Baumgarten an der niederösterreichisch-slowakischen Grenze ist einer der großen Gashubs in Europa. Dort kommt der Großteil des in Österreich benötigten Erdgases an, bis jetzt ohne große Schwankungen.

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Seit Donnerstag kommt deutlich weniger Gas über Pipelines aus Russland in Österreich an. Moskau bleibt dabei, dass die verminderten Gasflüsse über die Ostseepipeline Nord Stream 1 technischen Problemen geschuldet seien, namentlich dem Ausfall einer Siemens-Turbine, die in Kanada gewartet und sanktionsbedingt nicht an die russische Betreibergesellschaft übergeben werden darf.

Von der 60-prozentigen Liefermengeneinschränkung ist vor allem Deutschland betroffen, aber auch Österreich. Deswegen hat Sonntagabend das Krisenkabinett der Bundesregierung getagt. Nach knapp zwei Stunden Beratung zwischen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Wirtschaftsminister Martin Kocher und Energieministerin Leonore Gewessler von den Grünen das Ergebnis: Der Stromkonzern Verbund sei angewiesen worden, das im Frühjahr 2020 nach 34 Betriebsjahren stillgelegte Kohlekraftwerk Mellach bei Graz zu reaktivieren – "für den hoffentlich nicht eintretenden Ernstfall, dass kein Gas mehr aus Russland nach Österreich kommt," wie es heißt.

Bei Verbund weist man darauf hin, dass die Ertüchtigung des einstigen Fernheizkraftwerks, das u.a. Graz mit Wärme versorgt hat, gewisse Zeit in Anspruch nehme; auch müsse erst die zur Verfeuerung benötigte Kohle beschafft werden. Umso wichtiger sei es, die Weichen jetzt zu stellen, damit das Kraftwerk in einigen Monaten notfalls einsetzbar sei, hieß es im Energieministerium nach Ende des Krisengipfels auf STANDARD-Anfrage. Der Herbst als Zieldatum gehe sich aber auf keinen Fall mehr aus.

Verminderter Gasfluss schürt Ängste

Die geringeren Gasmengen, die seit Tagen aus Russland kommen, schüren in weiten Teilen Europas Ängste. In Lubmin an der Ostsee trifft die 2011 in Betrieb gegangene Nord Stream 1 an Land, über die seit Tagen schon deutlich weniger Gas kommt. Deutschland bezieht normalerweise sehr viel Gas daraus. Betroffen ist aber auch Frankreich, das wegen des Druckabfalls seit Tagen kein Gas mehr aus Russland bekommt. Auch Italien berichtet von einem 50-prozentigen Lieferrückgang. Desgleichen Tschechien und Österreich, wobei Österreich den Großteil des in Russland gekauften Gases über Leitungen bezieht, die durch die Ukraine und die Slowakei laufen.

Trotz des verminderten Gasflusses sind die Speicher in den vergangenen Tagen und Stunden weiter befüllt worden. Insgesamt fassen die in Österreich befindlichen unterirdischen Speicher rund 95 Terawattstunden (TWh), das entspricht in etwa einem Jahresbedarf an Gas. Damit verfügt Österreich pro Kopf über die größte Speicherkapazität in Europa.

Speicher zu 42 Prozent gefüllt

Aktuelle Daten von Sonntag zeigen, dass die Speicher zu 41,89 Prozent gefüllt sind. Noch am Freitag lag der Füllstand im Schnitt bei 40,20 Prozent. Zum Vergleich: Gegen Ende der Heizsaison im März waren die Speicher nur noch zu 12,0 Prozent gefüllt.

Nachdem kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar die Gaspreise im Großhandel kurzfristig auf bis zu 215 Euro je Megawattstunde (MWh) schnalzten, haben OMV und Co den Preisrückgang in den vergangenen Wochen auf etwa 80 Euro je MWh zum verstärkten Einspeichern genutzt. Seit der Ankündigung und Durchführung der Lieferkürzung am Donnerstag sind die Preise wieder auf über 120 Euro je MWh gestiegen.

Komplizierte Preisformel

Aber hat die OMV als Hauptimporteur von Gas nach Österreich nicht ohnehin Fixpreise mit dem russischen Verkäufer Gazprom? Die Vertragsausgestaltung ist ein streng gehütetes Geheimnis; normalerweise ist solchen sehr komplexen Preisformeln auch ein variables Element eingebaut, das die Preisschwankungen am Spotmarkt abbildet. Höhere Preise im Großhandel bedeuteten deshalb auch höhere Abnahmepreise für die OMV, wenn auch in abgeschwächter Form.

Die OMV hat Insidern zufolge zwei Verträge mit Gazprom abgeschlossen. Einen im Umfang von 60 TWh pro Jahr, der Lieferungen, die in Baumgarten an der niederösterreichisch-slowakischen Grenze übergeben werden, betrifft. Ein zweiter mit etwa 40 TWh hat Lubmin als Übergabepunkt, wo Nord Stream 1 endet. Damit versorgt die OMV hauptsächlich Kunden in Deutschland, ein kleinerer Teil des Gases geht auch physisch nach Österreich.

APA/bes | DER STANDARD

Stabile Lieferungen

In Baumgarten komme Gas wie gehabt an. Geringere Mengen aufgrund notwendiger Wartungsarbeiten seien üblich und würden durch vorgezogene oder nachfolgende höhere Liefermengen ausgeglichen, hieß es zuletzt bei der Regulierungsbehörde E-Control.

Haushalte müssten selbst bei einem Totalausfall der Lieferungen zumindest kurzfristig nichts befürchten und sich im Gasverbrauch auch nicht einschränken. Großverbraucher aus der Industrie hingegen würden informiert, dass die Versorgungslage schwieriger werde und sie versuchen sollten, darauf zu reagieren. 2009, als es schon einmal kritisch war mit der Gasversorgung, hat das gereicht, weil Spitzen im Verbrauch abgemildert wurden. (Günther Strobl, 19.6.2022)