Ein sinnbildlicher Schirm, der Mieterinnen und Mietern in finanziellen Nöten rasch Hilfe gewähren und Delogierungen verhindern sollte: Das ist die Idee der "Wohnschirm"-Aktion, die Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) Anfang Mai präsentierte. 24 Millionen Euro wurden zur unbürokratischen Abdeckung von Mietzinsrückständen und Gerichtskosten reserviert. Mit der ersten ausbezahlten Million – wobei die Aktion eigentlich schon im März begonnen hatte – konnte "378 Haushalten die Wohnung gesichert bzw. ein Umzug in eine leistbare Mietwohnung mitfinanziert werden", hieß es Ende Mai in einer Zwischenbilanz.

Fast die Hälfte der unterstützten Haushalte seien Familien mit Kindern gewesen, darunter viele Alleinerziehende. Die Aktion sollte ursprünglich für 2022 und 2023 gelten, wurde kürzlich im Rahmen des Antiteuerungspakets der Regierung aber vorzeitig verlängert und sogar um 60 Millionen Euro aufgestockt.

Lange geforderte Maßnahme

Spät, aber doch hat die Regierung damit also jenen Hilfsfonds geschaffen, den Mieterschutzorganisationen schon zwei Jahre zuvor, in der ersten Corona-Zeit, vehement gefordert hatten. "Auch wenn es zwei Jahre gedauert hat, bewerten wir die Einrichtung natürlich positiv", sagt Georg Niedermühlbichler, Präsident der SPÖ-nahen Mietervereinigung Österreichs (MVÖ), im STANDARD-Gespräch.

Kurze Rückblende: Schon im ersten Lockdown 2020, als absehbar war, dass viele Mieterinnen und Mieter wegen Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit in finanzielle Nöte geraten dürften, war es zwar zu gesetzlichen Eingriffen gekommen, Mieterschutzorganisationen haben diese aber von Anfang an als zu dürftig erachtet. Zahlungsaufschübe wurden gesetzlich ermöglicht, eine monatsweise Verlängerungsmöglichkeit für befristete Mietverträge wurde geschaffen, und Räumungen wurden zumindest erschwert. Die ersten beiden Punkte sind längst schon wieder passé, doch das Verbot einer Wohnungskündigung oder gar einer Räumungsklage im Falle eines Mietzinsrückstands aus den Monaten April bis Juni 2020 läuft erst jetzt ab – weil der entsprechende Paragraf des 2. Covid-19-Justiz-Begleitgesetzes am 30. Juni außer Kraft tritt.

Allerdings: "Große praktische Bedeutung" wird das nach Ansicht des Wohnrechtsexperten Christoph Kothbauer nicht haben, weil es eben rein auf Zahlungsrückstände aus dem zweiten Quartal 2020 beschränkt war. "Es wird wohl kaum Mieter mit Zahlungsrückständen geben, deren Rückstände einzig aus dieser Zeit stammen." Auch Niedermühlbichler sieht das so. Gleichwohl: Von einer "Delogierungswelle", die von Mieterschutz- und Wohnungslosenorganisationen befürchtet wurde, ist weiterhin nichts zu sehen. Aber genau die soll der "Wohnschirm" ja nun auch verhindern.

"Keine Grenze nach oben hin"

Und bei den bundesweit insgesamt 28 Beratungsstellen gibt es viel zu tun. "Wir hatten schon vor der Pressekonferenz der Regierung genügend Leute", sagt Barbara Descho, Leiterin der Fachstelle für Wohnungssicherung bei der gemeinnützigen Soziale Arbeit GmbH in Salzburg. Und seither seien noch ein paar mehr dazugekommen. Für positiv am Wohnschirm erachtet sie, "dass es nach oben hin keine Grenze gibt" und dass die Hilfe relativ schnell ausbezahlt werden könne. Andererseits: Jede und jeder könne nur ein einziges Mal um Hilfe aus dem Wohnschirm ansuchen. Und die Mietschuld müsse mit Corona zusammenhängen, Stichtag ist der 1. März 2020. "Manche Leute würden uns einfach nur gerne ihre Erlagscheine dalassen und sonst nichts ändern", sagt Descho. Doch das könne natürlich nicht akzeptiert werden. "Wir erarbeiten mit jedem Antragsteller einen konkreten Plan, wie die Schuldentilgung vonstattengehen kann." Nachsatz: "Die Leute sollen etwas lernen in der Zeit, in der sie bei uns sind."

Auszahlungen bewegen sich laut Descho meist zwischen 1.500 und 5.000 Euro. Und dreimal wurde auch schon ein Antrag auf Wohnungswechsel gestellt: "Wenn absehbar ist, dass der Antragsteller mit der aktuellen Wohnsituation nicht mehr klarkommt, bemühen wir uns um einen Umzug." Dafür gibt es pauschal 2.500 Euro für die Person, die den Antrag stellt, und 500 Euro für jede weitere Person, die mitzieht.

Alles schön und gut? Nein, sagt Wolfgang Kirnbauer vom Wiener Mieterschutzverband. Er sieht es problematisch, dass es beim "Wohnschirm" sozusagen zu einer Art Prioritätenumkehr komme. Mieterinnen und Mietern in finanziellen Schwierigkeiten wurde nämlich bisher stets empfohlen, die Mietzahlungen prioritär zu behandeln, damit sie jedenfalls die Wohnung nicht verlieren, und alle anderen Verbindlichkeiten erst danach versuchen zu begleichen. Nun werden aber ausschließlich Mietschulden abgegolten. "Das ist sicher gut gemeint, bringt aber das klassische Prioritätenkonzept völlig durcheinander", sagt Kirnbauer.

Energiekosten nicht inkludiert

Nachzahlungen aufgrund einer Betriebskostenabrechnung (diese muss alljährlich bis 30. Juni bei den Mieterinnen und Mietern eintrudeln) können unterm Wohnschirm immerhin auch berücksichtigt werden, sofern es darüber hinaus eben auch "Mietschulden" gibt. Reine Energiekosten aber werden nicht übernommen. Doch gerade hier sieht Kirnbauer aktuell sehr dunkle Wolken über vielen Mieterinnen und Mietern aufziehen. "Unglaublich hohe Energienachzahlungen und Akontoerhöhungen bei den Energiezahlungen" würden bei manchen Klienten gerade aufschlagen. Auch die Diakonie und die Armutskonferenz forderten jüngst die Mitabdeckung der Energiekosten, ebenso wie Niedermühlbichler.

Er hält die Aufstockung des Budgets für den Wohnschirm für richtig – und fügt hinzu, dass "weiter aufgestockt werden muss, wenn die Mittel nicht reichen". Denn einerseits sei die Pandemie noch nicht vorbei, "auf der anderen Seite setzt die Rekordteuerung mit explodierenden Energiepreisen und weiter steigenden Mieten den Mietern zu". Hier seien weitere Maßnahmen nötig: "Es ist höchste Zeit für ein Mietrecht für alle mit transparenten und für alle geltenden Mietzinsobergrenzen." (Martin Putschögl, 20.6.2022)