Einer der Attentäter bei ihrer Gerichtsverhandlung im Jahr 1984.

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Eine gewaltige Detonation schreckte an jenem Freitagabend um 22.37 Uhr in Wien-Döbling viele Anrainerinnen und Anrainer aus dem Schlaf. Vor der Eingangstür Simon Wiesenthals in der Mestrozzigasse 5 war ein Sprengsatz explodiert. Dutzende Fensterscheiben zersplitterten, die Eingangstür wurde nach innen gedrückt. Verletzt wurde niemand. Wiesenthal und seine Frau Cyla hielten sich zu diesem Zeitpunkt im ersten Stock auf.

Höhepunkte einer antisemitischen Bombenwelle

Dieses am 16. Juni 1982 durchgeführte Attentat war der Höhepunkt einer antisemitischen Terrorwelle, die vor 40 Jahren durch Österreich zog. Akiba Eisenberg, der erste Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien nach dem Zweiten Weltkrieg, war ebenso ein Ziel eines Sprengstoffanschlags wie der Schriftsteller und Journalist Alexander Giese oder Filialen der Bekleidungskette Schöps, deren Besitzer ein Jude war. Alle Ziele befanden sich ausnahmslos auf einer Feindesliste, die der Zeitschrift "Österreichischer Beobachter – Kampfblatt der NSDAP (Hitlerbewegung) in Österreich" beigelegt worden war. Offensichtlich bombten sich Neonazis durch diese Liste.

Der Anschlag auf Wiesenthal sorgte weltweit für Schlagzeilen. US-Politiker, ehemalige Widerstandskämpfer und KZ-Häftlinge schrieben ihm Briefe mit beistehenden Worten, die sich heute im Nachlass des 2005 Verstorbenen befinden. Unbekannte boten ihm und seiner Frau Unterstützung an, einige sogar Wohnungen. Daneben bekam Wiesenthal auch handgeschriebene Postkarten, auf denen er antisemitisch beschimpft wurde. "Schade, dass es Dich nicht erwischt hat", ist auf einer zu lesen. Aufgeben wurde sie in Salzburg.

Ehemalige Nazis in der Regierung

Der ehemalige KZ-Häftling Wiesenthal wurde oft als Nazi-Jäger bezeichnet. Er hatte zahlreiche NS-Verbrecher, einschließlich Adolf Eichmann, einen der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden, aufgespürt und so vor Gericht gebracht. Ebenso jenen Wiener Polizisten, der 1944 die damals 15-jährige Anne Frank in Amsterdam verhaftete.

Simon Wiesenthal im Jahr 2002. Er spürte auch jenen Wiener Polizisten auf, der Anne Frank verhaftete.
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Kurz nach der ersten Regierungsbildung unter dem sozialistischen Bundeskanzler Bruno Kreisky im Jahr 1970 machte Wiesenthal öffentlich, dass fast ein Drittel der Regierung aus ehemaligen Nationalsozialisten bestand. Fünf Jahre später brachte er ans Licht, dass der damalige FPÖ-Obmann Friedrich Peter Mitglied einer SS-Mordeinheit war, die 1941 mindestens 17.000 Jüdinnen und Juden und rund 25.000 sowjetische Kriegsgefangene ermordete.

Haupttäter wurde verraten

Knapp zwei Monate nach dem Anschlag auf das Wohnhaus von Wiesenthal wurde schließlich einer der mutmaßlichen Attentäter verhaftet: Ekkehard Weil, ein mehrfach wegen Gewalttaten vorbestrafter deutscher Neonazi. Ihm kam nicht die Polizei auf die Spur, sondern er wurde verraten.

Norbert Burger, eine zentrale Person des Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, lieferte Weil an die Polizei aus, er half sogar mit, den Attentäter in eine Falle zu locken, damit dieser verhaftet werden konnte, wie aus der Zeugenaussage Burgers hervorgeht. Der Polizei sagte Burger, Weil habe sich gegenüber anderen Neonazis zu den Anschlägen auf Eisenberg, Wiesenthal, Giese und die Schöps-Filialen bekannt.

