Die einen, unter ihnen der Erstangeklagte, Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ), stehen im Schatten, die anderen, wie Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), im Licht.

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St. Pölten – Was hat ein nie in Betrieb gegangenes Kernkraftwerk mit einem Quartier zur Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Fremder zu tun? Viel, sagt der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) zum Schöffengericht unter Vorsitz von Silvia Pöchacker im Amtsmissbrauchsprozess gegen ihn und eine ehemalige Landesbedienstete.

Der Politiker sagt es nicht nur, er zeigt auch DIN A4 große Bilder des Kraftwerks Zwentendorf her: Auf denen ist Stacheldraht auf dem Zaun rund um das Gebäude zu sehen. "Ich möchte diese Scheinheiligkeit ein wenig erläutern", verkündet Waldhäusl. "153 Volksschulkinder sind ein Jahr in Zwentendorf als Ausweichquartier unterrichtet worden", behauptet er. "Da war der Stacheldraht kein Problem!", echauffiert sich der 56-jährige Unbescholtene, dass ihm zum Vorwurf gemacht werde, er habe als zuständiger Landesrat veranlasst, die Flüchtlingsunterkunft Drasenhofen im Bezirk Mistelbach mit Stacheldraht sichern zu lassen.

Mikl-Leitner bleibt bei ihrer Meinung

Waldhäusls Vorwurf der Scheinheiligkeit bezieht sich auf die Dame, die vor ihm als Zeugin ausgesagt hat: Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Die blieb bei ihrer Aussage vor dem Senat nämlich dabei: Die ihr bekannten Bilder Drasenhofens würden die Assoziation mit einem Gefängnis wecken, in einem Quartier für Jugendliche habe Stacheldraht "nichts verloren", wiederholte sie ihre im Jahr 2018 in einer Aussendung festgehaltene Meinung. Für den Erstangeklagten ist das die Scheinheiligkeit: Denn für die Unterbringung der Volksschulkinder in Zwentendorf sei damals sie zuständig gewesen, zürnt er nach Mikl-Leitners Abgang.

Staatsanwalt Michael Schön und Privatbeteiligtenvertreter Clemens Lahner sind ob des Stacheldrahtvergleichs einigermaßen baff. "Wissen Sie, warum das Kraftwerk umzäunt ist? Hat Frau Mikl-Leitner den Stacheldraht errichten lassen?", fragt der Staatsanwalt. "Ich war weder Planer noch Errichter noch Ausführender", antwortet der Erstangeklagte verstimmt. "Die Kinder haben dort aber nicht gewohnt, oder? Die konnten nach der Schule heim zu ihren Eltern gehen?", will Lahner wissen. Waldhäusl weigert sich, mit ihm zu kommunizieren.

In der angeklagten Sache konnte Zeugin Mikl-Leitner übrigens nur bedingt weiterhelfen. Sie habe im Vorfeld "keinerlei Informationen" zu Drasenhofen gehabt, beteuert sie in ihrer gut zehnminütigen Aussage. Erst als die niederösterreichische Kinder- und Jugendanwältin die Zustände kritisiert hatte, habe sie "sofort darum gebeten", dass die Teenager umquartiert werden.

Österreichische Realverfassung

Später verwendet die Landeshauptfrau den Begriff, sie habe die Umquartierung "veranlasst", was Staatsanwalt Schön nachfragen lässt und zu einer kurzen Lektion in österreichischer Realverfassung führt. "Wie haben Sie das 'veranlasst'? War es eine Weisung, eine Anordnung, eine Anregung?", interessiert Schön. "Ich brauchte sicher keine schriftlichen Anweisungen. Ich habe darum gebeten", gibt Mikl-Leitner sich bescheiden.

Ob Angeklagter und Regierungskollege Waldhäusl gegen ihre "Bitte" Widerstand geleistet habe, wisse sie nicht mehr. Sie will später nur erfahren haben, dass er sich nicht zuständig fühlte, daher habe man den Verfassungsdienst des Landes mit der Zuständigkeitsfrage beauftragt. Anwalt Lahner fragt dazu nach: "Wusste, Ihrer Wahrnehmung nach, der Angeklagte damals, was er als Landesrat darf und was nicht?" – "Ich denke schon, dass er wusste, wofür er zuständig ist", antwortet Mikl-Leitner.

Der Prozess zur Klärung der Frage, ob die Angeklagten mindestens 14 minderjährige Fremde in ihrem Recht auf Grundversorgung und Unterbringung in einer geeigneten Unterkunft geschädigt haben, indem sie sie in das Quartier Drasenhofen verlegen ließen, wird am 30. Juni fortgesetzt und dauert mindestens bis 23. September. (Michael Möseneder, 20.6.2022)