Am Beginn jedes Lebens steht ein kleiner Zellhaufen. Wie genau sich daraus komplexe Gewebe entwickeln, wird noch erforscht.

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Diana Pinheiro drückt die Playtaste. Zunächst ist auf dem Bildschirm nur eine einzige Zelle zu sehen. Sie teilt sich, aus den beiden entstehen vier, bis nach nur 24 Stunden ein schlagendes Zebrafisch-Herz auf dem Monitor flackert. "Ist das nicht völlig verrückt?", fragt Pinheiro strahlend. Fünf Jahre forscht die gebürtige Portugiesin bereits am Carl-Philipp-Heisenberg-Labor des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg.

Im Herbst wird die 34-jährige Entwicklungsbiologin eine neue Stelle als Gruppenleiterin am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) antreten. Sie schließt sich damit rund 1850 Forschenden im Vienna Bio Center an und gilt doch als Ausnahmeerscheinung. Schließlich stellte das IMP in den letzten Jahrzehnten ausschließlich Expertinnen und Experten aus dem Ausland ein, nie von einem österreichischen Institut. "Menschen kommen mittlerweile aus aller Welt, um in Österreich zu forschen", sagt Pinheiro. Auch deshalb wollte sie in Wien bleiben.

Faszination und Neugier

Es war nicht gerade Pinheiros Kindheitstraum, Biologin zu werden. Aber sie wollte ihren Beruf mit der gleichen Passion ausüben wie ihr Vater als Anwalt. Wissenschafterinnen und Wissenschafter gab es in der Familie bis dahin keine. Kurze Ausflüge in die Archäologie und Meeresbiologie führten sie schließlich zur Zellbiologie. Nach dem Doktorat am Institut Curie in Paris führte sie die wissenschaftliche Neugier nach Klosterneuburg.

Diana Pinheiro erforscht den Beginn des Lebens.
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Am ISTA erforscht sie die ersten Prozesse des Lebens. Sie ergründet, wie aus einer einzigen Zelle ein ganzer Organismus entsteht. Zum einen müssen dazu Zellen mit der richtigen Funktion generiert werden. Denn am Anfang jeder noch so aufwendigen Form – sei es das komplexe Gehirn eines Delfins oder das markante Riechorgan eines Nasenaffen – steht ein einfacher Zellverband. Zum anderen müssen die Zellen zur rechten Zeit am richtigen Ort sein, die sogenannte Morphogenese.

"Es ist absolut faszinierend, eine Zelle zu visualisieren, aus der Trillionen Zellen entstehen, hunderte Zelltypen, alle in unterschiedlichen Formen organisiert", sagt Pinheiro. Fast erscheint es paradox, dass ein derart komplexer Prozess funktioniert, sehr robust ist und dazu hoch reproduzierbar. Denn die Verwandlung einer Zelle in einen Zellhaufen, in komplexe Gewebe, ist ein grundlegendes Prinzip aller Lebewesen. "Wir kennen bereits einige Gene und Signalstoffe, die in den Prozess involviert sind, und ihre Wirkung", erklärt die Biologin, "aber wir wissen wenig darüber, wie sie das machen."

Wissen für die Krebsforschung

Viele jener Gene, die über frühe Stadien der Entwicklung entscheiden, spielen eine zentrale Rolle in der Krebsforschung, bei der Wundheilung oder der Regeneration von Organen, weil auch nach der Embryonalentwicklung dieselben Moleküle und einige der gleichen Mechanismen immer wieder auftauchen. Beispielsweise reaktivieren Krebszellen während der Tumorentstehung sogenannte Entwicklungsgene.

Gelingt es, die Mechanismen der frühen Entwicklung zu entschlüsseln, kann dieses Wissen also auch in anderen Bereichen genutzt werden. "Die Grundlagenforschung muss nicht unbedingt wissen, wohin sie geht, weil sie die Grenze des Bekannten ist", erklärt sie. Wie wichtig die Erkenntnisse daraus seien, könne man oft erst im Nachhinein sagen. Pinheiro nennt ein Beispiel: Als Forschende den Zelltod von Caenorhabditis elegans, einer Wurmart, untersuchten, wollten sie eigentlich nur erfahren, warum und wie die Zellen starben. Die damals identifizierten Gene dienen heute als Ziele in der Krebstherapie.

Zebrafische als Modellorganismus

Für Pinheiros Forschung eignen sich Zebrafische als Modellorganismus besonders, weil bei ihren transparenten Embryos jede Veränderung unter dem Mikroskop deutlich erkennbar ist. Da die Befruchtung der Eier außerhalb des Körpers erfolgt, kann Pinheiro den Prozess von Anfang an verfolgen. "Von der allerersten Zellteilung bis zur Gastrulation, jener Differenzierung in drei verschiedene Zelltypen, aus denen sich der gesamte Organismus entwickelt, vergehen bei Zebrafischen lediglich vier Stunden", erklärt die Forscherin.

Im Vergleich: Beim Menschen dauert dieser Prozess etwa sechzehn Tage. Trotzdem sind wichtige Gene und Regulatoren hoch konserviert. Während man aber etwa beim Töpfern Hände braucht, die einen Gegenstand formen, schaffen Embryos das von allein durch ein perfekt abgestimmtes Zusammenspiel von Biologie und Physik.

Jede Zelle an der richtigen Stelle

Signalmoleküle – sogenannte Morphogene – sowie von Zellen generierte Kräfte steuern, welcher Zelltyp entsteht und wohin sich die Zelle im Embryo bewegt. Im Fokus von Pinheiros Forschung steht das Morphogen Nodal. Man wusste bereits, dass der Signalstoff steuert, welche Funktion eine Zelle einnimmt – in Zebrafischen, aber auch in Mäusen oder Menschen. Pinheiro entdeckte, dass Nodal jedoch nicht nur die Identität der Zelle bestimmt, sondern auch ihre Fähigkeit reguliert, sich zu bewegen. Nur so kann sie die richtige Position im Embryo einnehmen.

Obwohl Pinheiro die Entwicklung der Embryonen ungezählte Male gesehen hat, blickt sie doch gebannt auf den Bildschirm, als die ersten 24 Stunden eines Lebens im Zeitraffer ablaufen. "Ich liebe es, diesen Prozess zu beobachten", sagt sie. Auch deshalb sei sie gespannt auf ihre neue Stelle als Gruppenleiterin am IMP, "denn dort gibt es jede Technologie, die derzeit am Markt verfügbar ist". Zudem wird sie sich als Mentorin in ihrem Team neuen Herausforderungen stellen. "Gemeinsam Wissen zu produzieren wird großartig", sagt die Biologin. Speziell auf die Montage, wenn Seminare mit dem gesamten Bio-Center-Campus stattfinden, freut sie sich.

"Anderen, die nicht den ganzen Tag über Embryos brüten, unsere Forschung zu erklären ist eine wichtige Übung und darüber zu diskutieren der spaßigste Teil der Arbeit", erzählt Pinheiro. Auf diese Weise findet sie Lücken in ihrer Argumentation oder Anregung zu neuen Ideen. Dabei denkt sie nicht nur an Menschen der Wissenschaft. Vielmehr sieht sie es als Pflicht, der Gesellschaft ihre Forschung zu erklären. "Schließlich zahlen Menschen Steuern und haben ein Recht darauf zu erfahren, was damit passiert". (Anja Böck, 26.6.2022)