"Immer wieder sehen wir, dass sich Parallelgesellschaften bilden", erzählte Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer über einen Ausflug nach Favoriten.
Foto: IMAGO/Martin Juen

In der seit Wochen köchelnden Debatte um den Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft hat die Wiener ÖVP am Dienstag nachgelegt und eine Sondersitzung des Landtags einberufen. In dieser solle über das geltende Staatsbürgerschaftsrecht – an dem die rot-pinke Stadtregierung rüttle, wie von der Volkspartei beklagt wird – diskutiert werden, hieß es im Vorfeld. Auch die Reform bzw. das "Behördenversagen" bei der Wiener Magistratsabteilung 35 (Einwanderung) wolle man thematisieren.

Wiens ÖVP-Chef und Stadtrat Karl Mahrer verteidigte in seiner Eingangsrede die bestehenden strengen Regeln zur Erlangung der Staatsbürgerschaft: "Die Verleihung ist etwas ganz Besonderes. Die bestehenden Richtlinien sind aus unserer Sicht wohl durchdacht, die Staatsbürgerschaft steht als Krönung am Ende eines Integrationsprozesses."

Hürden – etwa dass nur Unbescholtene die Staatsbürgerschaft erlangen können – seien notwendig, damit "unsere Familien in Sicherheit leben können". Wer Österreicherin oder Österreicher werden wolle, müsse sich an die Werte einer liberalen Demokratie halten, sagte Mahrer.

Dann berichtete er von einem Ausflug: "Ich war gestern in Favoriten spazieren", erzählte Mahrer. "Immer wieder sehen wir, dass sich Parallelgesellschaften bilden." Ein Aufweichen der Bestimmungen zur Erlangung der Staatsbürgerschaft würde diese Konflikte verschärfen, warnte der ÖVP-Chef. Er verstehe nicht, warum Parteien im linken Spektrum diese Bestimmungen "nach unten schrauben wollen". Die ÖVP stehe jedenfalls dafür, dass an den Regeln für die Einbürgerung nicht gerüttelt werden dürfe. Daraufhin entspann sich eine lebhafte und stellenweise lautstarke Debatte.

FPÖ ortet "Bluff"

FPÖ-Stadtrat Dominik Nepp zeigte sich verwundert über "die Show, die die ÖVP abziehe". Auslöser für die Debatte seien entsprechende Forderungen nach einem schnelleren Zugang zur Staatsbürgerschaft von Bundespräsident Alexander Van der Bellen im beginnenden Rennen um die Hofburg gewesen. Das sei jener Kandidat, den auch ÖVP-Politiker, etwa Ex-Ministerin Maria Rauch-Kallat, unterstützen.

"Van der Bellen will jedem direkt an der Grenze die Staatsbürgerschaft verleihen", erklärte Nepp. "Der Sonderlandtag ist ein Bluff, den jeder Wähler durchschaut." Erleichterungen seien nicht wünschenswert und auch nicht nötig, stellte Nepp fest. Denn: "Viele Menschen, die hier leben, wollen gar nicht Staatsbürger sein. Die bekommen eh alles – zum Beispiel Mindestsicherung und eine Gemeindewohnung."

Neos betonen Bedeutung für persönliches Vorankommen

Völlig andere Töne schlugen die Neos an. "Was gefordert wird, ist eine faire, nachvollziehbare Gesetzgebung für die Erlangung der Staatsbürgerschaft", entgegnete Abgeordnete Selma Arapović. Das wolle die ÖVP aber nicht. Stattdessen forciere sie seit Jahren Verschärfungen.

Arapović, die in Bosnien aufgewachsen ist, verwies auf ihre eigene Biografie: "Nichts von dem, was ich heute bin, könnte ich ohne Staatsbürgerschaft sein. Keine Politikerin, keine Ziviltechnikerin." Für all das sei die Staatsbürgerschaft Voraussetzung. Das gelte auch für viele andere Berufe. "Ich möchte unterstreichen, wie wichtig die Staatsbürgerschaft für das persönliche Vorankommen sein kann", sagte Arapović. Sie finde es "lächerlich", wenn die ÖVP glaube, die Staatsbürgerschaft mit hohen Summen oder Hürden schützen zu müssen.

Grüne wollen möglichst offene Staatsbürgerschaft

Niki Kunrath von den Grünen betonte in Anspielung auf Mahrers Spaziergang in Favoriten, dort ebenfalls regelmäßig zugegen zu sein. "Ich muss das nicht extra erwähnen, weil das Teil unserer täglichen Arbeit ist", ätzte er. Wie sich Menschen verhalten, sei keine Frage der Staatsbürgerschaft, betonte Kunrath.

Der Abgeordnete bedauerte, dass aufgrund der rigiden Einbürgerungsregeln ein immer kleinerer Teil der Bevölkerung wählen dürfe – denn das Wahlrecht ist bekanntlich an die Staatsbürgerschaft gekoppelt. "Wir müssen versuchen, Veränderungen zu schaffen", zeigte sich Kunrath überzeugt. "Ich halte es für ganz wichtig, die Staatsbürgerschaft möglichst offen zu halten und zu erweitern."

SPÖ für "sachlich gerechtfertigte" Änderungen

SPÖ-Mandatar Kurt Stürzenbecher zeigte sich enttäuscht, dass der Sonderlandtag keine sachliche Debatte bringe. Mahrer sei in seiner früheren Funktion als Landespolizeivizepräsident erfolgreich gewesen. "Es tut mir immer leid, wenn Menschen in die Politik wechseln und dann in der Argumentation zwei Stufen nach unten gehen", bedauerte er.

Stürzenbecher referierte die von der SPÖ geforderten Lockerungen zur Einbürgerung. "Sechs Jahre Aufenthalt sind genug", sagte er etwa. Die Kosten für die Einbürgerung sollten gesenkt werden, anstelle der Staatsbürgerschaftsprüfung brauche es einen Staatsbürgerschaftslehrgang. Und: Ein in Österreich geborenes Kind solle automatisch bei der Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten, sofern zumindest ein Elternteil fünf Jahre lang legal im Bundesgebiet aufhältig gewesen sei.

Warum das alles? "Die Menschen sind sowieso da", konstatierte Stürzenbecher. "Die Frage ist, ob sie da sind und keine Rechte haben oder da sind und Rechte haben. Wir sollten uns da, wo es sachlich gerechtfertigt ist, für ein neues Staatsbürgerschafsrecht einsetzen."

Einig ist sich die SPÖ mit den Grünen: Das Staatsbürgerschaftsrecht sei demokratiepolitisch problematisch, befand Stürzenbecher. (Stefanie Rachbauer, 21.6.2022)