Die Inszenierung von Marco Arturo Marelli bemüht sich gar nicht, der Kitschgefahr zu entfliehen, lässt aber zugleich wunderbar poetische Bilder und ironische Brechungen entstehen.
Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Wien – Das Schönste geschah gleich zu Beginn in der "Introduktion". Die Bezeichnung Ouvertüre wäre für das Vorspiel von Richard Strauss’ letzter Oper Capriccio tatsächlich völlig unpassend, vertraut er doch nur einem Streichersextett ein schöngeistiges Stimmengeflecht an, das vom zärtlichen Schmeicheln bis zum leidenschaftlichen Ausbruch und einem deutlichen Anflug von Verzweiflung reicht.

Bei den Orchestermitgliedern der Wiener Staatsoper wirkte das am Montagabend wie in einem spontanen Hauskonzert: frisch drauflosgespielt, mit lebhaftem Ausdruck und individuellem, freiem Vorwärtsdrängen. Genauso liebevoll kümmerte sich das Orchester unter der Leitung von Philippe Jordan in dieser "Musikalischen Neueinstudierung" um die gesamte Partitur – es klang nach jener tiefen Verbundenheit der Wiener Philharmoniker mit dem Komponisten, die zu seinen Lebzeiten entstanden war und noch immer so wirkt, als hätten ihn alle noch persönlich gekannt.

Frecher Affront gegen NS-Regime

Capriccio, 1942 mitten im Zweiten Weltkrieg uraufgeführt, wurde häufig Weltflucht vorgehalten – zugleich enthält das Libretto Formulierungen, die sich als frecher Affront gegen das Naziregime interpretieren lassen ("Die Masken zwar sind gefallen, doch Fratzen seht ihr statt Menschenantlitze! Ihr verachtet dies Treiben, und doch, ihr duldet es! Ihr macht euch schuldig durch euer Schweigen").

Die Inszenierung von Marco Arturo Marelli bemüht sich gar nicht, der Kitschgefahr zu entfliehen, lässt aber zugleich wunderbar poetische Bilder und ironische Brechungen entstehen. Ob von der nobel-distanzierten Maria Bengtsson als Gräfin, dem messerscharf artikulierenden Adrian Eröd als Graf, dem launig polternden Christof Fischesser als La Roche sowie vor allem den beiden konkurrierenden liebenden Künstlern, dem hell strahlenden Flamand (Daniel Behle) und dem luxuriös strömenden Olivier (Andrè Schuen): Gesungen wird so fabelhaft, dass sich schon allein deshalb ein Besuch lohnt. (Daniel Ender, 21.6.2022)