Alisha Hawthorne stiehlt nicht nur Buzz die Show: Sie gründet mit einer Frau eine Familie. Und küsst ihre Partnerin!

Foto: Disney

Welche Aufregung ein klitzekleiner Kuss in einem Animationsfilm generieren kann, der, nur einmal so nebenbei gesagt, nicht wenig Waffengewalt zeigt, sieht man am soeben gestarteten Disney/Pixar-Film Lightyear. In dem Ableger von Toy Story geht es vornehmlich um die Versuche des Astronauten Buzz Lightyear, Lichtgeschwindigkeit zu erreichen, um so seine auf einem Planeten gestrandete Crew zurück zur Erde zu befördern. Doch seine Kollegin Alisha Hawthorne stiehlt ihm mit einer winzigen Montagesequenz die Show: Während Buzz nämlich sprichwörtlich seinem Ego hinterherrast (und dabei kaum altert), verliebt sich Alisha auf der planetaren Bodenstation und gründet eine Familie – und zwar mit einer Frau.

Obwohl das nur so nebenher erzählt wird, markiert Alishas Kuss doch einen historischen Moment, denn er ist die erste offene Affirmation gleichgeschlechtlicher Beziehungen in einem animierten Disney-Kinofilm. Die Reaktionen darauf haben aufgezeigt, wie allgegenwärtig das Zensieren queerer Inhalte trotz "Gay Pride" noch immer ist. Nicht nur in muslimischen Ländern wie Saudi-Arabien, den Arabischen Emiraten oder Malaysien gab es Verbote, auch in China, Europa und in den USA wird immer wieder gegen queere Themen vorgegangen.

Ungarn und Florida erließen Gesetze

Umso mehr, wenn die Zielgruppe Kinder sind, wie man letztes Jahr in Ungarn und dieses Jahr in Florida gesehen hat. In beiden Ländern wurden Gesetze erlassen, die Minderjährige vor von der heterosexuellen Norm abweichenden Themen "schützen" sollen.

Im "Sunshine State" Florida verbietet das sogenannte "Don't say gay"-Gesetz seit März Diskussionen über Gender und sexuelle Orientierung in Klassenzimmern. Das erntete viel Kritik, auch von einem Vorstand des Disney-Konzerns, des größten Arbeitgebers des Staates. Daraufhin setzte Floridas Gouverneur DeSantis, der als neuer konservativer Präsidentschaftskandidat gehandelt wird, prompt die Steuererleichterungen für Disneyland aus. Als dann noch der rechtskonservative Aktivist Christopher Rufo auf Twitter die Zoom-Aufnahme einer Disney-Vorständin leakte, die sich für mehr queere Themen aussprach, wurde Disney bezichtigt, eine "queere Agenda" zu verfolgen.

Offener Brief der Belegschaft

Da das Teile der Belegschaft von Pixar nicht ganz so sahen, veröffentlichten sie einen Brief, in dem sie ihr Studio Disney des Queer-Washing und der Selbstzensur bezichtigten – denn wie bei vielen anderen Produktionen auch, so war auch bei Lightyear der Kuss dem Schnitt bereits zum Opfer gefallen, wurde dann aber aufgrund des Protests der Pixar-Belegschaft und des Aufruhrs rund um "Don’t say gay" wieder aufgenommen. Die Beziehung zwischen Disney und queerer Kultur ist und war eine ambivalente.

Pixar

Zwar ist es ein beliebter Fansport, in legendären Disney-Filmen queere Charaktere ausfindig zu machen, doch unter den Figuren, die als queer angesehen werden können, waren vor Eisprinzessin Elsa aus Frozen fast ausschließlich Bösewichte: der hinterlistige Löwe Scar aus Der König der Löwen, der blutrünstige Gouverneur Ratcliffe aus Pocahontas, der maliziöse Magier Jafar aus Aladdin und die einer Dragqueen nachempfundene Meereshexe Ursula aus Arielle, die Meerjungfrau. Diese Figuren sind ohne Zweifel faszinierend und stammen teils sogar von dem offen schwul lebenden Zeichner Andreas Deja und von Texter Howard Ashman, doch die Verbindung zwischen Queerness und Bosheit liegt auf der Hand.

Lebenswerte Realität

Nun kann das kreative Durchforsten von Filmen spaßig sein, das Ziel der Repräsentationspolitik ist es allerdings, Homosexualität und Gender-Nonkonformität als lebenswerte Realitäten sichtbar zu machen. Gerade weil dies vielerorts schlichtweg nicht Realität ist und Angehörige der LGBTQI+-Gemeinde konkrete Repressalien zu fürchten haben, schlägt denn auch ein unschuldiger Kuss in einem Disney-Film ein wie eine Bombe. (Valerie Dirk, 17.6.2022)