Für mehr als 60.000 Haushalte wird Fernwärme auch in der Müllverbrennungsanlage Wien-Spittelau produziert.

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Noch hat sich die Aufregung über den Antrag von Wien Energie zur Anhebung des Fernwärmetarifs um 92 Prozent ab kommender Heizsaison nicht gelegt, schon werden neue Ängste befeuert. Diesmal durch Wladimir Putin und die Auffassung einer Mehrheit von Experten und Expertinnen, dass Russlands Präsident in letzter Konsequenz auch Gas als Waffe einsetzen könnte.

Bisher ist es bei Drohgebärden geblieben; das und die Tatsache, dass seit der Vorwoche wegen, wie Moskau sagt, "technischer Probleme" weniger Gas nach Europa kommt, haben genügt, dass die Gaspreise nach oben schnalzen. Speziell Wien ist stark abhängig von Gaslieferungen, sowohl für die Produktion von Strom als auch für die Bereitstellung von Wärme für Haushalte, Handel, Büros und Industrie.

Müllverbrennung und Biomasse

60, in manchen Jahren sogar 65 Prozent der Fernwärme für mehr als 400.000 am Wiener Netz hängende Haushalte werden in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) und zusätzlichen Heizkraftwerken erzeugt. Diese laufen in der Regel mit Gas. Im Fall der KWK-Anlagen wird neben Wärme auch elektrische Energie erzeugt und in das Stromnetz der Stadt eingespeist. Der Rest, 35 bis 40 Prozent der Fernwärme, wird in Wien durch Verbrennen von Müll und Biomasse gewonnen.

Im Sommer ist die Aufbringungsstruktur eine völlig andere. "Gas kommt bei der Fernwärmeproduktion jetzt gar nicht zum Einsatz", sagte die Sprecherin von Wien Energie, Lisa Grohs, dem STANDARD.

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Genug Wärme im Sommer

Das liege an der deutlich verringerten Nachfrage in der warmen Jahreszeit. Der Bedarf an Warmwasser für Privathaushalte bzw. Fernkälte hauptsächlich für Bürostandorte könne durch das Verbrennen von Müll, Einsatz von Biomasse und die vor drei Jahren in Betrieb genommene Großwärmepumpe in Wien-Simmering gedeckt werden.

Dennoch werden auch in Wien Szenarien entwickelt für den Fall, dass tatsächlich kein Gas mehr aus Russland ankommen sollte. Die vier Heizkraftwerke von Wien Energie in der Spittelau, Leopoldau, Inzersdorf und beim Arsenal (dritter Bezirk) können sowohl mit Gas als auch mit Öl betrieben werden. Anders als beim stillgelegten Fernheizkraftwerk Mellach, das vom Eigentümer Verbund auf Geheiß der Regierung als Kohlekraftwerk reaktiviert werden soll, ginge das in Wien sozusagen von einem Tag auf den anderen. "Es sind keine Umbauarbeiten notwendig, nur das notwendige Öl muss beschafft werden", sagt Grohs.

Zuletzt hat Wien Energie Öl zur Erzeugung von Fernwärme im Winter 2008/09 eingesetzt, als wegen Preisstreitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine auch Gaslieferungen nach Österreich für längere Zeit unterbrochen waren. Mit Beginn der Heizsaison im Herbst will Wien Energie auf Basis der sich dann zeigenden Situation entscheiden, ob sie ihre Heizwerke mit Öl oder doch weiter mit Gas betreibt.

Wien Energie hat nach Eigenangaben derzeit 84 Prozent des bei einem Speicherbetreiber in Oberösterreich gebuchten Volumens befüllt; bis Oktober will man auf 100 Prozent kommen. Die Röhrenspeicher, die beim Kraftwerk Leopoldau im Boden vergraben sind und ein Gesamtvolumen von 15.000 Kubikmetern haben, dienen zur Netzstabilisierung. Damit werden sehr kurzfristige Schwankungen, die innerhalb eines Tages auftreten, ausgeglichen.

Wien hat einen der höchsten Gasanteile im österreichischen Fernwärmemix. Aber auch Städte wie Graz und Linz haben vergleichsweise viel Gas im Einsatz.

Regional und divers

"Die Fernwärmeversorgung in Österreich ist regional sehr unterschiedlich. Insgesamt gibt es einen hohen Erneuerbaren-Anteil", sagt Günter Pauritsch von der Österreichischen Energieagentur. Im Jahr 2020 lag der Biomasseanteil bei der Fernwärmeerzeugung in Österreich bei durchschnittlich 44 Prozent und damit deutlich vor Erdgas (33 Prozent). In Gemeinden und kleineren Städten werde fast nur Biomasse eingesetzt, in Ballungsräumen weniger, auch weil die Aufbringung dort mitunter komplizierter sei.

Öl spielte bisher so gut wie keine Rolle, 2020 lag der Anteil bei einem Prozent. Die Salzburg AG hat mittlerweile "aus Vorsichtsgründen" die Wärmeproduktion auf Ölbetrieb umgestellt – und auch in anderen Städten gibt es Überlegungen und Schritte in diese Richtung. Um Fernwärme in Österreich gänzlich frei von fossilen Energieträgern zu bekommen, werde man an Importen von grünem Wasserstoff nicht vorbeikommen, sagt Pauritsch. Diesen könne man in grünes Gas umwandeln – für die Wärmeproduktion. (Günther Strobl, 21.6.2022)