überraschen", antwortet er auf die Frage, was er sich von der Regierung im Umgang mit den Ergebnissen erwarte. "Die Schubladen in Österreich sind tief, zahlreich, und vor allem gehen sie leise auf und zu, weil sie so gut geschmiert sind."

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hat bereits angekündigt, Rückmeldung zu allen Maßnahmen zu geben. ÖVP-Umweltsprecher Johannes Schmuckenschlager stellte hingegen klar, dass die Ergebnisse für ihn "keine Relevanz" hätten. Was letztlich mit den Empfehlungen geschieht, ist offen.

Er bereue die Entscheidung, am Klimarat teilzunehmen, nicht – und würde sofort wieder dabei sein, sagt Jakob. "Ich finde es gut, wenn Menschen Zugang zu Informationen bekommen, Fragen stellen dürfen und fundierte Antworten bekommen", lautet sein Fazit. "Man sieht, dass man sich dann nicht mehr so leicht von der Politik abspeisen lässt." Ob sich die Einstellung des Oldtimerfans zu Klimafragen seit Jänner verändert habe? Der Steirer denkt kurz nach. Er könne sich auch Verbote vorstellen, wenn gute Alternativen geboten werden – das hätte man bei den Empfehlungen an die Regierung stets bedacht.

Werner F., Pensionist, Niederösterreich

Ist der Klimarat repräsentativ? Mit dieser Frage sahen sich Organisatoren und Teilnehmer immer wieder konfrontiert. "Im Rahmen der Möglichkeiten ja", ist Werner F. überzeugt. Natürlich könne man niemanden zwingen, an dem Gremium teilzunehmen. Jemand, der nicht an den Klimawandel glaube, werde hier nicht anzutreffen sein, meint Werner. Zudem galten beim Klimarat strenge Corona-Regeln, wodurch ein Teil der Bevölkerung ausgeschlossen wurde.

Werner F. ortet beim Klimarat eine Art "Schwarmintelligenz".
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Der Betriebswirt, der nun in Pension ist, hat sich lange nicht mit dem Thema Klimaschutz beschäftigt, wie er im Jänner erzählt. Erst im Rahmen seiner Arbeit habe er begonnen, über das Thema nachzudenken – was auch zu privaten Veränderungen geführt habe: Fleisch kommt bei Werner nur mehr zwei zweimal pro Woche auf den Teller. Sein Haus in Niederösterreich rüstet er mit einer Wärmepumpe auf, die Photovoltaikanlage soll ausgebaut werden. Werner überlegt zudem, auf ein E-Auto umzusteigen – die Öffi-Anbindung in seinen Ort sei nicht optimal. "Aber ich versuche heute, unnötige Fahrten zu vermeiden." Dabei helfe ihm auch das Klimaticket, wie er erzählt.

Die Arbeit im Gremium machte dem Pensionisten Spaß. "Das Miteinander ist großartig", erzählt der 64-Jährige nach einem Treffen im April. Das Arbeitsklima sei viel angenehmer, als er es aus vielen Unternehmen kenne: "Es gibt kein Konkurrenzdenken, niemand muss andere übertrumpfen."

Er werde die gute Gruppendynamik vermissen, sagt er gegen Ende. Von den vielen Ergebnissen, die im Rahmen des Klimarats entstanden seien, sei er überrascht gewesen. Die Empfehlungsliste sei für ihn ein Ergebnis der "Schwarmintelligenz". Hätte er im Alleingang eine solche Liste erstellt, wäre diese sicher nicht deckungsgleich mit jener des Gremiums gewesen. "Das heißt ja aber nicht, dass ich deswegen richtig gelegen wäre."

Michaela F., Bankangestellte, Tirol

Wie schnell es dann am Ende ging, habe sie erstaunt, erzählt Michaela F. nach der finalen Abstimmung. Sie führt das darauf zurück, dass die Gruppen im Vorfeld schon genau gearbeitet hätten. Dabei galt: Jede Empfehlung, die vom Klimarat auf die finale Liste gesetzt wurde, musste so lange angepasst werden, bis alle sie mittragen.

