ICAN-Direktorin Beatrice Fihn ist überzeugt: "Wir werden die Welt retten, ein weiteres Mal." Gleich zweimal posaunt sie unter tosendem Applaus hunderter Konferenzteilnehmerinnen und –teilnehmer die Kampfparole der zivilen Abrüstungsbewegung hinaus. Es ist, in Zeiten wie diesen, wohl eine gute Portion Zweckoptimismus mit dabei. Knapp eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags (TPNW), mehr als fünf Jahre nach der Verleihung des Friedensnobelpreises für die Atomwaffengegner von ICAN und acht Jahre seit dem letzten derartigen Forum in Wien, ist die Welt eine andere. Das nukleare Tabu, die langjährige Praxis, dass die Verantwortlichen der Weltpolitik nicht mit dem Einsatz der tödlichsten Massenvernichtungswaffe drohen, bröckelt heftig.

Mitunter formt sich auch kreativer Protest. Jeden kümmert das Wohl von Katzenbabys, erklärt der Schaffer des Werks.
Foto: Sommavilla

Das ignorieren weder Fihn noch die Österreich-Direktorin Nadja-Schmidt bei ihren Eingangs-Statements. Wladimir Putin ist der ungebetene Gast bei dieser Konferenz, die die Rolle der Zivilgesellschaft in der Abrüstungsfrage ein weiteres Mal hervorheben will. Noch bis Sonntag Abend läuft die Veranstaltung in der Aula der Wissenschaften in Wien. Am Montag richtet Österreichs Außenministerium zudem eine Konferenz zu den humanitären Folgen aus. Am Dienstag folgt dann die erste Konferenz der Vertragsstaaten.

Verbotsvertrag als "neue Norm"

Für Fihn ist klar: die Welt ist zu volatil, um sich stets darauf zu verlassen, dass alles gut gehe, die Männer der Weltpolitik zu unberechenbar. Einfache Menschen aus der Zivilgesellschaft müssten aufstehen und die "Blaupause" für das Ende von Nuklearwaffen schreiben – wobei geschrieben ist sie mit dem Verbotsvertrag eh schon. Es fehlt nur noch an der Unterstützung der großen mächtigen Staaten, vor allem jener Nuklearschirmstaaten, die eines Tages vielleicht sogar die Atommächte an den Verhandlungstisch bringen könnten.

Kurz vor der Eröffnung.
Foto: Sommavilla

Für Alexander Schallenberg, Österreichs per Videostream zugeschaltetem Außenminister, ist klar, dass die Zeit der "nuklearen Erpressung" durch den russischen Präsidenten Putin aufhören müsse. "Der Verbotsvertrag ist die neue Norm", sagt Schallenberg und betont, dass es eine Frage der Sicherheit für uns alle sei. Schallenberg und sein Team hatten vor eineinhalb Jahren mit einem für viele missglückten Video auf die Bedrohung von Atomwaffen aufmerksam gemacht. Heute, eineinhalb Jahre später, sehen viele immer noch deutliches Verbesserungspotenzial am Video. Nachsatz: dennoch ist es ist leider akuter denn je.

Sonderrolle Japans

Wie auch schon vor acht Jahren, stehen auch an diesem Wochenende die humanitären Folgen von Atomwaffeinsätzen und -tests im Fokus der Veranstaltung. Besonders beeindruckend etwa die Schilderung von Sueichi Kido, einem der letzten Hibakuscha, der "Explosionsopfer", wie die Überlebenden der Atombombeneinsaätze über Hiroshima und Nagasaki genannt werden. Wie bei den Holocaust-Opfern auch, werden sie die vom Horror direkt berichten können immer weniger.

Umso wichtiger sind ihre Geschichten zu hören. Kido lebte zwei Kilometer vom Punkt des Ground Zero in Nagasaki entfernt. Umgestoßen von der Druckwelle und mit verbranntem Gesicht konnte er gerettet werden. "Man kann es nur mit dem Wort Hölle beschreiben", sagt Kido, der die japanische Regierung scharf für den Nichtbeitritt zum TPNW kritisierte. Es sei dieser Glaube, dass die Bürger immer alle Schmerzen des Krieges zum Wohle des Staates auf sich nehmen müsse, der Japan von seiner einst pazifistischen Haltung wieder vermehrt abbringe.

Auch der ehemalige Bürgermeister von Hiroshima, Tadatoshi Akiba, sparte nicht mit Kritik an der rechtskonservativen Politik der Regierung. Früher hätte man junge Verantwortliche in den Außenministerien aus aller Welt nach Hiroshima eingeladen, um ihnen die schrecklichen Folgen hautnah zu zeigen. Doch dies geschehe nicht mehr. "Sie verstehen die Gefahr nicht mehr."

Geiseln der Bombe

Neben zahlreichen Testopfern, die ihre persönlichen Schicksale von Krebserkrankungen und an Krebs verstorbenen Familienmitgliedern erzählen, drehen sich viele Fragen um den Krieg in der Ukraine. Jonas Jaegermeyr von der Columbia Universität erkennt in den aktuellen Kriegsauswirkungen auf die globale Lebensmittelsituation etwa Parallelen zu dem was im Falle eines beschränkten Nuklearkrieges passieren würde.

Angenommen es kämen 0,7 Prozent der globalen Arsenale oder 30 Prozent von dem was Pakistan und Indien an Atomwaffen besitzen zum Einsatz, so müsste aufgrund der entstehenden Rauchwolken mit einem sofortigen globalen Temperatursturz von fast zwei Grad ausgegangen werden. Dieser Temperatursturz sei kurzfristig weitaus fataler als eine globale Erwärmung um denselben Wert, sagt Jaegermeyr – immerhin bliebe keine Zeit darauf zu reagieren oder angepasste Getreidesorten zu pflanzen. Höher gelegene Regionen seien ungleich schwerer betroffen als tropische.

Noch vor einigen Monaten glaubte man am Forum die Erfolge vergangener Jahre feiern zu können. Die weltpolitische Lage zwingt nun alle Teilnehmenden sich abermals wesentlich intensiver mit den möglichen Folgen eines Atomwaffeneinsatzes auseinanderzusetzen. Autorin und Abrüstungsaktivistin Togzhan Kassenova formulierte es so: "Solange es die Bombe gibt, sind wie alle ihre Geiseln" (Fabian Sommavilla, 18.6.2022)