Hierzulande sind Start-up-Unternehmer bei ihrer Finanzierung oft auf sich allein gestellt. Es bleibt viel Raum für mögliche Reformen.

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Schnell wachsende Start-ups wollen gefüttert werden. Sie brauchen Kapital – vor allem dann, wenn sie die Gründungsphase hinter sich lassen und rasch expandieren. In Staaten wie Österreich oder Deutschland stoßen junge Unternehmen aber oft an Grenzen: Wer nicht das Glück hat, einen finanzstarken Privatinvestor von seiner Idee zu überzeugen, geht mitunter leer aus. Das liegt auch daran, dass große Finanzverwalter wie Pensionskassen oder Versicherungen wenig bis gar nicht in Risikokapital investieren – ganz im Gegenteil zu den Usancen in den USA.

Damit sich das ändert, hat der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich eine neue Start-up-Strategie vorstellt. Pensionskassen und Versicherungen investieren demnach auch deshalb wenig in Risikokapital, weil sie dabei an strenge Auflagen gebunden sind. Habeck will ihnen Investitionen nun einfacher machen. Aber nicht nur das: Für den Kapitalstock bei der gesetzlichen und privaten Altersvorsorge soll es den Plänen zufolge gar eine Mindestquote für Investitionen in Wagniskapital geben.

Österreich ist Nachzügler

Grafik: DER STANDARD

In Österreich ist die Situation für Venture-Capital ähnlich schwierig wie in Deutschland. Der Anteil des Risikokapitals am BIP ist hierzulande laut Zahlen des europäischen Interessenverbands Invest Europe mit 0,045 Prozent sogar noch niedriger als beim Nachbarn. "Österreich ist im Bereich Venture Capital Nachzügler", sagt Thomas Url, Ökonom des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) zum STANDARD. Bis dato sei es trotz zahlreicher Bemühungen nicht gelungen, eine echte Start-up-Kultur zu entwickeln. "Wir setzen nach wie vor eher auf langsam, aber kontinuierlich wachsende Strukturen."

Laut Url wären Kassen und Versicherungen durchaus geeignet dafür, Venture Capital bereitzustellen. Die Rechtslage dafür basiert weitgehend auf EU-Grundlagen. Details regeln nationale Gesetze so wie im Fall der Versicherungen eine Verordnung der Finanzmarktaufsicht (FMA), erklärt Stefan Frank, Anwalt und Partner bei Binder Grösswang.

Kriterium der Vorsicht

Im Wesentlichen gilt das "prudent person principle". Demnach müssen Pensionskassen und Versicherungen nach dem Kriterium der Vorsicht veranlagen. Sie sind dazu verpflichtet, die Veranlagungen in ihren Portfolios ausreichend zu streuen. Wertpapiere, die nicht auf einem geregelten Markt notieren, dürfen sie nur auf einem "vorsichtigen Niveau" halten. Anteile von jungen Start-ups, die noch nicht an der Börse notieren, können daher nicht großflächig eingekauft werden.

Trotz der EU-rechtlichen Vorgaben wären laut Frank gewisse Erleichterungen möglich. Ähnlich sieht das Claus Schneider. "Es braucht mehr Rechtssicherheit und Einfachheit", sagt der Rechtsanwalt und Partner bei Wolf Theiss. Derzeit gebe es bei Investitionen in Risikokapital große rechtliche Unsicherheiten. Helfen könnte etwa ein Kriterienkatalog der Aufsichtsbehörden, der das "prudent person principle" für die Vermögensverwalter näher konkretisiert.

"Viele Unternehmen sind zögerlich, weil sie nicht wissen, wie weit sie gehen können, ohne sich haftbar zu machen", sagt Schneider. Insofern könnte mehr Rechtssicherheit zu mehr Investitionen führen. In eine ähnliche Kerbe schlägt Ökonom Url. "Ich habe den Eindruck, dass viele Pensionskassen und Versicherungen Angst davor haben, Venture-Capital in ihr Risikomanagement zu integrieren." Helfen würde auch eine umfassende Dateninfrastruktur, um Risiken und Renditen besser abschätzen zu können.

Mindestquoten umstritten

Von Mindestquoten, wie sie Wirtschaftsminister Habeck nun für Deutschland vorschlägt, hält Schneider wenig. Die aktuelle EU-Rechtslage sieht den Grundsatz der Anlagefreiheit vor. Die Aufsichtsbehörden dürfen Versicherungen und Pensionskassen demnach nicht vorschreiben, dass sie in bestimmte Finanzprodukte investieren müssen. Laut Schneider ist es daher fraglich, ob es EU-rechtskonform wäre, Versicherungen zu riskanten Investitionen zu zwingen.

"Die Regeln sind zwar streng, aber sie schützen auch vor einem großflächigen Ausfall", sagt Frank. "Schließlich geht es um den Vermögensaufbau unzähliger Menschen." Der Rechtsanwalt glaubt dennoch, dass Erleichterungen sinnvoll wären, vor allem in Zeiten niedriger Zinsen und hoher Inflation. Das Risiko könne durch Streuung verringert werden. "Über Versicherungen und Pensionskassen könnte man Risikokapital einem breiteren Publikum zugänglich machen." (Jakob Pflügl, 24.6.2022)