Michaela F. hat seit Jänner viel über das Klima nachgedacht.
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Ob ihr die Empfehlungen dennoch weit genug oder gar zu weit gehen? Beides, sagt die zweifache Mutter nach einer kurzen Nachdenkpause. In manchen Bereichen gebe es eine Diskrepanz zwischen Stadt und Land. So falle es Stadtbewohnern oftmals leichter, strengere Maßnahmen im Verkehr zu fordern. Manchmal verändere aber auch die Erfahrung die Perspektive auf gewisse Dinge, sagt die Bankangestellte. In Tirol könne man durch den Luftschutz-100er auf Autobahnen praktisch nicht mehr schneller unterwegs sein. "Man hat sich damit abgefunden", sagt die 40-Jährige schulterzuckend.

Dass Michaela überhaupt beim Klimarat dabei ist, war nicht von Anfang an klar. Als sie den Brief bekam, war sie zuerst skeptisch. Ihr Mann überredete sie schließlich. "Es ist gar nicht so leicht, sich da jedes Wochenende freizuschaufeln." Noch dazu blieb es nicht bei der Arbeit an den Wochenenden: Zwischen den Terminen bekamen die Teilnehmer Material zum Lesen mit nach Hause.

Der Lesestoff und die Diskussionen hätten sie im Laufe der Monate mehr zum Nachdenken angeregt, erzählt die Tirolerin. Ihr fielen jetzt viele Kleinigkeiten auf, die ihr früher nicht so bewusst waren. Sie versuche, öfter einmal auf das Auto zu verzichten und zu Fuß einkaufen zu gehen. Insgesamt seien "die Zusammenhänge erkennbarer und das Wissen größer geworden".

Hans B., Hüttenwirt, Kärnten

Das in den Debatten erworbene Wissen hinauszutragen ist der Wunsch von Hans B., für den die Arbeit des Klimarats noch lange nicht beendet ist. Klimaschutz sei für ihn schon lange ein Herzensthema, erzählt er. Der Kärntner hat die Hütte, die er von Mai bis Oktober bewirtschaftet, längst ökologisiert. Photovoltaikanlagen sorgen dafür, dass er den Dieselverbrauch drastisch reduzieren konnte. Auch sonst achte er auf Nachhaltigeit. Mittlerweile habe sich das herumgesprochen, erzählt Hans. Immer wieder bekomme er Anrufe von anderen Pächtern, die nachrüsten wollten.

Hans B. sieht sich als Multiplikator der Ideen.
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Das ist ganz im Sinne des 60-Jährigen: "Ich war eigentlich immer schon der Mensch, der vernünftigen Umgang mit der Natur gelebt hat." Er will das Thema Klimaschutz in seiner Region vorantreiben; trifft sich regelmäßig mit Unternehmern, Bürgern und der Politik – in der sich der ehemalige Gemeinderat gut auskennt. "Die Politik wird letztendlich die Entscheidungen treffen", sagt er. Dennoch sieht er die Verantwortung bei jedem Bürger.

"Ich hoffe, dass die Regierung die Ernsthaftigkeit unserer Arbeit erkennt", fasst er im Juni zusammen. Er wünsche sich zudem, dass sich Türkis-Grün durch die Bestärkung des Klimarats leichter tue, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, die im Klimaschutz oftmals nötig seien. Diesen Optimismus teilen nicht alle im Gremium. Doch selbst wenn die Empfehlungen bei der Regierung nur wenig Anklang finden sollten, so werden sie durch die Klimaräte als Multiplikatoren zumindest in ihren Gemeinden verbreitet.

Das ist auch Hans’ Ziel. Der Hüttenwirt macht in Kärnten ordentlich Stimmung für die Sache: Wie viele andere Teilnehmerinnen in ihren Bundesländern, besuchte er den Landeshauptmann. Darüber hinaus schloss er sich mit den anderen Kärntnern aus dem Klimarat zusammen, um sich zwischen den Wochenenden auszutauschen. Beinahe wehmütig sei er jetzt, wo das Projekt abgeschlossen sei. "Es war sehr viel Arbeit, sehr viel Kampf."

Kein Wunder also, dass sich viele Teilnehmer, die sich über die Wochenenden hinaus längst über Chats miteinander verbunden haben, weiterhin treffen wollen. Der Klimarat soll in einen Verein übergehen, den die Bürgerinnen und Bürger selbst verwalten wollen. Jetzt steht erst einmal die große Präsentation Anfang Juli im Kalender. Und das Warten darauf, was mit den Ergebnissen geschieht. (Nora Laufer, 18.6.2022)