Norbert Burger, eine zentrale Figur des Neonazismus in Österreich nach 1945.
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Der Olympia-Burschenschafter Burger mischte in den 1950er- und 1960er-Jahren im Südtirol-Konflikt mit und trug wesentlich zu dessen Eskalation bei. Er schickte junge Burschenschafter nach Italien, die dort Anschläge durchführten. Etwa auf Bahnhöfe in Rom und Verona. In Italien wurde Burger 1971 wegen terroristischer Aktivitäten in Südtirol in Abwesenheit einmal zu lebenslänglich und einmal zu 28 Jahren Haft verurteilt.

Burger holte 140.000 Stimmen bei der Bundespräsidentenwahl

1967 gründete Burger mit einigen Gesinnungsgenossen die Nationaldemokratische Partei (NDP), die 1988 vom Verfassungsgerichtshof verboten wurde, weil das Grundsatzprogramm auf einem "biologisch rassistischen Volksbegriff" basiere und in den wesentlichen Punkten mit jenen der NSDAP übereinstimme. Bei Wahlen blieb die NDP bedeutungslos, jedoch konnte Burger bei der Bundespräsidentenwahl 1980 beachtliche 140.000 Stimmen (3,2 Prozent) erreichen.

Der Erfolg sorgte allerdings für tiefe Gräben in der Szene. Während Burger vom Überspringen der Vierprozenthürde und dem damit verbundenen Einzug in den Nationalrat träumte, rüttelten jüngere Neonazis an dessen Führungsanspruch. Sie gaben sich fanatischer und militanter als die alten Herren der NDP in ihren Lodenmänteln, sie wollten nicht auf Wahlerfolge warten.

"Vaterersatz" für Strache

Nachdem Burger den deutschen Terroristen Weil an die Polizei verraten hatte, vertiefte sich die Spaltung der Szene. Rechts von der NDP entstanden neue Parteien und Gruppierungen wie die "Ausländer halt!"-Bewegung, an deren Veranstaltungen auch der spätere FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache teilgenommen haben soll. Strache hielt aber auch Kontakt zu Burger. Ende der 1980er-Jahre verliebte er sich in eine Tochter Burgers, und der NDP-Gründer wurde "ein Vaterersatz", wie Strache später selbst einmal erklärte.

Zeugenaussage von Burger bei der Polizei. Er lockte einen der Attentäter in eine Falle.
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Nach der Verhaftung von Weil wurde dessen Umfeld von den Sicherheitsbehörden durchleuchtet, und es wurden weitere Komplizen verhaftet, die schließlich 1984 vor Gericht landeten. Journalisten spekulierten darüber, dass die Bomben des Jahres 1982 ein "Versuchsballon" der jüngeren Generation waren. Sie wollten, wie die Nazis in der Ersten Republik, auch mithilfe von Terroraktionen an die Macht kommen.

Prozess mit milden Strafen

Neben Weil und seinen Komplizen wurde auch anderen Neonazis der Prozess gemacht. Sie standen allerdings nicht wegen der Bomben, sondern wegen NS-Wiederbetätigung vor Gericht. Sie liefen mit SS-ähnlichen Uniformen durch die Gegend, leugneten die Shoah und ließen an ihrer politischen Überzeugung wenig Zweifel. Einer von ihnen war Gottfried Küssel, der heute als Säulenheiliger der Neonazi-Szene gilt und bei Corona-Demonstrationen in Wien und Eisenstadt mitmischt. Jene Angeklagten, die damals "nur" wegen NS-Wiederbetätigung vor Gericht standen, fassten sehr milde (bedingte) Haftstrafen aus. Einige zogen sich danach aus der Szene zurück.

Am 2. April 1984 wird Weil zu fünf Jahren Haft verurteilt. Sein Komplize, der Salzburger Attila B., bekommt drei Jahre für die Beteiligung an einem Anschlag sowie einem Einbruch in ein Sprengstoffdepot und Wiederbetätigung. Ein weiterer Mann, der ebenfalls am Diebstahl des Sprengstoffs beteiligt war, erhielt zweieinhalb Jahre Freiheitsentzug.

