Der Gossenköllesee ist einer von vielen Seen im Hochgebirge, in die der Mensch Fische eingebracht hat. Die Folgen werden wissenschaftlich aufgearbeitet.

Foto: Ruben Sommaruga

Hochgebirgsseen sind unwirtliche Orte: monatelang von Eis bedeckt, kaltes Wasser, geringer Nährstoffgehalt. Größere Tiere, die das ganze Jahr in ihnen verbringen, haben schlechte Karten – so auch Fische. Auf natürlichem Wege kommen sie in solch hochalpinen Lebensräumen normalerweise nicht vor, da diese Seen für gewöhnlich keine Verbindung zu tieferliegenden Gewässern haben, aus denen sie einwandern könnten.

Die in Hochgebirgsseen lebenden Organismen sind daher an nährstoffarme, aber fischfreie Verhältnisse angepasst. Das bedeutet unter anderem fehlende Tarnung: So haben manche Arten von Kleinkrebsen zum Schutz vor der in diesen Höhen starken UV-Strahlung schwarze oder rote Pigmente eingelagert, was sie gut sichtbar macht. Solange es keine visuell jagenden Räuber gibt, spielt dieser Umstand keine Rolle. Das ändert sich aber schlagartig, wenn Fische in den See gelangen.

Eine besonders gefräßige Art ist der Bachsaibling (Salvelinus fontinalis), ein Forellenverwandter, der Ende des 19. Jahrhunderts in Europa eingeführt wurde und seitdem immer wieder in hiesigen Gewässern landet. Die Fische ernähren sich unter anderem von Planktonkrebsen, deren Bestände sie entsprechend dezimieren. Genauso gefräßig sind die viel kleineren Elritzen (Phoxinus phoxinus), die als Köderfische für die Saiblinge in die Seen gelangen.

Gefräßige Konkurrenz

So sind etwa aus dem Großen Feichtauer See im Nationalpark Kalkalpen der 2,5 Millimeter große Wasserfloh Daphnia rosea und der intensiv rot gefärbte Ruderfußkrebs Arctodiaptomus alpinus seit dem Besatz mit Fischen verschwunden. Im Kleinen Feichtauer See, der jeden Winter austrocknet und für Fische daher ungeeignet ist, gibt es beide Arten nach wie vor in großer Zahl.

Doch nicht nur die Wasserfauna leidet unter den Neuzugängen, sondern auch Landtiere, die in ihren Jugendstadien ans Wasser gebunden sind. So ist der Bergmolch aus dem Großen Feichtauer See verschwunden, weil die Fische einerseits seinen Laich fressen und andererseits die Kleinkrebse, von denen er sich ernährt.

Ebenso sind die Populationen von Grasfrosch und Erdkröte an vielen Bergseen zusammengebrochen, weil der Bachsaibling ihre Eier und Larven vertilgt. Die Kleinkrebse fehlen auch anderswo: Sie ernähren sich nämlich von Phytoplankton, also Algen. Fallen sie aus, nimmt das Algenwachstum rapide zu.

Trübes Wasser

In Folge wird das Wasser trüb, und die normalerweise blauen Bergseen nehmen eine grüne Farbe an. Diese und ähnliche Prozesse spielen sich in allen Seen oberhalb des Waldgürtels ab, in denen es mittlerweile Fische gibt. Dabei liegt der Besatz mancherorts Jahrhunderte zurück. Bereits unter Kaiser Maximilian I. (1459–1519), der ein begeisterter Jäger und Fischer war, wurden viele Tiroler Bergseen künstlich mit Fischen besiedelt.

Die Folgen dieser Aktionen sind nur teilweise bekannt: "Wir wissen, wie sich die Nahrungsnetze verändern, wenn Fische dazukommen", erklärt der Limnologe Ruben Sommaruga vom Department für Ökologie der Universität Innsbruck, "aber wir wissen nicht, wie sich diese Veränderungen auf den Kohlenstoff- und Nährstoffkreislauf der Hochgebirgsseen und ihrer Umgebung auswirkt."

Gemeinsam mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus Spanien, Frankreich, der Schweiz und Rumänien widmen sich Sommaruga und seine Forschungsgruppe im Rahmen des EU-Programms Biodiversa+ derzeit der Problematik und den Möglichkeiten, die Effekte rückgängig zu machen. In Österreich wird das heuer gestartete Projekt mit dem Titel FishME (Fish Removal in Mountain Ecosystems, zu Deutsch: Fischentfernung in Gebirgsökosystemen) vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert.

Fehlendes Bewusstsein

Die Grundlage bilden bereits vorhandene Daten aus den teilnehmenden Ländern, die durch Erhebungen in 70 ausgewählten Bergseen der Pyrenäen, der Alpen und der Südkarpaten ergänzt werden. Dabei sollen einerseits naturwissenschaftliche Fragen geklärt werden, wie etwa die Häufigkeit von Fischbesatz in Europa und die jeweils verwendeten Fischarten, aber auch die erwähnte Problematik der geänderten Stoffkreisläufe.

Ein wesentlicher Teil des Projektes widmet sich aber soziologischen Fragen, allen voran: Was bewegt die Menschen dazu, überhaupt Fische in Hochgebirgsseen auszusetzen – und wie kann man sie davon abbringen? In vielen Fällen dürfte der Besatz aus wirtschaftlichen Überlegungen erfolgen.

Dagegen spricht allerdings, wie Sommaruga erklärt, dass etwa ausgesetzte Seesaiblinge unter Hochgebirgsbedingungen mindestens zehn bis 15 Jahre brauchen, bis sie so groß sind, dass sie überhaupt gefangen werden dürfen. Obwohl sie bis dahin "alles fressen, was geht", finden die Fische in vielen Seen zu wenig Nahrung, um sich fortzupflanzen – was Sommaruga zufolge häufig dazu führt, dass nachbesetzt wird. Das ist zwar durch EU-Gesetze verboten und verträgt sich auch nicht mit dem Schutzstatus vieler Bergseen, aber das Bewusstsein dafür ist noch kaum ausgebildet.

Im Zuge des Forschungsprojekts FishME soll deshalb auch ein Maßnahmenkatalog entwickelt werden, der der Naturschutzpolitik die nötigen Werkzeuge an die Hand gibt, um in Zukunft im Sinne der Natur entscheiden und handeln zu können. Auch das Abfischen gilt dabei als zwar aufwendige, aber durchaus ernstzunehmende Möglichkeit. (Susanne Strnadl, 26.6.2022)