Funke-Verlegerin Julia Becker beim European Publisher Congress in Wien.

Foto: APA / Ludwig Schedl / Medienfachverlag Oberauer GmbH

Wien – Mehrwertsteuern so hoch wie nirgendwo sonst in Europa belasten Zeitungen und Zeitschriften in Österreich und Deutschland: Also kam Funke-Verlegerin Julia Becker mit einem Appell an die Regierungen beider Länder zum European Publisher Congress in Wien. Eine Reduzierung der Mehrwertsteuersätze wäre "eine wundervolle Investition in die Demokratie", sagte Becker.

Die Funke-Mediengruppe ist einer der größten deutschen Zeitungsverlage und maßgeblich beteiligt an "Krone" und "Kurier" in Österreich.

Becker beklagte sieben Prozent Mehrwertsteuer auf Zeitungen in Deutschland und zehn Prozent in Österreich – während "vergleichbare Angebote" im Rundfunk keine solchen Steuerbelastungen hätten.

Gerade die Verlage mit ihrer "enormen Vielfalt" an Titeln insbesondere in Deutschland trügen wesentlich zur demokratischen Meinungsbildung bei, betonte Becker. Sie stünden zudem vor "enormen Herausforderungen" – von vervielfachten Papierpreisen und durch Energiepreise stark verteuertem Vertrieb bis zur sinkenden Reallöhnen des Publikums.

"Treibstoff der Demokratie"

"Wer es schafft, innerhalb weniger Wochen Steuern auf klimaschädliche Treibstoffe zu reduzieren, und tatenlos dabei zuschaut, wie Ölkonzerne Teile der Steuerreduzierung als Gewinn abschöpfen, wird es wohl auch hinbekommen, journalistische Produkte als 'Treibstoff der Demokratie' geringer zu besteuern", sagte Becker. Printausgaben würden "noch immer die digitale Transformation finanzieren".

Ausdrückliche Unterstützung für Beckers Vorschlag kommt vom Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ). "Dabei handelt es sich um eine Forderung, die wir als Interessenvertretung der heimischen Zeitungen und Zeitschriften bereits seit vielen Jahren stellen", so VÖZ-Präsident Markus Mair. Hie lohne "ein Blick über den österreichischen Tellerrand." Denn in vielen europäischen Ländern liege der Mehrwertsteuersatz für Printprodukte bereits deutlich unter zehn Prozent. In Ländern wie Großbritannien oder in Skandinavien entfalle die Mehrwertsteuer für Zeitungen als indirekte Presseförderung sogar ganz, sagte VÖZ-Präsident.

Die Funke-Verlegerin räumte auch selbstkritisch ein, dass die Verlage "in der Vergangenheit vieles versäumt" und Sparprogramme die Redaktionen "unverhältnismäßig stark getroffen" hätten. Insbesondere die Lokalredaktionen seien stark ausgedünnt worden, auch in ihrem Konzern. Aber: "Die Leserinnen und Leser, die Userinnen und User merken genau, ob wir vor Ort sind." Die Redaktionen müssten zudem diverser werden, um "nahe bei den unterschiedlichen Zielgruppen" zu sein und vor allem jüngere Menschen zu erreichen.

Redaktionen bunter aufstellen

"Wir haben allzu häufig versäumt, uns in den Redaktionen so bunt aufzustellen, wie unsere Gesellschaft heute ist. Auch wenn die digitale Revolution weiblich ist, haben wir noch immer zu wenige Frauen in den Redaktionen unserer Tageszeitungen und Plattformen, vor allem in Führungspositionen. Bei uns arbeiten zu wenige Menschen mit Migrationshintergrund. Wir stellen nur wenige Menschen mit 'unbürgerlichen' Biografien ein – Abitur, Studium, Journalistenschule, Volontariat sind noch immer die Normalität, obwohl vielleicht der Weltenbummler oder die engagierte Studienabbrecherin oder der Kollege, der schon mal in einem 'richtigen' Beruf gearbeitet hat, die interessanteren, weil lebensnäheren Geschichten zu erzählen hat. Wir müssen diverser im umfassenden Sinne werden, um nahe bei den unterschiedlichen Zielgruppen zu sein – und, ganz wichtig, um junge Menschen als Leserinnen und Leser zu gewinnen", sagte Becker.

"Klicklogik"

Kritisch sieht die Funke-Verlegerin auch die "Klicklogik" vieler Redaktionen, bei der exakt gemessen wird, wie viele Menschen einen Text aufrufen, wie lange und bis zu welchem Absatz sie ihn lesen, ob er Abos generiert hat und wie er in den unterschiedlichen Kanälen "trendet". Leserverhalten wird damit transparent und auf den Dashboards sichtbar gemacht. "Dieses datenbasierte und datenorientierte Arbeiten verändert natürlich vieles. Die Interessen der Leserinnen und Leser finden ganz neue Berücksichtigung", sagte die Funke-Verlegerin. In dieser Entwicklung liegt jedoch auch eine Gefahr der Boulevardisierung, Skandalisierung und "Blaulichtisierung". "Datenorientiert arbeiten ist auf jeden Fall sinnvoll, datengetrieben ganz bestimmt nicht", sagte Becker. (fid, red, 20.6.2022)