"Wahrscheinlich war's ja der Weil, nur beweisen konnte man es nicht ganz sicher"

Die Urteile gegen Weil und B. wurden in Zeitungsartikeln als mild bezeichnet. Obwohl die Bombenanschläge auf Wiesenthal, Giese und die zwei Schöps-Filialen "die gleiche Handschrift" trugen, wie der Staatsanwalt betonte, sprachen die Geschworenen Weil mit 4:4 Stimmen im Zweifel von dem Vorwurf frei, für die Anschläge auf Wiesenthal und Giese verantwortlich gewesen zu sein. "Wahrscheinlich war's ja der Weil, nur beweisen konnte man es nicht ganz sicher", erklärte der Staatsanwalt damals den Journalisten und Journalistinnen.

Wiesenthal: Es war der "ernsthafteste Attentatsversuch"

Für Wiesenthal war es auch klar, dass Weil hinter dem Anschlag auf ihn steckte. In seiner Autobiografie "Recht, nicht Rache" bezeichnete er ihn als jenen Mann, der den "ernsthaftesten Attentatsversuch" gegen ihn unternommen habe. Wiesenthal erwähnte auch, dass Weil während einer Gerichtsverhandlung versuchte, sich auf ihn zu stürzen, und von Kriminalbeamten zurückgehalten werden musste.

Kontakt zur Wehrsportgruppe Hoffmann

Die Prozesse brachten nur wenig über das Umfeld und Netzwerk von Weil und B. ans Tageslicht. Aber immerhin wurde bekannt, dass B. bei der deutschen Wehrsportgruppe Hoffmann trainierte, die als Keimzelle der Durchlaufstation des bundesdeutschen Rechtsterrorismus gilt. Das ehemalige Mitglied Gundolf Köhler verübte am 26. September 1980 in München das Oktoberfestattentat, den bisher schwersten Terroranschlag der bundesdeutschen Geschichte. 13 Personen wurden dabei getötet und 221 verletzt. Mindestens zwei Personen aus Österreich waren im Förderverein der Wehrsportgruppe.

Aktiv in der NDP

Zusätzlich war B. auch in Burgers NDP in Salzburg aktiv. Ein Umstand, der Burger ungelegen kam, schließlich hatte er mit der Auslieferung des Attentäters Weil versucht, sich als "Saubermann" zu präsentieren, der bei den nächsten Wahlen ins Parlament einziehen wollte.

Der Burschenschafter (Olympia) Norbert Burger 1989, er verstarb 1992.
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In Salzburg war mit Fritz Rebhandl ein ehemaliger SS-Mann der Statthalter Burgers, in seinem Haus ging der vor einigen Jahren verstorbene B. ein und aus. Rebhandl war auch Herausgeber des "Volkstreuen", einer Zeitschrift, in der die Shoah geleugnet wurde. Im Jahr 2018 sorgte sein Sohn Reinhard für Schlagzeilen. Im Zuge seiner (vergeblichen) Kandidatur für den Salzburger Landtag wurden seine Aktivitäten für die NDP Anfang der 1980er-Jahre ein Thema. Auch wurde öffentlich, dass der damalige FPÖ-Politiker den rechtsextremen Identitären Geld gespendet haben soll.

Antifaschistischer Whistleblower informierte die Presse

Wiesenthal blieb bis zu seinem Tod im Jahr 2005 ein beliebtes Feindbild der österreichischen Neonazi-Szene. Der Holocaust-Leugner und Anführer der "Ausländer halt!"-Bewegung, Gerd Honsik, veröffentlichte 1993 ein verleumderisches und verhetzendes Buch über Wiesenthal. Titel: "Schelm und Scheusal". Allerdings konnte nur ein Bruchteil der ersten Auflage in Umlauf gebracht werden. Ein antifaschistischer Whistleblower hatte sich bei Journalisten gemeldet und verraten, wo das Buch gedruckt wurde. Schließlich wurde ein guter Teil der Auflage von den Behörden einkassiert. (Markus Sulzbacher, 23.6.2022)