An den Märkten häufen sich die schlechten Nachrichten. Die Zinsanhebungen der Notenbanken stören die bisherige Börsenparty.

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An den Börsen herrscht derzeit Unsicherheit. Die Notenbanken haben den Kampf gegen die Inflation aufgenommen. In den USA, Großbritannien und der Schweiz wurden die Zinsen erhöht. Die EZB wird in den nächsten Tagen folgen. Das tut den Märkten, zumindest vorübergehend, nicht gut.

Als die Inflation vor ein paar Monaten begonnen hat zu steigen, konnten die Unternehmen ihre erhöhten Kosten noch locker an die Kunden weitergeben. Die Gewinnmargen waren nicht gefährdet. Die Lohnerhöhungen haben die ersten inflationären Tendenzen abgefedert. Diese Lage hat sich mittlerweile verändert.

Der Preisauftrieb ist bei den privaten Haushalten angekommen, weil nicht mehr nur Lieferkettenengpässe für die Teuerung verantwortlich sind. Die hohen Energiekosten schlagen auch auf die Haushalte durch, und mittlerweile wurden auch Lebensmittel beträchtlich teurer. Aufschläge gibt es mittlerweile auch in der Gastronomie oder der Hotellerie. In Summe schmälern die hohen Preise die Kaufkraft, und das wiederum schlägt auf die Unternehmen durch. Kunden sind weniger bereit – oder können es sich oftmals einfach nicht leisten –, den Aufschlag zu bezahlen. Zeitgleich sorgen die Lohnerhöhungen dafür, dass sich die Gewinnmargen der Unternehmen verkleinern. Steigen die internen Kosten um sieben Prozent und der Preis eines Produktes steigt um neun Prozent, streift das Unternehmen eine Gewinnmarge von zwei Prozent ein. Klettern die Kosten ebenfalls auf neun Prozent, müssten Unternehmen deutlich mehr verkaufen. Das wiederum ist im inflationären Umfeld unrealistisch, weil die Kaufkraft der Bevölkerung nachlässt, wenn die Preise in Summe steigen.

Übertragung verhindern

"Nun gilt des, Übertragungseffekte zu verhindern", erklärt Peter Brezinschek, Chefanalyst der RBI. Er spielt damit auf Zweit- und Drittrundeneffekte an. Denn die Nachfrage nach Gütern wäre da – sie wird teils aber angebotsseitig verhindert. Auch eine Lohn-Preis-Spirale gelte es zu verhindern. Genau hier sollen die Aktionen der Notenbanken greifen und abfedern, dass sich andere Güter ebenfalls verteuern.

Denn: "Die Notenbanken haben mit ihrer jahrelangen Politik des billigen Geldes die inflationäre Tendenz befeuert", sagt Brezinschek. Viel von dem billigen Geld (weil Nullzinsen) floss an die Börsen, das habe die Aktien- und Finanzmärkte gepusht. Zweistellige Kursgewinne über einen so langen Zeitraum wären ohne das billige Notenbankgeld nicht möglich gewesen, erklärt der Experte. Auch die Überbewertungen am Immobilienmarkt wären ohne das Geld zum Nulltarif wohl so nicht passiert. Brezinschek spricht daher auch nicht von einer aktuell straffen Geldpolitik, sondern von einer, die wieder in Richtung Normalisierung geht.

Steigende Zinsen mischen die Karten jetzt aber neu. Finanzierungskosten werden höher – für Private und Unternehmen. Auch die Lohnkosten werden laut Brezinschek stiegen. Damit sinken die Gewinnzuwachsraten der Unternehmen, und deswegen sinken die Kurse der Aktien gerade. Viele Titel werden jetzt neu bewertet.

Sorge vor Rezession

In Summe nährt all das die Sorge vor einer Rezession. "Es kommt momentan sehr viel an Negativem zusammen", sagt Analyst Frank Wohlgemuth von der Nationalbank in Essen. "Problematisch daran ist, dass ein rasches Ende des Kanons an schlechten Nachrichten nicht in Sicht ist." Dies gelte sowohl für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine als auch für die im Herbst sehr wahrscheinlich wieder steigenden Corona-Zahlen mit all ihren negativen Implikationen.

In der Eurozone rückt durch die angekündigte Zinswende der EZB zudem die Verschuldung der Mitgliedsstaaten wieder in den Vordergrund, gibt Chris Iggo, Chefanleger des Vermögensverwalters Axa Investment Managers, zu bedenken. Die Schuldentragfähigkeit könnte wieder zum echten Problem werden. Die von der EZB angekündigten neuen Instrumente zur Bekämpfung von Verzerrungen bei den Anleiherenditen müssten zudem rasch kommen, sagt Andrew Mulliner, Chef Anlagestratege des Vermögensverwalters Janus Henderson. "Es wäre ein wenig überraschend, wenn der Markt nicht versuchen würde, die EZB weiter zu testen."

Fakt ist, dass mit den steigenden Zinsen auch die Renditen bei Anleihen steigen. Das macht diese Anlageklasse wieder attraktiver und bringt Anleihen als Konkurrenz zu Aktien wieder in Stellung.

Gute Laune vor dem Wochenende

Vor dem Wochenende haben die Börsen all diese Sorgen aber vorerst vergessen. In Europa waren die Märkte am Freitag auf Erholungskurs. Gesucht waren Stahlwerte nach einem ermutigenden Ausblick von US-Steel. Das Unternehmen stellte für das laufende Quartal einen überraschend hohen Gewinn von 3,83 bis 3,88 Dollar je Aktie in Aussicht. Auch die Wall Street konnte sich vorerst wieder fangen.

Analyst Jochen Stanzl vom Onlinebroker CMC Markets warnte allerdings vor weiteren Kursrückschlägen. Ein finaler Ausverkauf, der durch eine rasante Talfahrt bei stark erhöhten Handelsvolumina geprägt werde, stehe noch aus. (Bettina Pfluger, 17.6.2022)