ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer hat in seiner Partei einiges zu tun. Die Länder tun das ihre dazu.

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Bevor sich Sebastian Kurz 2017 in der ÖVP die ganze Macht von den Ländern aushändigen ließ, war die Bundespartei quasi ein geduldeter Planet der mächtigen Landesparteien. Für eine kurze Zeit war die ganze Macht beim Kanzler und Parteichef in Wien – bis die türkis-gewendete Bundes-ÖVP bekanntermaßen implodierte. Ab da wähnten sich die Landesorganisationen der Volkspartei wieder in alter Stärke. Doch jetzt ist auch im türkisen Hinterland Unruhe ausgebrochen. Die Gemengelage ist diffus. Was bedeuten die aktuellen Umwälzungen in den Ländern für die ÖVP im Bund? Immerhin stellt sie aktuell sechs Landeshauptleute, in vier Ländern durchgehend seit 1945.

Eines davon ist Niederösterreich. Im "schwarzen Kernland" Niederösterreich scheint die Welt für die ÖVP noch in Ordnung. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner regiert mit absoluter Mehrheit, die sie bei der vergangenen Landtagswahl 2018 entgegen vieler Erwartungen noch einmal verteidigen konnte. Damals hatte sie den Parteivorsitz der mächtigen Landesorganisation gerade von Langzeit-Landesvater Erwin Pröll übernommen.

Im nächsten Jahr werden die Karten aber neu gemischt, wenn Mikl-Leitner sich erstmals ihrer Wiederwahl stellt. Platz eins ist für die Volkspartei zwar nicht gefährdet, jüngste Umfragen deuteten aber auf einen Verlust der "Absoluten" hin. Dazu dürften nicht nur die zahlreichen türkisen Skandale im Bund beigetragen haben. Auch im Bundesland selbst kam eine ÖVP-Inseratencausa auf. Mikl-Leitner war zudem prominent in veröffentlichten Chats aufgetaucht, aus denen von ihr etwa der Satz "Rote bleiben Gsindl!" überliefert ist. Ob eine absolute Mehrheit für die Landeshauptfrau nochmals in Reichweite liegen könnte, wird aber nicht nur von der weiteren Entwicklung der ÖVP-Causen abhängen – sondern auch davon, ob und wie erfolgreich die impfkritische MFG bei der Landtagswahl antritt.

Tirol ist – wie Vorarlberg, wo Landeshauptmann Markus Wallner eine gesundheitlich bedingte Auszeit einlegt – ebenfalls seit 1945 in schwarzer Hand. Die Landes-VP sieht einem turbulenten Herbst entgegen. Günther Platter, derzeit noch dienstältester ÖVP-Landeshauptmann Österreichs und einer der Wortführer der sogenannten schwarzen Westachse, hat Anfang Juni überraschend seinen Rückzug aus der Politik verkündet und damit vorgezogene Landtagswahlen am 25. September in die Wege geleitet. Platter will damit wohl auch sein Image als erfolgreicher Landesvater retten. Denn von einem Wahlergebnis wie noch 2018, als seine VP 44,3 Prozent der Stimmen einfuhr, wird sein designierter Nachfolger, Wirtschaftslandesrat Anton Mattle, nur träumen können. Aktuelle Umfragen sehen die Tiroler Schwarzen – eine Umfärbung auf Türkis hat Platter trotz treuer Kurz-Gefolgschaft nie zugelassen – nur mehr bei etwas über 30 Prozent. Ein historischer Tiefststand.

Platter hatte das Ruder 2008 von seinem Vorgänger Herwig van Staa übernommen, dem ein Wahlergebnis knapp über 40 Prozent, was damals ein horrendes Minus von über neun Prozent bedeutete, zum Verhängnis wurde. Die Tiroler VP wird im Herbst wohl erstmals vor echten Koalitionsverhandlungen stehen, in denen sie auch Zugeständnisse machen muss. Denn Umfragen sehen keine klaren Mehrheiten, damit fällt die gewohnte Wahlmöglichkeit aus mehreren Optionen für die Volkspartei weg.

