Niedrige Tempolimits auf den Autobahnen würden enorme Energieeinsparungen bringen.

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Ein und dasselbe Problem, 40 Jahre zeitlicher Abstand, eine völlig andere Herangehensweise. In den 1970er-Jahren gab es in Österreich schon einmal Energiekrisen. Die Rohölpreise vervielfachten sich, die allgemeine Angst ging um, die Preise stiegen.

Die Folge waren damals vor allem kollektive Sparanstrengungen. Die Regierung verfügte beispielsweise eine Temperaturbegrenzung für Heizungen in öffentlichen Gebäuden auf 20 Grad Celsius. Autobesitzer wurden zu einem autofreien Tag pro Woche verpflichtet – auch wenn die Maßnahme nach fünf Wochen wieder abgeschafft wurde. Energieferien und Sommerzeit wurden eingeführt, um Energie zu sparen. Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) höchstpersönlich riet aus Energiespargründen zur Nassrasur statt zum elektrischen Rasierer.

Nassrasur statt elektrischer Rasierer

Wie sinnvoll diese Maßnahmen im Einzelnen waren, sei dahingestellt. Entscheidend: Heute ist im Gegensatz zu früher kaum die Rede vom Sparen. Vielmehr setzt die türkis-grüne Regierung im Kampf gegen Gasknappheit und Energiepreise in Rekordhöhen, die vor allem aus dem Krieg in der Ukraine resultieren, vor allem auf technische Lösungen: etwa mehr Flüssiggasimporte aus Katar und den rascheren Ausbau erneuerbarer Energien. Am Montag stellte die Regierung überdies sogar in Aussicht, ein aufgelassenes – höchst klimaschädliches – Kohlekraftwerk im steirischen Mellach wieder zu reaktivieren.

Aber Sparen? Bisher Fehlanzeige. Erst am Montag– mehr als drei Monate nach Ausbruch des Ukraine-Krieges – äußerte sich die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) im Interview mit dem Fernsehsender Puls4 erstmals zu diesem Thema. Für kommenden Herbst sei eine Werbekampagne für mehr Energiesparen in Planung, sagte sie.

Riesige Potenziale

Dabei wären die Potenziale riesig. Die Datenlage bezüglich der Möglichkeiten des Sparens sei zwar schlecht, sagt Franz Angerer, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur (AEA). "Aber trotzdem lässt sich klar sagen, dass zehn Prozent Einsparung über alle Sektoren hinweg ohne zusätzliche Investitionen relativ leicht möglich wären."

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) kündigt eine Energiesparkampagne für den Herbst an.
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Dies belegt unter anderem ein Feldversuch mit Stromkunden und Stromkundinnen vor einigen Jahren: 200 von ihnen wurden einer intensiven Beratung zum Thema Energiesparen unterzogen. Die Folge: Der Stromverbrauch sank um elf Prozent – ohne dass ein Cent investiert wurde.

Tempo 100 statt Tempo 130

Welche Vorhaben würden heute kurzfristig und ohne große Investitionen zu Einsparerfolgen führen? "Der größte Hebel liegt sicherlich im Verkehrsbereich", sagt Johannes Wahlmüller, Energieexperte der Umweltschutzorganisation Global 2000. Eine Temporeduktion von 130 auf 100 Stundenkilometern auf der Autobahn bringt ein Viertel weniger Energieverbrauch je Fahrzeug.

Umgerechnet auf Österreichs Flotte von 7,2 Millionen Kraftfahrzeugen schlummern hier enorme Potenziale. Zwar würden die daraus resultierenden Einsparungen nicht den Gassektor betreffen, weil die Verbrennungsmotoren nicht mit Gas laufen. Aber die Rückgänge beim Verbrauch von Ölprodukten wären immens – und dem Klima wäre außerdem noch sehr geholfen. Laut Umweltbundesamt stammen 25 Prozent der österreichischen CO2-Emissionen aus dem Verkehrssektor. "Tempo 100 ließe sich leicht einführen, ginge sehr schnell, kostete nichts und erhöhte nebenher noch die Verkehrssicherheit", sagt Wahlmüller.

Kühlvitrinen ohne Türen

Daneben liegen in vielen anderen Bereichen Chancen, Energie einzusparen – auch wenn die Kosten etwas höher wären. Beispielsweise haben viele Restaurants und Gewerbebetriebe Kühlvitrinen ohne Türen und häufig veraltete Kühlschränke: nicht zu unterschätzende Energiefresser. Ebenso stellen veraltete Motoren in Industriebetrieben ein Problem dar.

