Im Gastkommentar fordert Logopäde und Lehrer Ali Dönmez die Abschaffung der Deutschförderklassen.
"Rutubetin çürüttüğü duvarlara badana", rappt Sagopa Kajmer in einem seiner Lieder. "Eine verschimmelte Wand anstreichen." So fühlt sich der Diskurs rund um Migration und Mehrsprachigkeit an. Laut Statistik Austria sind 14 Prozent der Wiener Kinder in sogenannten Deutschförderklassen. 60 Prozent von ihnen wurden in Österreich geboren. Über 80 Prozent der Kinder besuchten mehr als zwei Jahre einen Kindergarten. Grund genug, strukturelle Probleme in die Verantwortung marginalisierter Menschen zu schieben und mit Begriffen wie "ethnische Enklaven" rassistischen Narrativen vergeblich einen frischen, nicht rassistisch anmutenden Anstrich zu verpassen.
Die Zuteilung der Schülerinnen und Schüler in eine Deutschförderklasse erfolgt durch den höchst problematischen Test Mika-D, kurz für "Messinstrument zur Kompetenzanalyse Deutsch". Laut Expertinnen und Experten des Netzwerks Sprachenrechte basiert er auf einer veralteten Konzeption von Sprache und Kommunikation, entspricht in keiner Weise international ausgearbeiteten Qualitätsstandards und auch nicht den Empfehlungen international anerkannter Sprach- und Bildungswissenschafterinnen und -wissenschafter. Und dennoch werden diese Zahlen unkritisch als Ausgangsbasis für die Reproduktion rassistischer Narrative herangezogen.
Fehlende Durchmischung?
Migrantisch beziehungsweise migrantisiert in Österreich sein bedeutet, dass dein Leben einer ständigen Beobachtung, Bewertung und Kritik ausgesetzt ist. Sogar wo du wohnst und mit wem du dich in der Freizeit triffst. Das gilt natürlich nur für jene mit der vermeintlich "falschen" Herkunft, Sprache und/oder Religion. "Ethnische Enklaven" ist das neue "Die Ausländer bleiben unter sich". In der Reproduktion rassistischer Sprache darf "Ghetto" als Schlagwort natürlich nicht fehlen.
Migrantinnen und Migranten vorwurfsvoll "fehlende Durchmischung" zu attestieren, ohne strukturellen Rassismus am Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie im Bildungssystem auch nur mit einem Wort zu erwähnen, finde ich im besten Fall zynisch. Wir haben in Österreich Schul- beziehungsweise Kindergartenleitungen, die keine "Ausländer" aufnehmen. Für diese Realitäten gibt es im Diskurs keinen Platz, weil sie das "weltoffene" Selbstbild Österreichs (zer)stören. Wenn es Schulen mit hohem "Migrations"anteil gibt, die öffentlich als "Brennpunktschulen" diffamiert werden, dann gibt es auch Schulen, Viertel und Gegenden, die nur aus weißen Österreicherinnen und Österreichern bestehen. Gibt es für sie auch einen abwertenden Begriff?
In einem rassistisch aufgeladenen Diskurs sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht. Es geht um Bildung(sgerechtigkeit). Bildung in Österreich wird vererbt. Wenn wir uns ansehen, wer die erfolgreichsten Schülerinnen und Schüler im österreichischen Bildungssystem sind, erkennen wir, auf wen unser Schulsystem zugeschnitten ist: Kinder mit Deutsch als Erstsprache von gut situierten Akademikereltern. Nicht nur Rassismus – den man beim Verein Zara melden kann – spielt in unserer Gesellschaft und im Bildungssystem eine große Rolle, sondern auch Klassismus. Aber rassistische Diskurse haben die Funktion von Teilen und Herrschen.
Als Logopäde lerne ich wöchentlich neue Familien und Kinder kennen, nennen wir sie Burcu, Alex und Lena. In ihrer sozialen Lebensrealität haben Burcu und Alex, beide Kinder von Hacklerinnen und Hacklern, wesentlich mehr Gemeinsamkeiten als Alex und Lena, deren Eltern Ärztinnen und Ärzte sind. Während die ersten zwei Eltern haben, die sie sowohl finanziell als auch akademisch in der Schule nicht unterstützen können, schöpfen Lenas Eltern aus dem Vollen. Aber im Diskurs wird auf Burcu geschimpft. Und Alex? Ihr wird erklärt, dass Burcu so eigenartig mit ihrem Namen, ihrer Sprache und ihrer Religion ist, dass sie glaubt, Burcu wäre schuld an ihrer Lage.
Und die Lösung?
Die Haltung gegenüber bestimmten (!) mehrsprachigen Kindern muss sich grundlegend ändern. Sie haben ein Recht auf eine qualitativ hochwertige Sprachenförderung! Stattdessen lautet die Message: "Die sollen gefälligst Deutsch lernen!" Wir brauchen mehrsprachige Förderung statt einsprachiger Forderung.
Die Arbeiterkammer Wien hat bereits einen Sprachschlüssel erarbeitet, der Sprachförderung differenziert in größerem Rahmen denkt. Vereinfacht schlägt sie eine auf sechs Jahre ausgeweitete Deutschförderung vor, die zunächst zwei Jahre lang im Kindergarten stattfindet und danach vier Jahre in der Volksschule fortgesetzt wird.
Seit Jahrzehnten treten wir auf der gleichen Stelle und halten mit Stillstands- und Totschlagargumenten wie "Wir müssen Eltern in die Verantwortung nehmen" den Status quo aufrecht. Wäre dieser Slogan ernst gemeint, gäbe es unzählige Lehrgänge und bundesweite Maßnahmen, um Eltern zwecks Sprachförderung zu bilden und zu unterstützen.
Schulerfolg in Österreich hängt von der Geburtenlotterie ab. Wir müssen endlich aufhören, rassistische Diskurse zu reproduzieren, und darüber diskutieren, wie wir Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder erzielen können – über den Sommer vor dem nächsten Schuljahr wäre genug Zeit dafür. (Ali Dönmez, 21.6.2022)