EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war in den ukrainischen Nationalfarben gekleidet, als sie am Freitag vor die Presse trat.

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Es war ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu möglichen Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine: Die Europäische Kommission empfahl am Freitag, dem Land den offiziellen Status eines EU-Beitrittskandidaten zu geben. Dasselbe gilt für die Republik Moldau, die zwischen der Ukraine und dem EU-Mitglied Rumänien eingebettet liegt. Die Kaukasusrepublik Georgien hingegen, die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ebenfalls einen Beitrittsantrag gestellt hatte, soll lediglich eine "europäische Perspektive" erhalten.

Eine Entscheidung über den definitiven Kandidatenstatus für Kiew und Chișinău ist das freilich noch nicht. Das letzte Wort in dieser Sache haben die Staats- und Regierungschefs der bestehenden Mitgliedsstaaten, die nächste Woche bei einem EU-Gipfel darüber beraten werden. Mehrere wichtige Vertreter haben ihre Meinung jedoch bereits am Donnerstag öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck gebracht: Im Rahmen eines gemeinsamen Besuchs in Kiew sprachen sich der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Premierminister Mario Draghi und der rumänische Staatschef Klaus Iohannis dafür aus, der Ukraine und Moldau den Kandidatenstatus zu verleihen.

Weiterer Reformbedarf

Dasselbe tat dann auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, als sie am Freitagmittag vor die Presse trat: "Die Ukraine hat deutlich ihren Wunsch und ihre Entschlossenheit gezeigt, europäische Werte und Standards zu erfüllen", erklärte sie. Bereits in den vergangenen Jahren sei das Land immer näher an die EU gerückt, habe eine gut funktionierende Verwaltung sowie ein faires und freies Wahlsystem. In anderen Bereichen sei freilich noch viel zu tun, etwa bei der Reform des Justizwesens.

Ähnlich beurteilte sie die Lage in Moldau. In Georgien wiederum sei der Reformbedarf höher, deshalb empfiehlt die Kommission derzeit keinen Kandidatenstatus.

In allen drei Staaten gibt es abtrünnige Regionen, in denen prorussische De-facto-Regimes das Sagen haben: In der Ukraine sind das seit 2014 die selbsternannten "Volksrepubliken" Donzek und Luhansk. In Moldau ist es Transnistrien, in Georgien wiederum entziehen sich Abchasien und Südossetien der Zentralregierung in Tiflis.

Von der Leyen vermied es auch nicht, die Bezüge zum russischen Angriff auf die Ukraine offen anzusprechen: "Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben", sagte sie. Nun wolle man es ihnen ermöglichen, den europäischen Traum zu leben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich am Freitag dankbar für die Empfehlung und sprach von einer "historischen Entscheidung".

Moskau reagierte mit dem Vorwurf, die EU würde Kiew "manipulieren": Die Zusicherungen an die Ukraine seien eine "verlogene Botschaft, die in der Praxis nichts Gutes bringt", sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums.

Warnung vor "Tunnelblick"

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg wies am Freitag per Aussendung darauf hin, dass der Kandidatenstatus keinen sofortigen Beginn von Beitrittsverhandlungen bedeute. Dass die Empfehlung an Reformen bei Korruptionsbekämpfung oder Justiz geknüpft sei, sei eine "vernünftige Herangehensweise", so Schallenberg.

Er warnte aber vor einem "geostrategischen Tunnelblick" und forderte Verantwortung gegenüber den Staaten des Westbalkans, die teils schon seit Jahren Beitrittskandidaten seien. Auch Europaministerin Karoline Edtstadler will keine "Doppelstandards". (Gerald Schubert, 17.6.2022)