Italiens Außenminister Luigi Di Maio zieht die Reißleine.

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Mit der "mehrdeutigen Haltung einiger Anführer der Fünf-Sterne-Bewegung" gegenüber den Waffenlieferungen an die Ukraine sei Italien in den letzten Monaten Schaden zugefügt worden: So begründete Außenminister Luigi Di Maio am Dienstagabend seinen Austritt aus der Protestbewegung. Er bezeichnete es als "unverantwortlich", in einer derart ernsten Situation die Politik und die Einheit der Regierung infrage zu stellen in der Absicht, verlorene Zustimmung der Wählerinnen und Wählern wiederzugewinnen. "Dieser Krieg ist keine mediale Show, er ist real, und seine Opfer sind real", betonte der 35-jährige Außenminister. Angesichts der Brutalität von Kreml-Chef Wladimir Putins müsse man sich entscheiden, "auf welcher Seite der Geschichte man stehen will".

Im Visier hatte Di Maio in erster Linie den Chef der Fünf Sterne, Ex-Premier Giuseppe Conte. Dieser hatte wiederholt gefordert, keine Waffen mehr an die Ukraine zu liefern und stattdessen die diplomatischen Friedensbemühungen zu verstärken. Diese Haltung ist ziemlich populär in Italien – aber sie steht im Widerspruch zu der auch von Di Maio unterstützten Linie von Regierungschef Mario Draghi, der sich seit Beginn des Krieges für Waffenlieferungen ausspricht. In der Koalition hat Conte mit seiner Forderung am Dienstag Schiffbruch erlitten: Die Regierungsparteien bestätigten im Parlament die bisherige Politik Draghis mit klarer Mehrheit.

Willkommener Vorwand

Das Zerwürfnis mit Conte wegen der Waffenlieferungen dürfte für Di Maio aber lediglich ein willkommener Vorwand gewesen sein, die Fünf Sterne zu verlassen. Der wahre Grund für den Parteiaustritt ist die in den Statuten der Protestbewegung vorgesehene Amtszeitbeschränkung auf zwei Legislaturperioden. Die Regelung hätte für Di Maio zur Folge gehabt, dass er bei der nächsten Parlamentswahl im Frühling 2023 nicht mehr hätte kandidieren können. Der ehemalige Sandwichverkäufer im Fußballstadion von Neapel wäre also gezwungen gewesen, sich schon in wenigen Monaten nach einem anderen Broterwerb umzusehen.

Welche Existenzängste die Amtszeitbeschränkung bei zahlreichen Abgeordneten der Fünf Sterne erzeugt, lässt sich auch daran ablesen, dass am Dienstag zusammen mit Di Maio gleich über 60 weitere Abgeordnete und Senatoren ausgetreten sind – die meisten von ihnen befinden sich wie der Außenminister ebenfalls schon in der zweiten Amtszeit. Es wirkte wie eine Massenflucht – und die Parteispaltung führt dazu, dass nun nicht mehr die vom Komiker Beppe Grillo gegründete Protestbewegung, sondern die rechtspopulistische Lega von Matteo Salvini stärkste Regierungspartei ist. Conte sagte am Mittwoch laut Reuters, die Unterstützung für Premier Draghi stehe nicht zur Debatte. Die Fünf-Sterne-Bewegung bleibt also trotz Spaltung in der Regierung.

Vergessen oder verdrängt

Die Beschränkung auf zwei Amtszeiten ist der eigentliche Markenkern der Antisystempartei: Sie dient zur Abgrenzung von der verhassten "Kaste", also den Berufspolitikern der traditionellen Parteien, denen die "Grillini" Parasitentum auf Kosten der Steuerzahler vorwerfen. Kombiniert ist die Amtszeitbeschränkung mit der Verpflichtung der Mandatsträger, die Hälfte ihrer üppigen Politikergehälter für wohltätige Zwecke zu spenden. Dieses Versprechen haben etliche "Grillini" inzwischen vergessen oder verdrängt: Mehr als hundert ihrer Parlamentarier sind mit der teilweisen Rückerstattung der Gehälter in Verzug oder haben sie gleich ganz eingestellt.

Fazit: Nicht wenige der einstigen Rebellen sind selber zur Kaste geworden – oder vielmehr zu einem Kästchen: Die Protestbewegung, die bei der Parlamentswahl2018 mit 34 Prozent stärkste Kraft wurde, hat in der Zwischenzeit praktisch jeden Kredit bei den Wählerinnen und Wählern verloren und spielt bei Wahlen kaum noch eine Rolle. In Rom und Turin, wo sie fünf Jahre lang die Bürgermeisterinnen stellte, wurden diese schon im letzten Jahr abgewählt. Bei den Kommunalwahlen vor eineinhalb Wochen hat sie noch etwa drei Prozent der Stimmen ergattert; in vielen Städten ist sie gar nicht mehr angetreten. Mit der Parteispaltung dürften die "Grillini" endgültig zu Sternenstaub zerfallen.

"Insieme per il futuro"

Weil bei der nächsten Parlamentswahl die Zahl der Sitze im Abgeordnetenhaus und im Senat um ein Drittel reduziert wird, dürfte von den einst 333 Fünf-Sterne-Parlamentariern nur noch ein verschwindender Bruchteil die Wiederwahl schaffen. Auch die Parlamentsverkleinerung war – Ironie des Schicksals – eine Forderung der Antisystempartei gewesen.

Die Fahnenflüchtigen rund um Di Maio haben im Parlament bereits eine neue Fraktion gegründet, die zur Keimzelle einer neuen Mitte-Partei werden soll. Sie heißt "Insieme per il futuro" ("Gemeinsam für die Zukunft") und wird, so der ehemalige Oberpopulist Di Maio, "keinen Platz für Hass, Populismus, Chauvinismus und Extremismus" bieten. Dafür aber ausreichend Platz für all jene, die wegen der Amtszeitbeschränkung bei den Fünf Sternen nicht mehr kandidieren können und die das privilegierte Leben eines Berufspolitikers nicht mehr missen möchten. (Dominik Straub aus Rom, 22.6.2022)