In der ÖVP galt zuletzt auch Platter als angezählt. Während der Corona-Pandemie sorgte Tirol immer wieder für negative Schlagzeilen, was auch auf ihn zurückfiel. Vor allem der Wirtschaftsflügel – Tourismus ist in Tirol ein Machtfaktor – wollte den AABler an der Landesspitze abgelöst wissen. Um einer solchen Palastrevolution zuvorzukommen, hat der scheidende Landeshauptmann seinen Wunschnachfolger gleich selbst inthronisiert. Mattle zählt zwar zum Wirtschaftsbund, ist aber wie Platter Oberländer und zudem beim Bauernbund äußert beliebt.

Auf der Bundesebene wurden mit dem neuen Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig und Digitalisierungs-Staatssekretär Florian Turksy zwei Tiroler Personalien mit Regierungsaufgaben bedacht, die ebenfalls nicht zum Wirtschaftsflügel zählen. Es dürfte Platters letzte Personalentscheidung auf Bundesebene gewesen sein. Mit ihm tritt einer der letzten ÖVP-Landeschefs vom alten Schlag ab.

In der Steiermark steht die Volkspartei vergleichsweise stabil da – dank der seit Jahren friedlichen Koexistenz mit dem Regierungspartner SPÖ und der Tatsache, dass die steirische SPÖ dank der enden wollenden Personalauswahl nach Franz Voves keinen allzu ernsten Konkurrenten aus dem Hut zaubern konnte. Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, der den Chefsessel einst von der SPÖ bekam, obwohl er nur Zweiter wurde, tritt wie geplant Mitte der Regierungsperiode zurück und übergibt Anfang Juli seinen Nachfolger Christopher Drexler. Alles geplant, alles nicht überraschend, auch wenn die Skandale und Krisen der Parteifreunde in den übrigen Bundesländern dem 70-jährigen Schützenhöfer den Schritt sicher nicht erschwert haben.

Spannend wird es aber, ob Drexler, der bisher Landesrat war und als erfahren, für ÖVP-Verhältnisse liberal, aber wenig leutselig gilt, in zwei Jahren auch vom Volk gewählt wird. Wenn er sich kein Standing aufbaut, könnte der ÖVP der ältere, erfahrene SPÖ-Chef Anton Lang doch noch gefährlich werden. Mit seiner jüngsten Personalwahl – Volksanwalt Werner Amon soll als Landesrat ins Team von Drexler kommen – hat Drexler jedenfalls keinen jungen Erneuerer geholt und sich auch keinen Deut von der Bundespartei distanziert.

Aus Oberösterreich hingegen kamen zuletzt vorsichtige Zeichen für etwas Abstand zur ramponierten Bundes-ÖVP. Mit der aktuellen Kampagne "Sommer des Miteinanders" geht die Volkspartei ob der Enns bewusst verstärkt als Oberösterreich-Partei an die Öffentlichkeit. Parteichef und Landeshauptmann Thomas Stelzer selbst sitzt fest im Landeschefsessel und meistert mit der schwarzen Landespartei durchaus gekonnt den schmalen Grat zwischen lokaler Eigenständigkeit und wohl dosierter Bundesnähe. Und da die See auf Bundesebene deutlicher rauer wurde, ging man in Oberösterreich eben deutlich auf Distanz.

Stelzers Mantra ist das "Land der Möglichkeiten", das er gerne und oft beschwört. Bezogen auf die oberösterreichische VP ist in den letzten Jahrzehnten tatsächlich vieles möglich gewesen. In Erinnerung gerufen sei, dass die erste schwarze-grüne Koalition Österreichs in Oberösterreich besiegelt wurde – und beachtliche zwölf Jahre hielt. Gefolgt von einem Arbeitsübereinkommen mit der FPÖ, das nach der Landtagswahl im Vorjahr eine Neuauflage erlebte.

Möglich ist nach dem letzten Wahlgang, und dank des Proporzsystems, vor allem auch die maximale Machtfülle der ÖVP in Oberösterreich geworden: Mit knapp 37 Prozent der Wählerstimmen konnte sich die ÖVP fünf der neun Landesräte sichern. Alle Schlüsselbereiche – Finanzen, Wirtschaft, Integration, Pflege, Bildung, Gesundheut, Soziales liegen heute in schwarzen Händen.

