Es wird befürchtet, dass die mehrtägigen Bahnstreiks in Großbritannien als die größten seit Jahrzehnten in die Geschichte eingehen.

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London – Zugpendler und andere Bahnreisende in Großbritannien müssen in den kommenden Tagen weitgehend auf andere Fortbewegungsmittel ausweichen. Die Gewerkschaft der Bahnbeschäftigten (RMT) hat für mehrere Tage großflächige Bahnstreiks angekündigt, die am Dienstag beginnen sollen. Auch am Donnerstag und Samstag wollen die rund 40.000 Mitglieder der Gewerkschaft ihre Arbeit niederlegen, um für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen und gegen den Stellenabbau zu kämpfen. Dabei handelt es sich um den größten Bahnstreik im Vereinigten Königreich seit 30 Jahren.

Ein Fünftel der Verbindungen aufrecht

An den Tagen dazwischen wird mit Verzögerungen oder Ausfällen gerechnet. Der Streik gilt als größter seit Jahrzehnten, nur rund ein Fünftel der Verbindungen soll wie üblich fahren. Die Londoner U-Bahn war am Dienstag wegen eines separaten Streiks ebenfalls überwiegend außer Betrieb.

Man sei absolut daran interessiert, eine Lösung in dem Konflikt zu finden, sagte Tim Shoveller vom Zugbetreiber Network Rail im Interview mit der BBC. John Leach von der Gewerkschaft RMT kündigte in der BBC an, so lange wie nötig an Streiks festhalten zu wollen. Beobachter fürchten, dass dies Monate dauern könnte.

Johnson erhebt Vorwürfe

Premierminister Boris Johnson warf den Gewerkschaften vor, gerade jenen zu schaden, denen sie helfen wollen. "Mit diesen Streiks vertreiben sie Pendler, die letztlich die Jobs der Eisenbahner sichern", soll Johnson laut einer Mitteilung seines Büros bei einer Kabinettssitzung am Dienstag gesagt haben. Die Folgen des Ausstands würden Unternehmen und Gemeinden im ganzen Land zu spüren bekommen.

Verkehrsminister Grant Shapps kündigte eine Gesetzesänderung an, die Bahnbetreiber zu einer Minimalversorgung an Streiktagen verpflichtet und die Vertretung von streikendem Personal durch Ersatzkräfte erlaubt. "Wir werden dafür sorgen, dass solche Dinge in Zukunft weniger Schaden anrichten", sagte Shapps dem Sender Sky News.

Seit Wochen politisches Streitthema

Leach kritisierte die konservative britische Regierung für finanzielle Kürzungen im Verkehrssektor und forderte eine stärkere Unterstützung durch die oppositionelle Labour-Partei. Die anstehenden Streiks haben sich in den vergangenen Wochen zum politischen Streitthema zwischen den Parteien entwickelt, bei dem sich beide Seiten gegenseitig die Schuld zuschieben.

Die britische Wirtschaft hatte sich zunächst gut von der Corona-Pandemie erholt. Eine Kombination aus Arbeitskräftemangel, gestörten Lieferketten, Inflation und Handelsstreitigkeiten nach dem Brexit kann Experten zufolge aber zu einer Rezession führen. Die britische Inflationsrate erreichte im April ein 40-Jahres-Hoch von neun Prozent. Erwartet wird, dass im weiteren Jahresverlauf die Marke von zehn Prozent übertroffen werden dürfte.

Der aktuelle Arbeitskampf hat Vergleiche mit den 1970er-Jahren aufgeworfen. Damals gab es in Großbritannien eine Serie von Streiks, die schließlich in den "Winter der Unzufriedenheit" 1978/79 mündeten. (APA, 21.6.2022)