Die Nation hat Wichtigeres zu bedenken. Den Briten steht diese Woche der größte Eisenbahnerstreik seit 30 Jahren ins Haus, schon denken auch Lehrer und Krankenhauspersonal über Arbeitskämpfe nach. Massiv steigende Preise für Benzin, Gas und Lebensmittel, dazu Steuererhöhungen der konservativen Regierung des gesundheitlich und politisch angeschlagenen Premiers Boris Johnson – die Stimmung auf der Insel ist deutlich trüber als das Sommerwetter.

Gut zwei Wochen nach den umfassenden, fröhlichen Platin-Feiern zum 70. Thronjubiläum der Queen, 96, spielt deshalb Prinz Williams 40. Geburtstag an diesem Dienstag in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Die Königsfamilie selbst gibt sich ebenfalls eher bedeckt. Immerhin ist dem Zweiten der Thronfolge zu seinem Ehrentag eine Fünf-Pfund-Münze gewidmet. Dort ist der Prinz im Dreiviertelporträt zu sehen, was "dynamischer" wirke als die traditionelle Darstellung im Profil, wie Designer Thomas Docherty der "Times" anvertraut hat. Dynamisch, na ja. Wirkt eine Gedenkmünze nicht eher ein wenig aus der Mode gekommen, ähnlich wie, jedenfalls auf der Insel, der Gebrauch von Münzen im Alltag?

Fröhliches Familienleben

Die Zeitungen veröffentlichten am Sonntag, dem britischen Vatertag, ein fröhliches Bild des Familienvaters mit seinen drei Kindern, dem knapp neunjährigen Erbprinzen George, Charlotte (7) und dem vierjährigen Louis, dessen Grimassen beim Stelldichein auf dem Balkon des Buckingham-Palasts die TV-Zuschauer weltweit entzückten.

Familienidylle in Jordanien.
Foto: Kensington Palace via AP

In der Mitte seines Lebens geht es dem für künftige Königswürden vorgesehenen William so ähnlich wie in den vergangenen Jahrzehnten: Er steht immer ein wenig im Schatten anderer. Zunächst seine glamouröse Mutter Diana, später der stets zu Scherzen aufgelegte Bruder Harry, dann seine ebenso kluge wie schöne Frau Kate – der großgewachsene, durch den Haarverlust schon früh älter wirkende Prinz fungierte immer als das ernste, unauffällige, ein wenig langweilige Gegenüber.

Andererseits: Wünschen sich die Briten nicht geradezu einen verlässlichen Langweiler auf dem Thron? Jedenfalls sind die Medien, je älter die Königin wird, voll von mehr oder weniger freundlichen Spekulationen über den "Aktivisten-Prinzen" Charles und dessen (Un-)Fähigkeit, aus der Prinzenrolle in die Königskleider zu schlüpfen. Je nach Standpunkt ängstlich oder erwartungsvoll wird dem Thronfolger dabei stets wieder mitgeteilt, worin die Aufgabe des Staatsoberhauptes in einer konstitutionellen Monarchie bestehe: Am besten so sein wie die Queen, also höflich lächeln und schweigen, anstatt alle möglichen politischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Probleme mit royalem Senf zu verzieren.

Geburtstagskind mit Hut.
Foto: IMAGO/Sebastian Frej

Was seinem Vater über die Jahrzehnte immer wieder schwergefallen ist, scheint der Herzog von Cambridge leichter zu finden. Jedenfalls bisher. Zuletzt häuften sich die Berichte angeblicher Insider über ein neues Konzept, mit dem der Millennial die "Firma" relevanter und für den Rest des 21. Jahrhunderts fit machen will. "Seiner Überzeugung nach muss die Monarchie besser erklären, wo sie ihren Platz in der modernen Welt sieht", hat ein früherer Berater der "Daily Mail" berichtet.

Modernes Bild

Ein schönes Beispiel gab im März der Besuch des Herzogpaares in der Karibik ab. Nicht nur bekannte sich William zu "tiefer Reue" für die "entsetzlichen Gräuel", die der Sklavenhandel im Namen der Krone Millionen von Menschen zugefügt hatte. Er machte nach einer peinlichen Begegnung mit dem republikanisch gesinnten Premierminister von Jamaika, Andrew Holness, auch deutlich, wie er die Loslösung früherer Kolonien, deren Staatsoberhaupt die Queen bis heute ist, vom Mutterland beurteilt: "Unsere Beziehungen entwickeln sich weiter, unsere Freundschaft bleibt bestehen." Ausdrücklich erhebt William nicht einmal den Anspruch darauf, seiner Großmutter und seinem Vater als nominelles Oberhaupt des Commonwealth nachzufolgen, jenem Club von 54 britischen Ex-Kolonien.

Warten auf die Krone.
Foto: Ben Stansall/Pool Photo via AP

Was die Emotionalität angeht, agierte William jahrelang deutlich zugeknöpfter als sein unbekümmerter Bruder Harry. Immer wieder aber hat mittlerweile auch der Erstgeborene von Prinzessin Diana das mütterliche Erbe betont, ist auf Menschen zugegangen, hat über Gefühle gesprochen – eine bis dahin im Königshaus eher negativ bewertete Angewohnheit.

Nähe zur "Grannie"

Als frischgebackener Familienvater etwa rührte er die Nation mit der Mitteilung, neuerdings würden ihm schon bei Kleinigkeiten die Tränen in die Augen steigen: "Man nimmt sich als Vater die Sachen viel mehr zu Herzen, die auf der Welt passieren." Das habe wohl mit der Erkenntnis zu tun, "wie kostbar" neues Leben ist. Auch der älteren Generation gehört die Fürsorge des Prinzen: Stets hat sich William darum bemüht, dem grüblerischen, gelegentlich auch larmoyanten Papa Charles den Rücken zu stärken.

Für diesen Sommer ist der Umzug der Herzogsfamilie nach Windsor geplant. Erst vor fünf Jahren waren William und Kate mit ihren damals zwei Kindern aus ländlicher Idylle in der ostenglischen Grafschaft Norfolk in den Londoner Kensington-Palast umgezogen. Die neue Ortsveränderung wird mit der größeren Nähe zu "Grannie" begründet; aus Williams Sicht ist dies natürlich Elizabeth II, mit der den Prinzen von klein auf ein inniges Verhältnis verbindet. Seine Kinder dürften mehr an Grannie Middleton interessiert sein, Kates erst 67-jähriger Mutter, die mit ihrem Mann Michael ein Herrenhaus im lieblichen Westen der Grafschaft Berkshire bewohnt, zu der auch Windsor gehört. Auch Grannie Camilla, die Herzogin von Cornwall, rückt in größere Nähe. (Sebastian Borger aus London, 21.6.2022)