Bootshaus Traunkirchen: unten der See, oben die Sonnensegel, vor einem das beste Essen, das man sich nur vorstellen kann.

Foto: Majken Corti

Als Lukas Nagl vor exakt zehn Jahren in der Küche des Hotels Traunsee in Traunkirchen begann, war das Bootshaus nagelneu, ein transparenter Bau über dem See, ganz aus unbehandelter Lärche, mit wunderbar zurückgenommener Terrasse. Ein Panoramarestaurant mit menschlichem Antlitz, eigentlich eine Unmöglichkeit in diesem Land.

Nagls Küche reflektierte den außergewöhnlichen Ort mit mindestens so bemerkenswertem Essen. Heute ist seine Kunst zu großer Klasse gereift – so gut und präzise wie hier lässt sich nur an wenigen Orten in Europa essen. Die bescheidene Souveränität und ruhige Kompromisslosigkeit, mit der Nagl heute kocht, sucht auch international ihresgleichen: Wo sonst wird absolute Hochküche im strengen Korsett echt regionaler Zutaten mit solcher Unbeschwertheit und Treffsicherheit auf die Endorphinrezeptoren der Gäste losgelassen?

Ganz auf den See fokussiert

Natürlich ist das auch der Verdienst von Hotelier Wolfgang Gröller, der die Vision eines ganz auf den See fokussierten, gleichwohl zur Welt offenen Restaurants gemeinsam mit Nagl skizziert hat. Zwei Fischer sind ausschließlich für Nagl unterwegs. Nachhaltiger Umgang mit dem, was der See ihm schenkt, bedingt natürlich auch, solche Fische und Seefrüchte ins Menü zu flechten, die dem gemeinen Luxuskonsumenten schnell einmal als minder nobel vorkommen könnten.

Im Zweifel ist das auch der Weg, dem Gast geradezu disruptiv köstliche Erlebnisse zu bescheren. Zum Beispiel, wenn die Quaggamuschel, ein Neophyt, der sich im Traunsee seit Jahren explosiv vermehrt, in Kombination mit Nussbutter und Verbene zu einem konzentriert zarten Tee nach Dobin-Mushi-Art werden darf.

Zauberhafter Reigen

Das ist freilich nur ein winziger Teil vom zauberhaften Anfang des Reigens der Appetitmacher, die hier noch vor dem ersten Gang zu Tisch kommen. Traunkrebse Thermidor, mit Wacholderbutter saftig gegrillt, sind so ein winziger, unbeschreiblich köstlicher Leckerbissen, dem die Küche höchste Aufmerksamkeit schenkt. Lángos haben als hauchzart gepuffte Kissen ihren Auftritt, gefüllt mit einer Creme aus brauner Butter, gedörrtem Sauerkraut und Saiblingskaviar.

Karpfen, zart rauchig, wird als Tartare mit einem Confit aus gegrillter Paprika und Habanero-Chili wie ein Taco in Kapuzinerkresse gepackt – unpackbar gut. Räucheraal aus dem See setzt Nagl mit Erdäpfelkas auf knuspriges Roggenvollkornbrot und garniert mit eingelegter Orange aus Schönbrunn und Thai-Basilikum – ein Sandwich als fein ziselierte Preziose.

Falsche Auster, präsentiert in echter Austernschale, entpuppt sich als zart gestockte, schlüpfrige Heumilch-Creme mit Gurkenvinaigrette, dank Borretsch mit hauchzarter, an Austern gemahnender Jodigkeit im Abgang.

Crescendo der Köstlichkeit

Traunbarsch mit Fingerspargel
Foto: Majken Corti

Die Dinkel-Roggenzelten mit Schabzigerkleesamen, wahrscheinlich das beste Brot, das ein zentraleuropäisches Restaurant heuer zu Tisch bringen wird, ist da noch ebenso wenig erwähnt wie die Heurigen mit Koji-Mole und Hechtrogen oder das Gurken-Kren-Eis mit Forellenkaviar: Andere schreiben sich drei Speisekarten aus dem, was Nagl wie beiläufig zum ersten Glas serviert.

Der Platz reicht nicht einmal ansatzweise aus, um das Crescendo der Köstlichkeit, das einen auf der Terrasse erwartet, zu beschreiben. Deshalb in aller Kürze ein Best of Best im Steno-Stakkato: Tartare vom Wildsaibling mit Koji-Mayo und Hollerblüten unter einem Schleier aus knackiger, in Salz fermentierter Sellerie – grandioser Kontrast aus zart und hart.

Traum-See-Essen

Traunbarsch mit Fingerspargel, Brotmiso, gerösteten Haselnüssen, gedörrten Paprikas und Paradeisern und langen, knackigen Ingwerstreifen: So schmecken also der Sommer, der See, die Welt – bis zum Wahnsinn gut.

Mondsee-Zander mit fermentiertem Frühkraut, Schweinsgoder-Senfsaftl, Schmalzöl und rohen Champignons: Vollendete Anmut, hier findet zusammen, von dem nur Lukas Nagl wusste, dass es zusammengehört. Die Desserts mit Walderdbeere oder Apfel setzen all dem noch eines drauf. Dass der Traunsee so heiß sein kann! (Severin Corti, RONDO, 24.6.2022)

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