Die Republik ist angeklagt: Verhandelt wird das Projekt des Theaterkollektivs Hybrid in Kooperation mit dem Werk X-Petersplatz auf dem Judenplatz in Wien.
Foto: Bettina Frenzel

Mitten auf dem Judenplatz, zwischen dem Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah und Schanigärten, in denen mit Bier und Sommerspritzer angestoßen wird, stand am Montag die Republik vor Gericht. Die roten Roben der Richterin (Ines Rössl) und der Schöffinnen leuchten vor den weißen Wänden des Mahnmals von Rachel Whiteread.

Tatverdächtig ist die Republik Österreich, laut EU-Kommission, weil sie wesentliche Grundrechte von Asylberechtigten und damit die Genfer Flüchtlingskonvention und das Recht auf Asyl missachtet habe. Das Theaterkollektiv Hybrid hat in Kooperation mit dem Werk X-Petersplatz für den ersten von fünf Verhandlungstagen seines Asyl Tribunals den Weltflüchtlingstag gewählt. Die klagende und die beklagte Seite brachten ihre "Plädoyers" vor. Die Vertreterin der Kommission (Denise Teipel) beschreibt die allgemeine Situation seit 2015, als sich vermehrt Menschen aus den umkämpften Gebieten in Syrien, dem Irak und Afghanistan auf den Weg nach Europa machten.

Die roten Roben der Richterin (Mitte: Ines Rössl) und der Schöffinnen leuchten vor den weißen Wänden des Mahnmals von Rachel Whiteread.
Foto: Bettina Frenzel

Sie beschreibt, welche Konsequenzen das Schließen der Westbalkanroute für diese Menschen hatte, und sie hinterfragt die scheinbar willkürliche Auswahl, nach der 1700 von 80.000 Menschen nach dem Dublin-Abkommen zurück nach Kroatien geschickt wurden, wie man so Familienzusammenführungen verhinderte oder wie die Behörden hier immer wieder scheinbar beabsichtigt, die Klägerin nennt es "bösartig", Fristen verstreichen ließen. Fristen, die für Jugendliche dramatische Konsequenzen hatten.

Realität auf der Bühne

Die Fälle, die die Schauspielerinnen auch in den kommenden Tagen zitieren, sind real. Kein Gerichtstag bzw. Theaterabend gleicht dem anderen. Einige Hundert kamen zum ersten Tag, dem eine Demo zum Weltflüchtlingstag vorangegangen war.

Einige Hundert kamen zum ersten Tag, dem eine Demo zum Weltflüchtlingstag vorangegangen war.
Foto: Bettina Frenzel

Die Klägerin verweist auch auf 3000 Menschen, die allein im Vorjahr im Mittelmeer ertrunken sind, weil es keine legalen Fluchtwege nach Europa gibt. Alles Dinge, für die die Vertreterin der Republik (May Garzon) jede Schuld zurückweist. Theatrale Gerichtsprozesse sind als Format nichts Neues, doch hier kommt man dank der Mitarbeit von Asylexperten und Juristinnen der Realität ganz nahe. Der Platz mit der schuldbeladenen Vergangenheit des Landes im Rücken ist klug gewählt. Es geht darum, ob man Menschenleben rettet. Oder nicht. (Colette M. Schmidt, 21.6.2022)