Blick auf das Kohlekraftwerk Mellach, das vor seiner Reaktivierung steht.

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Das stillgelegte Kohlekraftwerk Mellach in der Steiermark soll für den Notfall reaktiviert werden, um bei ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland die Energieversorgung zu sichern. Dies gab das Bundeskanzleramt am Sonntagabend nach einem "kleinen Krisenkabinett" bekannt. Die meisten Detailfragen sind aber noch ungeklärt – etwa jene nach den Kosten des Umbaus oder der gesetzlichen Grundlage für den politischen Auftrag an den börsennotierten Verbund-Konzern. Bei Opposition und Umweltorganisationen sorgten die Regierungspläne für Unbehagen.

Kosten, Mitarbeiter und Kohle

Obwohl die Umrüstung des Kraftwerks Mellach auf den Kohlebetrieb offenbar schon seit längerem im Gespräch war, wollen sich weder das Energieministerium noch der teilstaatliche Betreiber Verbund mit einer Schätzung der erwarteten Kosten aus dem Fenster lehnen. Man sei gerade dabei, die Details zu prüfen, sagte eine Verbund-Sprecherin am Montag.

Neben dem technischen Aufwand werde man auch Mitarbeiter brauchen, die mit dem Betrieb eines Kohlekraftwerks vertraut sind – über diese Mitarbeiter verfüge man nach der Stilllegung im Frühjahr 2020 nicht mehr. Außerdem sei noch die Frage der Kohlebeschaffung zu klären und man brauche für die Umsetzung des politischen Auftrags auch eine gesetzliche Grundlage.

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Notfallbetrieb

Zwar ist die Höhe der Kosten noch nicht spruchreif, klar ist aber, wer sie tragen wird: "Für die Kosten der Ertüchtigung wird zur Gänze der Bundeshaushalt aufkommen", heißt es dazu auf Anfrage aus dem Umweltministerium. "Die gesetzliche Grundlage dafür wird bis Mitte Juli geschaffen. Um die Kosten für die Bereithaltung zu tragen, gibt es mehrere Optionen. Sie sind derzeit Gegenstand von Gesprächen mit dem Verbund."

Klar ist auch, das je nach Wirkungsgrad eines Kraftwerks beim Verbrennen von Kohle im Vergleich zu Gas bis zur doppelten Menge CO2 frei wird – darum soll das frühere und künftige Kohlekraftwerk Mellach auch nur im Notfall in Betrieb gehen. Was genau ein Notfall ist, ist laut Verbund-Sprecherin noch nicht definiert.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte Verständnis für den vorübergehenden Kraftwerksbetrieb mit klimaschädlicher Kohle. "Aber es muss uns klar sein, das kann nur eine Krisenintervention sein aufgrund der jetzigen Lage", sagte er am Rande eines Präsidentengipfels im lettischen Riga. Dort warb er dafür, angesichts des Ukraine-Kriegs den Kampf gegen den Klimawandel und die Energiewende nicht zu vergessen.

Kritik der Opposition

Die Opposition kritisierte indes das zögerliche Vorgehen der Bundesregierung in den letzten Wochen. Die SPÖ sieht in der Reaktivierung des Kraftwerks einen Verzweiflungsakt von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). "Sie hat letztlich nichts auf den Boden gebracht und setzt jetzt offenkundig einen Akt der Verzweiflung", erklärte SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll.

Kritik übten auch die Neos. Die Regierung hätte schon vor Monaten handeln müssen, Gewessler sei völlig "plan- und orientierungslos", konstatierte Generalsekretär Douglas Hoyos. Die türkis-grüne Regierung betreibe reine Show- und Reisepolitik. Man sei in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Katar und zu Putin gereist, die Abhängigkeit vom russischen Gas sei aber gleichgeblieben. Deutschland dagegen habe es inzwischen geschafft, seine Abhängigkeit zu reduzieren. Gewessler müsse endlich ein Konzept vorlegen, verlangte Hoyos.

