Das Herzstück der Raffinerie Schwechat ist kaputt, die Reparatur wird dauern.

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Recht lang war nur spekuliert worden, was genau Anfang Juni in der Raffinerie Schwechat denn passiert ist – und vor allem, wie lange die Reparatur der beschädigten "Rohöldestillationsanlage 4" (RD4) dauern könnte.

Sie ist das Herzstück der Raffinerie der OMV, ihr Ausfall kam zum falschesten Zeitpunkt aller falschen Zeitpunkte, wie ein Insider sagt. Soll heißen gerade in jener Zeit, in der die Energieversorgung eines der größten Themen in der Republik ist und die Preise angesichts des knapper werdenden Angebots Tag für Tag steigen.

Lange Reparatur

Am Mittwoch kam dann erstmals eine Stellungnahme des teilstaatlichen Energiekonzerns. Ihr war zu entnehmen, dass die Reparatur von RD4 "jedenfalls mehrere Wochen in Anspruch nehmen wird", wie das Unternehmen wissen ließ. Die Ursachenforschung, wie es zu dem folgenschweren Vorfall beim Drucktest der Anlage am 3. Juni kommen konnte, läuft noch.

Eigentlich war geplant, dass der Turm (auch "Kocher" oder "Kolonne" genannt), in dem Rohöl in seine Bestandteile zerlegt und zu Heizöl, Diesel, Benzin und anderen Derivaten weiterverarbeitet wird, nach mehrwöchigen Revisionsarbeiten wieder in Betrieb genommen wird.

"Es wird eine Reihe von Laboruntersuchungen gemacht, mit denen man herausfinden will, ob es um Materialermüdung geht oder um andere Ursachen. Andererseits wird ein genaues Schadensbild erhoben, um herauszufinden, welche Reparaturmethode die geeignetste ist," erklärte OMV-Sprecher Andreas Rinofner.

Vorwürfe, wonach "zur falschen Zeit am falschen Ort gespart" worden sei, um von den hohen Produktpreisen möglichst lange zu profitieren, wie dies ein Insider im STANDARD-Gespräch formulierte, wies Rinofner als aus der Luft gegriffen zurück: "Diese Raffinerie hält alle Vorgaben sehr penibel ein. Wir haben bekanntgegeben, dass der Turnaround der Anlage alle sechs Jahre stattfindet, wir haben nichts hinausgeschoben."

"Pickerl" für Raffinerie

Die letzte Generalüberholung, vergleichbar dem Pickerl beim Auto, hat 2016 stattgefunden. Kurz darauf sei bereits mit den Planungsarbeiten für die nächste Generalinspektion, deren Beginn für 19. April 2022 fixiert war, begonnen worden. "Das ist ein enormer logistischer Aufwand mit mehreren Tausend Mitarbeitern auch von Partnerfirmen vor Ort", erklärte Rinofner.

Ereignet hat sich der Unfall am Tag der Hauptversammlung der OMV, also am 3. Juni. Vor Inbetriebnahme der Anlage muss überprüft werden, ob es kein Leck gibt, was in einer Raffinerie fatale Folgen haben und zu einer Explosion führen könnte.

Die Druckprüfung wurde wie in solchen Fällen üblich mit Wasser durchgeführt. Dabei habe es eine Dichtung zerrissen, berichtet der Insider, andere sprechen von einem Riss. Durch den Wasseraustritt seien weitere Schäden entstanden, zwei Personen wurden verletzt. Bei der OMV will man noch nicht bestätigen, dass es an einer Dichtung gelegen hat, man spricht von einem "gebrochenen Teil", die Untersuchung sei noch nicht abgeschlossen.

Die ganze Angelegenheit wird sehr diskret behandelt, involvierte Mitarbeiter sollen gleich zur Verschwiegenheit verpflichtet, Risiko- und Notfallteams eingesetzt worden sein. Die Reparaturarbeiten sollen aus sicherheitstechnischen Gründen nächtens vorgenommen werden. Laut OMV-Chef Alfred Stern arbeitet ein Team aus einer "dreistelligen Zahl an Personen" an der Reparatur.

Verarbeitungskapazitäten anheben

So funktioniert der "Kocher" bzw. die "Kolonne": Aus den Rohöltanks auf dem Raffineriegelände wird das vorgewärmte Rohöl in einen Ofen gepumpt, der es auf knapp 400 Grad Celsius erhitzt. So entsteht ein heißes Dampf-Flüssigkeits-Gemisch, das im Turm landet. Die gasförmigen Bestandteile steigen auf und gehen auf den verschiedenen Böden der Kolonne in flüssigen Zustand über. Die Zwischenprodukte werden seitlich abgeleitet, entschwefelt und im letzten Schritt zu den Endprodukten, wie wir sie von der Zapfsäule kennen, "geblendet".

Die Rohöldestillationsanlage 4 ist 1972 in Betrieb gegangen, sie sei dauernd gewartet und laufend erneuert worden, betont man bei der OMV. Die RD4 ist die größte, aber nicht die einzige Anlage zur Aufspaltung von Rohöl am Standort der Raffinerie in Mannswörth (NÖ) bei Schwechat. In den anderen Destillationstürmen kann derzeit aber nur ein Fünftel der sonst üblichen Rohölmenge verarbeitet werden.

Im Normalfall liegt die Kapazität der 40 Meter hohen Hauptdestillationsanlage bei 200.000 Barrel (23,5 Millionen Litern) pro Tag. Wann man diese Menge wieder erreichen kann, ist derzeit ungewiss, manche sprechen von mindestens drei Monaten. Durch gezielte Maßnahmen soll die Verarbeitungskapazität in den einsatzfähigen Destillationstürmen in Schwechat von derzeit 20 Prozent um einige Prozentpunkte angehoben werden.

Versorgung bis Juni

Laut Stern hat die OMV "die Versorgungssituation zumindest für Juni sichergestellt". Neben den von Österreich bereits freigegebenen Reserven an Diesel und Benzin versuche man über die beiden OMV-Raffinerien in Burghausen in Deutschland und in Rumänien Produkte zu beziehen.

"Ein Teil" der staatlich freigegebenen Reserven wurde laut dem OMV-Chef auch tatsächlich genutzt, denn die Lagerbestände der OMV seien schon "ziemlich am Ende" gewesen, als es zum Unfall kam. Schließlich stand RD4 wegen der Generalüberholung eben schon seit 19. April still. (Renate Graber, Günther Strobl, 17.6.2022)