Und auch im privaten Bereich ließe sich viel bewegen. "Der alte zweite Kühlschrank im Keller, das Jacuzzi auf der Terrasse, das den ganzen Winter läuft – so etwas führt zu einem riesigen Energieverbrauch", erklärt Energieagentur-Chef Angerer. Auch die leicht hinuntergedrehte Heizung in der Wohnung macht einen großen Unterschied. "Man muss jeden Haushalt konsequent informieren: Schaut euch an, welche Gerät angesteckt sind, und fragt euch dann, welche davon ihr wirklich braucht!", sagt Angerer.

Initiativen für mehr Einsparungen fehlen

Er geht grob von zehn Prozent Energiesparpotenzial je Haushalt aus. Was den Gasverbrauch betrifft, schätzte die Energieagentur in einer Studie vom vergangenen April, dass sich durch "Geräte, Betriebsoptimierung und Verhaltensänderung" eine Terawattstunde jährlich an Gas einsparen ließe. Das entspricht immerhin einem Sechzigstel jener Menge, die Österreich jährlich aus Russland importiert.

Was tut die türkis-grüne Regierung nun, um all die Potenziale zu heben? Derzeit kaum etwas. Zwar existiert in Österreich ein durchaus großzügiges Förderwesen, das Bürgerinnen und Unternehmen unterstützt, wenn sie etwa ihre alten Heizungen austauschen oder ihre Gebäude neu dämmen wollen. Aber kurzfristig wirkende Sparmaßnahmen, die keinerlei oder nur geringe Investitionen erfordern würden? Hier fehlen bislang Initiativen.

Energieeffizienz per Gesetz

Ein wichtiger Schritt für mehr Einsparungen wäre das Energieeffizienzgesetz. Ein solches existierte in Österreich bis zum Jahr 2020. Die Funktionsweise, grob gesagt: Wenn Unternehmen Energie einsparen, bekommen sie dafür Gutschriften – und die können sie verkaufen. Energiesparsames Verhalten im Betrieb wird also belohnt, Energieverschwendung bestraft. Im Rahmen des Energieeffizienzgesetzes würden Unternehmen und Gewerbebetriebe beispielsweise gezielt davon profitieren, wenn sie ihre alten energiefressenden Geräte austauschen würden.

Die Heizung geringfügig weniger aufzudrehen macht einen enormen Unterschied.
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Allerdings: Nach dem Auslaufen des alten Energieeffizienzgesetzes 2020 müsste jetzt ein neues her – und hier tut sich nichts. Zwar ist das neue Gesetz seitens der EU vorgeschrieben und wurde von Klimaschutzministerin Gewessler oftmals angekündigt, doch dem Vernehmen nach scheitert es bisher am Widerstand der ÖVP und Wirtschaftskammer. Auf STANDARD-Anfrage im Klimaschutzministerium will man keinen Termin für das Gesetz nennen. "Die Verhandlungen laufen", heißt es. "Wir gehen davon aus, dass die aktuelle Situation allen Beteiligten die Dringlichkeit dieses Vorhabens vor Augen führt."

Belohnung fürs Sparen

Eine weitere Möglichkeit, eine Energiesparmaßnahme wirksam politisch zu implementieren, schlägt das Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) vor: ein Energiesparbonus. Funktionsweise: Ein Konsument erklärt gegenüber seinem Strom- und Gasversorger, dass er seinen Konsum gegenüber dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre um beispielsweise zehn Prozent reduzieren möchte. Klappt das Vorhaben, bekommt der Konsument den Bonus. Auszahlen könnte diesen danach entweder das Energieunternehmen oder der Staat. Die Regierung plant bisher aber keinen Bonus; es handelt sich lediglich um einen Vorschlag aus den Reihen der Wissenschaft.

Immerhin an einer Maßnahme aber arbeitet das Ressort von Ministerin Gewessler: an besagter Kampagne im Herbst für Energiesparen. Details will Gewessler-Sprecherin Martina Stemmer keine nennen. Nur so viel: Sie werde sich an die breite Öffentlichkeit richten. Und warum erst im Herbst, während in Deutschland bereits früher eine Sparkampagne laufen wird? Während der Heizsaison seien höhere Einsparungen bei Gas zu erzielen als im Sommer, so Stemmer. Maßnahmen wie Tempo 100 auf der Autobahn könnten in einer derartigen Kampagne durchaus eine gewichtige Rolle spielen – aber lediglich als Vorschlag, keineswegs als echte Verpflichtung. "Hier ist derzeit keine Regelung vorgesehen", sagt Stemmer – zumindest solange die Energiekrise nicht noch schlimmer wird. (Joseph Gepp, 22.6.2022)