Das umstrittene Gemälde des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz in Kassel – bevor es verhangen wurde. Nun soll es abgebaut werden.
Foto: IMAGO/Hartenfelser

Kassel – Das Werk ist nicht mehr zu sehen, die Debatte ist deshalb aber nicht beendet: Eine heftig kritisierte Installation auf der documenta fifteen in Kassel wurde erst verhüllt und soll noch am Dienstag abgebaut werden. Nun werden die Rufe nach einer Aufarbeitung des Eklats immer lauter.

Die großflächige Banner-Installation "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi zeigt unter anderem einen Soldaten mit Schweinsgesicht. Er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift "Mossad" – die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Nach heftiger öffentlicher Kritik wurde es am Montag zunächst mit einem schwarzen Tuch verhängt. Am Dienstag verkündete Kassels Bürgermeister Christian Geselle (SPD), dass das Banner entfernt wird.

"Ich bin wütend, ich bin enttäuscht. Denn die Stadt Kassel und ich als Oberbürgermeister, wir fühlen uns beschämt", sagte Geselle. "Es ist etwas passiert, was nicht hätte passieren dürfen." Die Installation weise einen eindeutigen antisemitischen Zusammenhang auf. Dem kuratierenden Kollektiv Ruangrupa war schon seit Monaten Antisemitismus vorgeworfen worden. Die Gruppe habe seit Beginn der Debatte aber immer versichert, dass Antisemitismus, Rassismus oder Gewalt keinen Platz auf der documenta haben würden, betonte Geselle. "In diesem einen Fall sind sie ihrer Verantwortung ganz offensichtlich nicht gerecht geworden."

Aufgrund einer Figurendarstellung des Kollektivs, die antisemitische Lesarten ermöglicht, habe sich das Kollektiv gemeinsam mit der Geschäftsführung und der künstlerischen Leitung "entschieden, die betreffende Arbeit zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren", teilte die Documenta mit.
Foto: IMAGO/Peter Hartenfelser

Notwendige Konsequenzen

Am Dienstag war die Debatte um den Umgang der Schau mit den Antisemitismus-Vorwürfen weitergegangen. Das Internationale Auschwitz Komitee rief zum Dialog mit den Künstlern auf. Das Künstlerkollektiv Taring Padi entschuldigte sich indes "für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen". Die kritisierte Bildsprache verwende eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik.

Den Abbau hatte unter anderem der Förderkreis "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" gefordert. "Die Verantwortlichen müssen dafür Sorge tragen, dass aufgearbeitet wird, wie ein solches Bild überhaupt aufgehangen werden konnte", sagte die Vorsitzende des Förderkreises Lea Rosh am Dienstag. Sie sprach in Bezug auf die documenta von "Antisemitismus mit langer Ansage". Seit Monaten seien die Verantwortlichen aufgefordert, "den sich ankündigenden Antisemitismus auf der "documenta fifteen" zu verhindern. Genauso lange wird beschwichtigt, ignoriert und wegmoderiert."

Auch die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hatte sich für die Entfernung der umstrittenen Banner-Installation ausgesprochen. Das Werk weise eindeutig antisemitische Bildelemente auf, sagte sie am Dienstag in Berlin. Die bloße Verhüllung und die Erklärung des Künstlerkollektivs Taring Padi dazu seien inakzeptabel. Zudem müsse geklärt werden, wie es zu der Installation dieses Bildes überhaupt haben kommen können. Die Verantwortlichen müssten weiterhin sicherstellen, dass auf der Ausstellung in Kassel nicht weitere "eindeutig antisemitische Bildelemente" gezeigt würden.

Höchste Zeit für Dialog

Das Internationale Auschwitz Komitee rief zum Dialog mit den Künstlern auf. "Es wird höchste Zeit, im Rahmen dieser documenta ein Gespräch zu beginnen, die Künstler zu hören, aus welcher Weltsicht diese Bilder so entstanden sind und seitens der documenta öffentlich zu erklären, warum diese Bilder hier auf Widerstand und Ablehnung stoßen", erklärte Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, am Dienstag.

