Im Gastkommentar fordert der Vizepräsident des Umweltdachverbands Reinhold Christian eine energische, durchsetzungs- und umsetzungsorientierte Klimapolitik.

Strom nur noch aus erneuerbaren Quellen? Dafür muss Österreich ordentlich an Tempo zulegen – vor allem auch bei der Windkraft.
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Mitte Juni 2022 ließ Klimaministerin Leonore Gewessler mit dem Ruf nach einer "Fast Track für Windkraft" samt Einschränkung der Kompetenzen der Länder aufhorchen. Was steckt dahinter?

Jahrzehntelang wurde der Klimawandel geleugnet, ignoriert, vernachlässigt. Die negativen Folgen – Starkregenereignisse, vermehrte Hitzetage, Dürreprobleme oder Waldbrände – führten 2015 zu einer Übereinkunft von 192 Uno-Mitgliedern in Paris. In der Folge wurden ehrgeizige Ziele festgelegt.

Energiewende schafft Arbeitsplätze

Österreich will bis 2030 Strom bilanziell zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen generieren, bis 2040 treibhausgasneutral sein. Technisch ist das durchaus möglich: Energiesparen und konsequente Effizienzsteigerung führen zu einer Reduktion des Verbrauchs, der dann mit heimischen erneuerbaren Energieträgern gedeckt werden kann. Erstmals habe ich diesen Weg für Österreich im Jahr 1984 mit der Studie "Energie 2030 – Der sanfte Weg" vorgezeichnet. Damals hat das heftige Kritik ausgelöst – von Betriebsräten über "Industriekapitäne" bis zum zuständigen Minister: Energieeffizienz und Erneuerbare vernichten Arbeitsplätze, hieß es. Heute wissen wir, dass eine naturverträgliche Energiewende Arbeitsplätze schafft und sichert, die Wirtschaft belebt und Euromilliarden für fossile Importe einspart. Jahre später, 2010, hat die Studie "Zukunftsfähige Energieversorgung für Österreich" gezeigt, wie der Energieverbrauch halbiert und ohne Komfortverlust naturverträglich durch Erneuerbare gedeckt werden kann: Der Schlüssel zum Klimaschutz ist Effizienz – sie wird aber bestenfalls wie ein Stiefkind behandelt.

Verbrauch steigt

Der Energieverbrauch steigt also weiter. Sanierung der Gebäude, gute Erreichbarkeiten (Stichwort:Stadt der kurzen Wege) und Vorrang für öffentlichen Verkehr, Rad, Zufußgehen, generell "Raus aus fossil" tut not – aktuelle Maßnahmen sind in diesen Bereichen gemessen am Bedarf marginal. Dazu kommen noch kontraproduktive Entwicklungen. Ein wirksames Energieeffizienzgesetz fehlt nach wie vor, das Erneuerbare-Wärme-Gesetz geht gerade erst in Begutachtung, das Klimaschutzgesetz fehlt ebenso wie der Klimacheck für Großprojekte, der Masterplan Mobilität ist nicht rechtsverbindlich, das Bundesstraßengesetz sieht den Bau hochrangiger Straßen vor, neue Gebäude werden auch im unzureichenden NiedrigenergieStandard errichtet, Photovoltaik-Potenziale auf und an Gebäuden werden nicht erschlossen, und kaum wurde ein CO2-Preis endlich festgelegt, wird er auch schon wieder storniert.

"Sinnvoll wäre zweifellos auch ein Beitrag der Länder Vorarlberg, Tirol, Salzburg, wo sich noch immer keine Windräder finden, und auch Kärntens."

Über alledem hängt das Damoklesschwert der Zeitknappheit. Beispiel Windkraft: Zum Ziel "100 Prozent erneuerbarer Strom ab 2030" soll die Windkraft jährlich zusätzliche zehn Terawattstunden (zehn Milliarden Kilowattstunden!) beitragen. Das erfordert den Ausbau von rund 1250 Anlagen, also mehr als 150 Windräder pro Jahr! Eine von vielen Mammutaufgaben des Klimaschutzes. Die langfristigen Potenziale dafür sind vorhanden, sie lassen sogar Spielraum, um andere gesellschaftliche Erfordernisse und Interessen zu berücksichtigen. Die Aufgabe könnte also auch naturverträglich, mit Schonung oder vielleicht sogar Förderung der Biodiversität und unter Wahrung der Bürgerrechte erfolgen.

Sinnvoll wäre aber zweifellos auch ein Beitrag der Länder Vorarlberg, Tirol, Salzburg, wo sich noch immer keine Windräder finden, und auch Kärntens. Dort wird der Ausbau kleiner sein als in den windreichen Ebenen Niederösterreichs und des Burgenlands. Ja, niemand wünscht sich eine Kolonne von Windrädern auf dem Alpenhauptkamm, aber sinnvolle Beiträge sind auch in diesen Bundesländern notwendig und einzufordern.

Problematische Fallfristen

Ähnliche Bilder zeigen sich in allen anderen Bereichen, wo Energie verbraucht wird – und überall dort, also in allen Lebensbereichen, brauchen wir radikalen Fortschritt statt schöner Ziele und Stagnation der Maßnahmen.

Dennoch ist der Vorstoß der Umweltministerin auch kritisch zu sehen: Fallfristen, nach deren Ablauf ein Projekt unabhängig vom Stand des Verfahrens als genehmigt gilt, sind absolut nicht akzeptabel und sowohl aus demokratiepolitischen als auch funktionellen Gründen abzulehnen. Die angekündigte Einschränkung der Rechte der Bundesländer ist wohl kaum verfassungskonform.

APA/bes | DER STANDARD

Biodiversität, Naturschutz, Bürgerrechte

Was wir brauchen, ist eine energische, durchsetzungs- und umsetzungsorientierte Klimapolitik, die auch anderen gesellschaftlichen Interessen Rechnung trägt: Biodiversität, Naturschutz und Bürgerrechte dürfen nicht unter die (Wind-)Räder kommen! Politik, Verwaltung (aller Ebenen), Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Private – wir alle sind gefordert. Eine ganzheitliche, naturverträgliche Energiewende kann nicht mit "Drüberfahren" durchgesetzt werden. Alle müssen an einem Strang ziehen! Der Lohn für die enorme Anstrengung ist hohe Lebensqualität auch in Zukunft. (Reinhold Christian, 20.6.2022)