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Die Omikron-Subvariante BA.5 ist bereits vor rund zwei Wochen in Österreich dominant geworden und verdrängt ihren Vorgänger BA.2 immer weiter. Fachleute nennen mehrere Gründe dafür: Zum einen umgeht die Omikron-Subvariante BA.5 (ebenso wie ihre "kleine Schwester" BA.4) den Immunschutz noch einmal besser, als es BA.1 und BA.2 taten. Zum anderen gilt das Aufheben fast aller Corona-Maßnahmen als Treiber der neuen Welle. Wegen der bevorstehenden Urlaubssaison sind sich nun viele unsicher, ob der vierte Stich jetzt sinnvoll wäre und wie man sich am Urlaubort am besten verhält. DER STANDARD hat Fachleute um eine Einschätzung gebeten.

Frage: Sind die hohen Infektionszahlen der Beginn der angekündigten Sommerwelle?

Antwort: Das ist jetzt ganz sicher der Beginn der Sommerwelle", ist Gerald Gartlehner, Epidemiologe an der Donau-Universität Krems, überzeugt. Dass wir mit einer Sommerwelle rechnen müssen, darin waren sich Fachleute einig. Nur der Zeitpunkt, wann genau die Zahlen wieder steigen würden, war auch für Expertinnen und Experten schwierig vorherzusehen.

Auch die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der Med-Uni Wien sagt, dass "die Verschnaufpause, die wir durch die vergangene BA.2-Welle gewinnen konnten, jetzt vorbei ist". Durch die vielen Infektionen während dieser Welle konnte eine recht hohe Immunität in der Bevölkerung aufgebaut werden. Sie lasse aber immer weiter nach und führe dazu, dass "die Varianten BA.4 und vor allem BA.5 Fuß fassen können und zu einer neuen Welle führen".

Frage: Wie wird sich die Sommerwelle weiter entwickeln?

Antwort: Wie steil die Welle verlaufen und wie lange sie anhalten werde, hänge von verschiedenen Faktoren ab, sagt Gartlehner: "BA.5 breitet sich immer weiter aus, die Immunität der Bevölkerung geht zurück. Aber das Wichtigste ist: Es ist eine Infektionswelle." Denn BA.5 ist noch einmal infektiöser als BA.2, weshalb es sicher zu einem weiteren Ansteigen der Infektionszahlen kommen wird. "Aber das Gesundheitssystem wird dadurch nicht sehr belastet", glaubt der Epidemiologe.

Auch Redlberger-Fritz sieht das so. Dennoch warnt sie davor, dass "sich bei hohen Infektionszahlen auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Spitälern infizieren und es bei vielen Krankenständen zu Problemen in der Aufrechterhaltung des Krankenhausbetriebs kommen kann".

Frage: Hilft für Prognosen der Blick in andere Länder? In Portugal scheint die Sommerwelle nahezu vorbei zu sein. Könnte es bei uns ähnlich ablaufen?

Antwort: Ja und nein. Ja, wenn es um die Belastung des Gesundheitssystems geht. Eher nein, wenn es um die Infektionszahlen geht: "Die können bei uns höher oder auch niedriger sein, das ist schwer einzuschätzen", sagt Gartlehner. Denn es gibt wesentliche Unterschiede in den Populationen: "In Portugal sind deutlich mehr Menschen geimpft als in Österreich." Was man aus einem Ländervergleich aber sehr gut ableiten könne, sei die Schwere der Infektionsverläufe: "Wenn in Portugal das Gesundheitssystem durch die Sommerwelle nur gering belastet war, dann wird es in Österreich wahrscheinlich ähnlich werden."

Frage: Woran liegt es, dass uns die Sommerwelle bereits im Juni trifft?

Antwort: Dass sie kommen wird, war für viele klar. Dass sie jedoch schon so früh nach Österreich kommt, liegt laut Redlberger-Fritz vermutlich an drei Faktoren: "Weil viele Infektionen schon sehr lange her sind, nimmt die in der Bevölkerung aufgebaute Immunität bereits wieder ab, und somit wird auch der Schutz vor Ansteckung geringer." Dazu kommt, dass BA.4 und BA.5 noch einmal deutlich ansteckender sind als ihre Vorgänger. Als dritter Faktor für das rasante Ansteigen der Fallzahlen ist für Redlberger-Fritz auch das Aufheben der Maßnahmen zu nennen. Denn: "Aus immunologischer Sicht war es erwartbar, dass bei einer Aufhebung der Maskenpflicht auch die Infektionszahlen wieder steigen." Darum plädiert sie dafür, dass "alle, die sich schützen möchten, eine Maske tragen sollten". Dafür brauche es schließlich keine Regelung.

Frage: Wie soll ich mich verhalten, wenn ich einen Urlaub geplant habe? Macht dann ein vierter Stich Sinn?

Antwort: Derzeit ist vom Nationalen Impfgremium (NIG) der vierte Stich für über 80-Jährige und für alle vulnerablen Gruppen empfohlen. Herwig Kollaritsch, Infektiologe und Mitglied des NIG, erklärt, dass "diese Empfehlung möglicherweise demnächst auch auf die Personengruppe ab 65 ausgeweitet werden könnte". Unabhängig von der Empfehlung können sich jedoch alle den vierten Stich holen, bei denen die letzte Impfung oder die letzte Infektion mit dem Coronavirus mehr als vier Monate her ist. Kollaritsch weiß: "Manche fühlen sich mit einem vierten Stich einfach wohler, und das ist auch vom NIG so abgesegnet."

Auch Redlberger-Fritz betont, dass die Impfentscheidung eine individuelle sei, und erklärt: "Der vierte Stich boostert das Immunsystem sehr schnell, und man hat für die darauffolgenden acht bis zwölf Wochen einen 60- bis 70-prozentigen Schutz vor Ansteckung." Wer also eine Corona-Infektion in den Sommermonaten verhindern möchte, kann sich bereits jetzt den vierten Stich holen und zusätzlich die bekannten Hygienemaßnahmen, wie Hände desinfizieren und Maske tragen, einhalten. Große Menschenansammlungen wie auf Konzerten oder am Strand führen auch im Sommer zu hohen Infektionszahlen. Will man sich schützen, sollte man sie meiden. (Jasmin Altrock, Magdalena Pötsch, 21.6.2022)