Nukleare Abrüstung sei das wirksamste Mittel, um der Weiterverbreitung von Atomwaffen entgegenzuwirken, schreiben Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) und der neuseeländische Minister für Abrüstung und Rüstungskontrolle Phil Twyford (Labour Party) in ihrem Gastkommentar. Von 21. bis 23. Juni findet in Wien das erste Treffen der Vertragsstaaten des neuen Atomwaffenverbotsvertrags (TPNW) statt.

Österreich und Neuseeland mögen geografisch weit voneinander entfernt sein, doch verbinden uns gemeinsame Werte und Prinzipien. Insbesondere unsere langjährige Ablehnung von Atomwaffen und unsere gemeinsame Sorge über den mangelnden Fortschritt bei der nuklearen Abrüstung.

Auch wenn die Bedrohung durch Atomwaffen nach dem Ende des Kalten Krieges nie ganz verschwunden war, bedeutete die drastische Reduzierung der Atomwaffenbestände in den frühen 1990er-Jahren einen Fortschritt. Doch der Trend zur Abrüstung kam zum Stillstand. Drei Jahrzehnte später gibt es nun neun Atomwaffenstaaten, die über etwa 13.000 Atomsprengköpfe verfügen. Diese sind weit davon entfernt, ihre Arsenale abzubauen, stattdessen modernisieren und erweitern sie diese. Die Risiken einer nuklearen Eskalation, einer Fehlkalkulation und eines Unfalls nehmen zu, auch wenn die katastrophalen Folgen des Einsatzes von Atomwaffen heute besser bekannt sind als je zuvor.

Neuer Weckruf

Inzwischen haben wir einen neuen Weckruf erhalten. Anfang Jänner dieses Jahres bekräftigten die fünf Atommächte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Erklärung von US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow aus dem Jahr 1985, dass "ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf". Doch im folgenden Monat drohte das Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Rahmen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mit dem Einsatz ebendieser zerstörerischen und wahllosen Waffen.

Auf Paraden zeigt China Teile des großen Waffenarsenals – auch Raketen, die mit nuklearen Sprengkörpern ausgerüstet werden können.
Foto: APA/AFP/GREG BAKER

Düstere Dissonanz

Diese Drohung – die wir unmissverständlich verurteilen – hat eine neue globale Debatte über den Wert nuklearer Abschreckung ausgelöst, die eine düstere Dissonanz zwischen dem erklärten kollektiven Ziel einer Welt ohne Atomwaffen und dem anhaltenden Vertrauen der Atomwaffenstatten in diese Waffen aufzeigt. Diese Dissonanz zeigt sich auch im Atomwaffensperrvertrag, der vor mehr als 50 Jahren auf der Grundlage einer "großen Übereinkunft" zwischen jenen, die über Atomwaffen verfügen, und jenen, die keine besitzen, geschlossen wurde.

Die Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags haben anerkannt, dass nukleare Abrüstung letztlich das wirksamste Mittel ist, um der Weiterverbreitung von Atomwaffen entgegenzuwirken. Doch während die Proliferationsrisiken in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben, sind konkrete Abrüstungsfortschritte ins Stocken geraten. Sechzig Jahre nach der Kubakrise, die die Welt an den Rand einer Katastrophe brachte, sehen wir uns erneut mit der Gefahr einer nuklearen Eskalation konfrontiert.

"Wir sind alles andere als machtlos, wenn es darum geht, einen konstruktiven Wandel herbeizuführen."

Länder von der Größe Neuseelands und Österreichs können anderen nicht ihre Wünsche aufzwingen. Aber wir sind alles andere als machtlos, wenn es darum geht, einen konstruktiven Wandel herbeizuführen, insbesondere wenn wir mit gleichgesinnten Partnern zusammenarbeiten. Im Juli 2017 gehörten wir zu den mehr als 120 Staaten, die den neuen Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) angenommen haben. Der TPNW ist Ausdruck unserer fundamentalen Ablehnung von Atomwaffen. Im Einklang mit dem Atomwaffensperrvertrag bringt er unser Engagement für die nukleare Abrüstung deutlich zum Ausdruck. Er basiert auf dem (wissenschaftlichen) Nachweis sowohl für die katastrophalen Folgen des Einsatzes von Atomwaffen als auch für die mit der nuklearen Abschreckung verbundenen Risiken.

Existenzielle Risiken

Der neue Vertrag stellt denjenigen, die die Zügel nuklearer Entscheidungsfindung in den Händen halten, schwierige Fragen. Sie sind es, die über die Nachhaltigkeit eines Ansatzes zur nationalen Sicherheit nachdenken müssen, der allen anderen Staaten und dem Rest der Menschheit existenzielle Risiken auferlegt. Der Vertrag gibt auch der Mehrheit der Staaten eine Stimme, die die Logik der nuklearen Abschreckung nicht als gültige Grundlage für Sicherheit akzeptieren.

Wir sind davon überzeugt, dass es ein grundlegender Irrtum ist, zu glauben, dass diese Waffen Sicherheit bieten. In Wirklichkeit stellen sie eine reale Bedrohung für uns alle und auch für künftige Generationen dar. Der TPNW ist auch ein Mittel, um die öffentliche Debatte zu fokussieren und denjenigen eine Bühne zu geben, die vom Einsatz von Atomwaffen betroffen sind, nicht zuletzt die pazifischen Gemeinschaften, die von Atomtests betroffen waren. Der evidenzbasierte Fokus des TPNW auf die humanitären Folgen und existenziellen Risiken von Atomwaffen verleiht ihm ein immenses Transformationspotenzial.

"Angesichts der existenziellen Bedrohung für die Menschheit können wir uns nicht mit dem Status quo der nuklearen Abrüstung zufriedengeben."

Von 21. bis 23. Juni findet in Wien das erste Vertragsstaatentreffen des TPNW statt. Auch wenn wir anerkennen, dass es noch viel zu tun gibt, sollten wir verstehen, dass dieses Treffen an sich schon ein großer Erfolg ist. Es zeigt, was eine starke Allianz zwischen gleichgesinnten Staaten und der Zivilgesellschaft erreichen kann. Eine solche Allianz hat in der Vergangenheit maßgeblich zum Verbot von Antipersonenminen und Streumunition beigetragen.

Darüber hinaus haben mehrere mit Atommächten verbündete Staaten und andere nichtstaatliche Parteien angekündigt, dass sie als Beobachter an dem Treffen teilnehmen werden. Wir heißen sie willkommen. Auch wenn wir unterschiedliche Ansichten über den Nutzen von Atomwaffen für die Sicherheit haben, schätzen wir die Perspektiven, die sie in ein internationales Gespräch über die Folgen, Risiken und Herausforderungen von Atomwaffen einbringen werden. Dieses Gespräch ist unerlässlich, insbesondere jetzt, da die nuklearen Risiken so hoch sind wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Internationaler Druck

Der TPNW schafft keine schnelle Abhilfe. Aber er kann internationalen Druck aufbauen und dazu beitragen, die Welt wieder auf den Weg der dringend benötigten nuklearen Abrüstung zu bringen. Angesichts der existenziellen Bedrohung für die Menschheit können wir uns nicht mit dem Status quo der nuklearen Abrüstung zufriedengeben. Österreich und Neuseeland werden sich weiterhin an die Spitze dieser Bemühungen stellen. Im Interesse der Menschheit werden wir weiterhin mit allen bereitwilligen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Partnern zusammenarbeiten, um das nukleare Damoklesschwert, das über unseren Köpfen hängt, zu entfernen. (Alexander Schallenberg, Phil Twyford, Copyright: Project Syndicate, 20.6.2022)