Am Vortag hatte der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, die Verantwortlichen der Weltkunstausstellung in Kassel aufgefordert, einen Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wegen antisemitischer Motive zu entfernen, nachdem Fotos der Darstellungen auf Twitter kursierten. Es folgte eine Welle der Empörung bis hin zu Rücktrittsforderungen an die documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann. Die israelische Botschaft in Berlin warf der Schau vor, "Propaganda im Goebbels-Stil" zu befördern. Am Montagabend war das Banner schließlich abgedeckt worden.

Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) sieht durch den Eklat schwerwiegende Auswirkungen. "Das Kunstwerk enthält antisemitische Chiffren, von denen Jüdinnen und Juden sich zurecht verletzt fühlen", erklärte Dorn. "Der bereits entstandene Schaden ist nicht zu relativieren", sagte Dorn am Dienstag. "Im Gegenteil, wir müssen aufarbeiten, wie es bei der documenta geschehen konnte, dass eine solche Bildsprache öffentlich gezeigt wurde."

Kritischer Ausschnitt des Banners: Soldaten mit Schweinsgesicht, Davidstern und "Mossad"-Helm.
Foto: IMAGO/Peter Hartenfelser

Keine Prüfung auf kritische Inhalte

Taring Padi habe sich gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung zu diesem Schritt entschieden, da die Figurendarstellung des Kollektivs "antisemitische Lesarten ermöglicht", teilte die documenta mit, als zeitgleich schon schwarze Stoffbahnen über dem Banner entrollt wurden. Zudem kündigten die Verantwortlichen an, eine Erklärung zu dem umstrittenen Werk installieren zu wollen und ergänzend weitere externe Expertise einzuholen.

Das Banner war erst installiert worden, nachdem viele Journalisten und Fachbesucher die documenta schon vorbesichtigt hatten – den Veranstaltern zufolge am vergangenen Freitagnachmittag. Der angegebene Grund für die Verspätung: notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden an der 20 Jahre alten Arbeit. Das Werk wurde nicht für die documenta fifteen angefertigt, sondern war bereits 2002 erstmals auf dem South Australia Art Festival in Adelaide zu sehen.

Vorab war es seitens der documenta-Geschäftsführung offensichtlich nicht auf kritische Inhalte überprüft worden. Die Geschäftsführung sei "keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann und darf das auch nicht sein", sagte Generaldirektorin Schormann laut Mitteilung. Das Banner sei "im Kontext der politischen Protestbewegung Indonesiens entstanden" und dort wie an anderen außereuropäischen Orten gezeigt worden, erklärte sie. "Dies ist das erste Mal, dass die Arbeit in Deutschland und in Europa gezeigt wird. Alle Beteiligten bedauern, dass auf diese Weise Gefühle verletzt wurden."

Antisemitische Darstellungen von Juden als tierische Wesen mit Dracula-Zähnen und Schläfenlocken samt SS-Rune auf dem Hut.
Foto: IMAGO/Peter Hartenfelser

Ausgangspunkt für neuen Dialog?

Die Installation sei "Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt", teilte das Künstlerkollektiv Taring Padi mit. Die Darstellungen auf dem Banner seien Ausdruck dieser Erfahrungen. "Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, zum Beispiel für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren."

"Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen. Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuellen Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen", erklärten die Künstler.

Nach der heftigen öffentlichen Kritik entschied sich das Kollektiv im ersten Schritt: "Als Zeichen des Respekts und mit großem Bedauern decken wir die entsprechende Arbeit ab, die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird." Das Werk werde nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment. "Wir hoffen, dass dieses Denkmal nun der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog sein kann." Noch am Dienstag soll es abgebait werden. (APA, 21.6.2022)