Wien – ORF-Generaldirektor Roland Weißmann drängt auf eine Gesetzesnovelle, mit der er auch für Streaming-Nutzung GIS-Gebühren verlangen kann. "Ohne gesetzliche Schließung der Streaming-Lücke wird es schwierig", erklärte der ORF-Chef am Dienstag nach dem Finanzausschuss des ORF-Stiftungsrats, wo wie berichtet die Motive für gehäufte Abmeldungen diskutiert wurden.
"Dringende politische Aktivität"
Mit dem aus ORF-Sicht notwendigen Ausbau des Streaming-Angebots komme der öffentlich-rechtliche Rundfunk in ein "taktisches Dilemma", sagt der ORF-Chef.
Der ORF könne zwar weiter Kosten optimieren, sagt Sigrid Pilz, Sprecherin der grünen Stiftungsräte. Doch die Streaming-Lücke erfordere "dringende politische Aktivität".
Der Sprecher der SPÖ-nahen Stiftungsräte, Heinz Lederer, erwartet einen "Handlungspfad" der Geschäftsführung, er vermisst Fantasie: "Mir kommt es zu eindimensional vor, einfach nur Druck zu machen, um die GIS-Abmeldungen zu verlangsamen." Vorstellen könne er sich etwa Goodies für Personen, die beispielsweise ihre Familie zur Anmeldung bewegen.
Derzeit liegt eine Beschwerde des ORF gegen die Ungleichbehandlung von Rundfunk- und Streaming-Nutzung beim Verfassungsgerichtshof. Kundige Rundfunkjuristen zeigen sich skeptisch, ob das Höchstgericht nach geltender Gesetzeslage für GIS-pflichtiges Streaming entscheiden könne.
Streaming- und Finanzlücke im Stiftungsrat
Der ORF-Stiftungsrat widmet sich am Donnerstag in seiner ersten Sitzung unter dem neuen Vorsitzenden Lothar Lockl einem adaptierten Redaktionsstatut, das mehr Rechte für die Belegschaft vorsieht. Auch die wachsende Streaming-Lücke und die weiterhin negative Prognose für den ORF-Jahresabschluss werden Thema sein.
Ein Minus von 11,9 Millionen Euro sah der erste Forecast für den ORF-Jahresabschluss vor. Dieser gelte nach wie vor, ein zweiter komme nächsten Monat, so ORF-Chef Weißmann gegenüber der APA. "Wir arbeiten natürlich weiterhin an einer schwarzen Null", erklärte er. Maßnahmen wie Urlaubsabbau der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien gut angelaufen, bis Jahresende werde man nachschärfen und weitere Maßnahmen setzen. Thomas Zach, Leiter des ÖVP-"Freundeskreises" im Stiftungsrat, meinte, man müsse das prognostizierte Minus in Relation zum Umsatz von rund einer Milliarde sehen. Die Bewältigung liege in der Lösungskompetenz der Geschäftsführung. Sigrid Pilz, die für den Grünen-"Freundeskreis" spricht, sah eine schwierige finanzielle Lage gegeben, die am Montag "schonungslos" im Finanzausschuss des Stiftungsrats besprochen worden sei.
Redaktionsstatut mit neuen Rechten gegenüber Führungskräften
In der Sitzung am Donnerstag steht auch das ORF-Redaktionsstatut auf der Agenda. Die 35 Stiftungsrätinnen und -räte müssen erst die von Weißmann in Abstimmung mit dem Redakteursrat vorgenommenen Adaptierungen genehmigen, bevor sie in Kraft treten können. Die Statutenänderungen sehen so manches neue Recht für die Redakteurinnen und Redakteure vor – etwa einer Führungskraft nach drei Beschwerden das Misstrauen auszusprechen oder erweiterte Informations- und Anhörungsrechte bei Bestellungen.
Zach wollte die Entscheidung des Stiftungsrats darüber nicht vorwegnehmen. Man werde sich den entsprechenden Bericht anhören. In der Sitzung ist dazu Dieter Bornemann, Vorsitzender des ORF-Redakteursrats, geladen. Lederer sah die Änderungen auf der "Zielgeraden, aber noch nicht im Ziel". Entscheidende Passagen müssten den Rätinnen und Räten noch gut erklärt werden. Als Stichwort nannte er Verantwortungsketten.
Newsroom läuft
Mittlerweile haben am Küniglberg circa 350 Personen die Arbeit im neuen multimedialen Newsroom aufgenommen. Die Übersiedlung habe "sehr gut funktioniert", meinte Weißmann. "Es war logistisch eine Riesen-Challenge, weil die Übersiedlung im Echtbetrieb über die Bühne gegangen ist. Dank der Redakteurinnen und Redakteure und der Haustechnikerinnen und -techniker hat es aber gut funktioniert", sagt der ORF-General.
Auch Zach hat dazu eine "ausschließlich positive Wahrnehmung". Pilz hatte den Eindruck, dass die ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter gut angekommen seien und die Übersiedlung gut vorbereitet wurde. Sie mahnte jedoch, weiterhin auf Pluralität in der Berichterstattung zu achten. Lederer sprach von einem "ausgezeichneten Eindruck". "Natürlich werde es Reibungsverluste geben, aber ich hoffe, die lösen sich in eine Win-win-Situation auf", sagte er.
"Parallelwelt" Leiharbeit
Der SPÖ-"Freundeskreis"-Leiter kündigte auch an, die Geschäftsführung darum zu ersuchen, bis September die "Parallelwelt" bestehend aus einigen hundert Leiharbeitskräften und Honorarempfängern näher zu erklären. Man wolle schauen, ob durch Reintegrationen ins Unternehmen Sparpotenzial gegeben sei. (APA, red, 21.6.2022)