Auch in Salzburg, das im April 2023 wählt, ist die ÖVP stabil am Ruder. Erste Umfragen vor der Wahl wiesen Landeshauptmann Wilfried Haslauers ÖVP sogar ein Stimmenplus aus, die aktuellste Umfrage der "Salzburger Nachrichten" Ende Mai sah jedoch den Höhenflug gestoppt. Mit 34 Prozent würde die ÖVP demnach drei Prozentpunkte verlieren. 2018 erhielt die Volkspartei 37,8 Prozent und bildete dann mit den Grünen und den Neos eine Dreierkoalition.

Mitverantwortlich für die schlechteren Werte dürfte auch das Corona-Management von Haslauer sein, mit einem hinausgezögerten Lockdown in der vierten Welle und einem Virologen-Sager, der für Empörung sorgte. Doch auch in den BMI-Chats taucht Salzburg, genauer gesagt Hallein auf – inklusive Postenkorruptionsvorwürfen. Es wird jedenfalls Haslauers letzte Amtszeit sein. EU-Ministerin Karoline Edtstadler und Verkehrslandesrat Stefan Schnöll werden als mögliche Nachfolger gehandelt.

In Wien – traditionell ein hartes Pflaster für die ÖVP – sucht die Volkspartei seit dem Abgang von Ex-Finanzminister Gernot Blümel als Landesparteichef Tritt. Doch das will alles andere als gelingen. Bei der Landtags- und Gemeinderatswahl 2020 konnten die Stadttürkisen ihren Stimmanteil auf 20,4 Prozent mehr als verdoppeln. Mittlerweile sind sie in Umfragen aber deutlich abgerutscht: Laut einer Erhebung des Stadtsenders W24 von Ende April würden lediglich elf Prozent der Wiener Wahlbevölkerung für Türkis stimmen. Das ist gefährlich nahe am historisch schlechtesten Ergebnis bei der Wahl 2015.

Der vor kurzem zum neuen Landesparteichef gekürte Karl Mahrer hat desaströse Bekanntheitswerte, mit den Themen Sicherheit und Integration sowie demonstrativer Bürgernähe versucht er, einen Fuß auf den Boden bekommen. Zumindest das Ping-Pong-Spiel mit der Bundespartei funktioniert noch: Nachdem diese auf die aktuelle Staatsbürgerschaftsdebatte aufgesprungen war, nahm die Wiener ÖVP den Ball bereitwillig auf und schlachtete das Thema bei einem Sonderlandtag aus.

Auch Kärnten ist für die ÖVP historisch wahltechnisch ein schwieriges Land. Zwar ist man in einer Koalition mit der SPÖ unter Landeshauptmann Peter Kaiser und stellt zwei Landesräte – Landesparteichef Martin Gruber kann in den Ressorts Verkehr und Land- und Forstwirtschaft gestalten. Bei der Anfang 2023 anstehenden Landtagswahl muss der 39-Jährige laut Umfragen aber mit Stagnation für seine Partei rechnen. Was im Falle der ÖVP Kärnten bedeutet: Platz drei und um die 14 Prozent. Ungewissheit für den Landtagswahlkampf birgt zudem der Streit um den Klagenfurter Flughafen, der das Koalitionsklima aktuell stark belastet.

Im traditionell roten Burgenland spielte die ÖVP schon lange keine tragende Rolle mehr. Seit der hemdsärmelige Polizist Hans Peter Doskozil vom Eisenstädter Landhaus aus nicht nur die rechte Flanke der SPÖ absichert, sondern auch medienwirksam die Grenzen des Burgenlands, haben sich die Perspektiven für die Konservativen nicht eben gebessert.

Nachdem "Dosko" 2020 die SPÖ-Absolute zurückgeholt hatte, trat der türkise Spitzenkandidat und Eisenstädter Bürgermeister Thomas Steiner als Landesparteichef zurück. Sein Nachfolger Christian Sagartz, der auch für die ÖVP im EU-Parlament sitzt, genießt außerhalb des pannonischen Flachlands, gelinde gesagt, niedrige Bekanntheitswerte. Planmäßig gewählt wird aber ohnehin erst 2025 wieder. (nim, tschi, ars, cms, mro, ruep, rach, 23.6.2022)