FPÖ-Chef Herbert Kickl sieht ein Energiedebakel. Die Regierung solle am Donnerstag im Zuge der Sondersitzung erklären: "Wo stehen wir wirklich, was sind die jeweiligen Szenarien für die kommenden Monate und welche Pläne liegen für die einzelnen Fälle bereit?", so der Oppositionspolitiker, der sich zugleich für Neuwahlen als "die beste Lösung" aussprach. Die Sanktionen seien "ein Bumerang". Russland selbst habe bereits andere Abnehmer für Gas und Öl gefunden. "Und wenn die grüne Ministerin mit der Reaktivierung eines Kohlekraftwerks die Energieversorgung in Österreich 'retten' will, dann wissen wir, dass unser Land am Abgrund steht", meinte Kickl.

Kritik der Umweltschutzorganisationen

Auch bei der Umweltschutzorganisation Global 2000 stoßen die Regierungspläne auf Unbehagen: "Kohle ist die klimaschädlichste Energie und führt zu gesundheitsschädlichen Quecksilberemissionen und Feinstaub", sagte der Klima- und Energiesprecher von Global 2000, Johannes Wahlmüller. "Wenn jetzt über einen möglichen Einsatz des Kohlekraftwerks in Mellach diskutiert wird, dann sollte klar sein, dass es sich nur um zeitlich eng begrenzte, akute Notfälle handeln darf", so Wahlmüller. Die Umweltschutzorganisation drängt auf viel mehr Tempo bei der Energiewende in Österreich. Energiepolitik müsse mehr sein, als Notfallmaßnahmen zu erlassen.

Greenpeace verlangte einen nationalem Schulterschluss. "Gerade die Bundesländer müssen ihre Verweigerungshaltung ablegen und so schnell wie möglich konkrete Pläne vorlegen, wie sie massiv erneuerbare Energien ausbauen", sagte Greenpeace-Expertin Jasmin Duregger. Kohle zu reaktivieren sei "inakzeptabel".

Der Umweltökonom Stefan Schleicher wiederum wies im Ö1-"Mittagsjournal" darauf hin, dass mit Mellach Gaskraftwerke ersetzt werden sollen, die Spitzenlast bereitstellen. Genau das könne aber ein Kohlekraftwerk nicht, "weil man ein Kohlekraftwerk mit konstanter Last betreiben muss. Also die kann man nicht so schnell auf- und abregeln, wie es für Spitzenlast notwendig ist. Und zum zweiten geht es im Winter dann in Wien auch um die Wärmauskoppelung und Mellach ist weit weg von Wien." In Summe ist aus Schleichers Sicht die Aktivierung von Mellach "eher eine Symbolhandlung".

1986 in Betrieb genommen

Mellach war das letzte Kohlekraftwerk Österreichs, im Frühjahr 2020 wurde dort zum letzten Mal Strom aus Kohle erzeugt. Die Umrüstung wird laut Gewessler Monate dauern. Das Kraftwerk wurde von 1983 bis 1986 errichtet und konnte neben einer elektrischen Leistung von 240 Megawatt auch bis zu 230 Megawatt thermisch als Fernwärme vor allem für den Großraum Graz erzeugen.

Von der Inbetriebnahme im Dezember 1986 bis zur Stilllegung 2020 standen Kessel und Dampfturbine insgesamt etwa 180.000 Betriebsstunden lang im Einsatz. Über diesen Zeitraum von 34 Jahren lieferte das Fernheizkraftwerk etwa 80 Prozent der gesamten in Graz benötigten Fernwärme – insgesamt mehr als 30 Milliarden Kilowattstunden Strom sowie 20 Milliarden Kilowattstunden Fernwärme. Die Lieferung aus Mellach bildete die Basis für den Ausbau der Fernwärmeversorgung in und südlich von Graz. (APA, red, 20.6.2022)