Die Neos sind zehn Jahre alt. Diese Woche gibt’s eine Party und ein neues Design. Wie steht’s mit der Substanz? Vordergründig nicht schlecht. Die Neos sind ein fixer Bestandteil der österreichischen politischen Szene geworden, sie repräsentieren das liberale Bürgertum. Gewählt wurden sie zuletzt (NR-Wahl 2019) von 8,1 Prozent, in den Umfragen liegen sie derzeit meist darüber (zehn bis elf Prozent). Ihre Wähler kommen meist von der ÖVP, denen die Kurz/Nehammer-ÖVP zu illiberal war/ist, und vom bürgerlichen Flügel der Grünen.

Mit Beate Meinl-Reisinger haben die Neos eine attraktive, eloquente Spitzenkandidatin.
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Sie haben eine nicht unbeachtliche Nische im österreichischen Spektrum gefunden: marktwirtschaftlich orientiert, gegen den Kammerstaat, gesellschaftspolitisch liberal, scharf gegen Korruption, für mehr Bürgermitbestimmung, für mehr Transparenz und politische Sauberkeit. Die Aufklärungsarbeit der Neos in den Korruptions-U-Ausschüssen kann sich sehen lassen. Mit Beate Meinl-Reisinger haben sie eine attraktive, eloquente Spitzenkandidatin. In Wien und Salzburg sitzen sie in der Landesregierung, im Bund streben sie eine Regierungsbeteiligung an.

Fazit: Mit den Neos hat Österreich eine etablierte liberale Partei, wie sie anderswo üblich ist, hierzulande aber lange nicht möglich war, wenn man vom letztlich gescheiterten Liberalen Forum von Heide Schmidt absieht (das in die Neos integriert wurde).

Logische Alternative

Immerhin eine Leistung in einem strukturell konservativen Land mit einer ÖVP, die ihren liberalen Flügel nahezu vollständig abgestoßen hat, und der FPÖ, einer der größten rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien Europas. Die Frage ist jetzt: Gelingt den Neos der angestrebte Übergang zu politischer Gestaltung? Das liegt zunächst an zwei anderen Parteien: den Grünen, die sich aus ihrer Koalition mit der ÖVP lösen müssten, und der SPÖ, die sich für eine Ampel aus Rot-Grün-Pink (Neos) entscheiden müsste. Das erscheint vielen als die logische Alternative zur derzeitigen Regierung, aber es ist nicht ganz sicher, ob das auch alle in der SPÖ wirklich wollen.

Dreierkoalitionen sind per se mühsam, und der Gewerkschaftsflügel sowie manche Kräfte in der Wiener SPÖ würden lieber mit einer verkleinerten und bescheidener gewordenen ÖVP koalieren. Da kann man sich leichter sozialpartnerschaftlich was ausmachen. In Zeiten der Instabilität könnte man eine solche "geläuterte" große Koalition vielleicht wieder besser verkaufen.

Was können die Neos tun, um nicht übergangen zu werden? Von der internationalen Situation her ist Wirtschaftskompetenz gefragt. "Putin führt einen Wirtschaftskrieg gegen Europa", sagte kürzlich ein deutscher Politiker. Das Management der Gaskrise durch die schwarz-grüne Koalition zeigt große Schwächen.

Sowohl die ÖVP wie auch die SPÖ sind durch zu große Putin-Versteherei und schwerste Fehlentscheidungen beim Zustandekommen der Abhängigkeit vom russischen Gas diskreditiert. Das Wirtschaftsministerium wurde unter Türkis zu einem Witz-Ressort. Hier müssten die Neos Kompetenz zeigen. Den früheren marktwirtschaftlichen Purismus (Wasser privatisieren) haben sie abgelegt. Die beiden anderen Themen der Neos – Bildungsreform und Antikorruption – bleiben wichtig. Im Augenblick ist aber wirtschaftspolitische Kompetenz gefragt. Hier müsste die liberale Partei ansetzen. (Hans Rauscher, 22.6.2022)