Noch habe sie gute Laune: Thomas Schmid (Anita Giovanna Rosati) und Sebastian Kurz (Laura Rieger, re.)

Marieluis

Im beschaulichen Bergdorf St. Koloman, eine halbe Stunde Autofahrt südlich von Salzburg, glückte am Samstag ein bemerkenswertes Experiment. Auf dem Dorfplatz, eingerahmt von Kirche, Rathaus und einem Wirtshaus kam die Oper "Der Prätorianer oder die Zärtlichkeit des Thomas S." zur Uraufführung. Es ging um heikle wie hochpolitische Materie: Das Libretto basiert hauptsächlich auf Chats, die Sebastian Kurz und Thomas Schmid einander geschickt haben – zwischen der Übernahme von Parteimacht und Kanzleramt 2017 und der Ibiza-Affäre im Frühjahr 2019.

Künstlerisch hatte die Dialoge bereits das Wiener Burgtheater in Kooperation mit dem STANDARD verarbeitet, indem Schauspieler die Nachrichten von Kurz und seinen Leuten sprachen und so das brisante Stück Zeitgeschichte fassbarer machten. Dieses Projekt wiederum inspirierte die Macher der Oper.

Gut fürs Singspiel

Tatsächlich eignen sich die Chats auch bestens für ein Singspiel, enthält der Stoff doch die alle notwendigen Essenzen für ein musikalischen Bühnenstück: Gier und Macht, Liebe und Hass, Aufstieg und Fall. Inszeniert als erotisch grundierter Plot, schreiten Schmid (Anita Giovanna Rosati) und Kurz (Laura Rieger) in Richtung Macht: Schmid als serviler Lakai, Kurz als zielstrebiger Dominator mit – das ist ein bisschen gemein – übergroßen aufgesteckten Ohrmuscheln.

Sie tippen anfangs auf ihren übergroßen Handys herum, sie ergötzen sich an nützlichen Umfragen. Und ordinär ziehen sie über Parteifreunde her und freuen sich in sadistischer Weise über die Demütigung eines Bischofs. Zwischendurch erläutert und verknüpft die Szenen der Sänger Johannes B. Czernin, der auch das Libretto schrieb. "Es gilt die Unschuldsvermutung", trällert er zwischendurch maliziös – sicher ist sicher.

Nur wenige Mittel

Die Inszenierung kommt mit wenigen Mitteln aus: Als Bühnenbild dient eine mannshohe Kiste, außen türkis, innen rosarot. Die Musik (Komponist Tristan Schulze), dargeboten von drei Streichern und einem Akkordeon, klingt mal süßlich, mal schroff, also passend zum Libretto. Das Ganze erinnert an eine Mischung von Mozart’schem Lustspiel, griechischer Komödie und eine ins Absurde getriebene Barock-Oper. All das freilich dorfplatztauglich, in Miniaturausgabe.

Exzellente sängerische Fähigkeiten treffen gutes Schauspiel. Etwa in der Szene als beide überlegen, wie sie das milliardenschwere Paket der damaligen Koalitionsspitzen Christian Kern und Reinhold Mitterlehner für die geplante Nachmittagsbetreuung torpedieren können. Kurz’ Stress schwindet, seine Miene hellt sich auf, die Frage lässt ihn frohlocken, bevor sie ausgesprochen ist – sie lautet: "Bitte. Kann ich ein Bundesland aufhetzen?" Oder als sich Schmid den Anzug herunterreißt und kraftprotzend beidseitig seine Bizeps darbietet. Dabei ist er gewandet im Dress der österreichischen Fußball-Elf, die seit Kurz‘ Kanzlerschaft die ÖVP-Farben Türkis und Schwarz trägt.

Erfolgsgeil und eitel

Das Stück erzählt die Geschichte einer seltsamen Romanze zwischen Schmid und Kurz. Gemeinsam berauschen sie sich in 40 Minuten aneinander und ihrem Weg nach oben: Es sind Gefühle der Zuneigung, die auf dem Boden der Erfolgsgeilheit und der Eitelkeit sowie der Verachtung für andere wächst. Schmid schleimt, erklärt sich zum Prätorianer und Kurz damit im Umkehrschluss zum Imperator. Es fällt der längst legendäre Satz: "Ich liebe meinen Kanzler", man tanzt im Dreivierteltakt.

Das Stück endet mit einem hübschen Abgesang von Schmid, Kurz und dem Erzähler: "Man folgte ihm, man hielt ihn gar für den Messias, wirklich wahr." Und, in Anlehnung an den Text der österreichischen Bundeshymne: ""Schicksal, schlugst uns tiefe Narbe. Oh, du vielgeliebt‘ Türkis."

Ob die sehens- und hörenswerte Oper abermals aufgeführt wird, ist ungewiss. Manche Kreise dürften allerdings froh sein, wenn es nicht dazu kommt. Am Vorabend wurde die Webseite gehackt, über welche die Tickets gekauft werden konnten. Der Preis wurde (von 5 bis 10 Euro) auf "500 bis 2500" Euro heraufgesetzt. Wer hinter der digitalen Attacke steht, ist unklar. (Oliver Das Gupta,19.6.2022)