Gestartet war die alle fünf Jahre stattfindende Kunstausstellung Documenta in Kassel mit einem hehren Anliegen: Erstmals sollte mit Ruangrupa aus Indonesien ein vielköpfiges Kollektiv die Ausstellung kuratieren und Kunstschaffende des Globalen Südens in großem Stil nach Europa holen.

Dass die Documenta damit einem Schwall an postkolonialer Kritik Raum geben würde, war angesichts der in Wissenschaft, Kunst und Politik wichtiger werdenden Stimmen, eurozentristisch-westliche Perspektiven zu hinterfragen, überfällig. Was die deutsche Großausstellung jetzt allerdings auch hat, ist ein Antisemitismusproblem.

Im Bild mit dem Titel "People's Justice" des indonesischen Kollektivs Taring Padi fand sich stereotype antisemitische Bildsprache.
Foto: IMAGO/Hartenfelser

Bereits im Vorfeld der am Wochenende eröffneten Schau wurde Kritik laut, Ruangrupa habe keine jüdischen Künstler eingeladen und gebe sich zu offen für die umstrittene Boykottbewegung BDS, die das Ziel verfolgt, Israel kulturell zu isolieren, und Sympathisanten dazu anhält, in dem Land nicht aufzutreten. Mit BDS identifizieren sich im internationalen Musik- und Kunstbetrieb nicht wenige, im Deutschen Bundestag aber wurde die Bewegung 2019 offiziell geächtet.

Ruangrupa distanzierte sich zaghaft von BDS und versprach, Antisemitismus keine Bühne zu geben. Sachliche Diskussion darüber kam keine zustande, was auch daran lag, dass die deutsche Medienöffentlichkeit und jüdische Interessenverbände den Nahostkonflikt bei einer Kunstausstellung lieber nicht diskutiert haben wollten.

Antisemitische Bildsprache

Dass es sachlicher nun wohl auch nicht mehr wird, sondern vielmehr noch verhärteter, daran ist Ruangrupa selbst schuld: Denn wie sich jetzt zeigt, sind im unübersichtlichen Ausstellungsgetümmel auch Bilder zu sehen, die klar Grenzen überschreiten. Im Bild Guernica Gaza des palästinensischen Künstlers Mohammed Al Hawajiri etwa wird eine Parallele zwischen Picassos Darstellung der von den Nazis zerbombten Stadt Guernica und dem Gazastreifen gezogen.

Was hier vielleicht noch als plumper, missglückter NS-Vergleich toleriert werden konnte, geht in einem anderen Fall nicht mehr: Ein meterhohes Wimmelbild mit dem Titel People's Justice des indonesischen Kollektivs Taring Padi wird jetzt zu Recht entfernt. Der Grund: In Details der Darstellung fand sich stereotype antisemitische Bildsprache, wie man sie seit dem Mittelalter und aus der NS-Zeit kennt. Ein Soldat mit Schweinegesicht trägt ein Halstuch mit Davidstern und dem Schriftzug Mossad (Israels Geheimdienst) auf dem Helm. Eine andere Figur im Businessanzug ist mit Schläfenlocken, Vampirzähnen, blutunterlaufenen Augen, Schlangenzunge und einem Hut mit SS-Emblem dargestellt.

Die Gleichsetzung Israels mit dem NS-Staat und eine durchlässige Grenze zum Antisemitismus hatten einst schon in der 68er-Linken Tradition: Pink-Floyd-Sänger und BDS-Unterstützer Roger Waters etwa lässt bei Konzerten bis heute ein fliegendes Schwein mit Davidstern, Christenkreuz und Symbolen des Kapitalismus, Kommunismus und Faschismus durch die Luft fliegen.

Klar ist: Beabsichtigtes oder auch nur naiv eingeübtes Hantieren mit antisemitischen Codes darf nirgendwo eine Bühne haben. Wo diese Grenzen verschwimmen, disqualifiziert sich jede Kritik. Was die Documenta auch zeigt, ist aber, dass Teile der postkolonialen Linken das Existenzrecht Israels als Fortführung europäischer Koloniallogik ablehnen. Mit einer solchen Radikalposition ist man vom Frieden in Nahost weit entfernt. (Stefan Weiss, 21.6.2022)